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(picture alliance)

Elfenbeinturm - Intellektuelle sind Aus-der-Zeit-Gefallene

Der Intellektuelle hat es schwer. Er passt nicht mehr in unsere Zeit. Und das ist gut so. Denn er gehört nicht in die Talkshow, sondern zurück auf seinen Elfenbeinturm

„Was nützen einem Menschen Gedanken
und Einfälle, wenn er, wie ich, das Gefühl hat,
er wisse nichts damit anzustellen?“ R. Walser

Zugegeben: Der Intellektuelle hat es nicht leicht. Schweigt er, folgt dem Schweigen der Ruf nach sich zu Wort meldenden Intellektuellen im Land. Meldet er sich zu Wort, begibt sich gar auf tagespolitisches Terrain – oder schlimmer noch – wird Dauergast in einer Talkshow, läuft er Gefahr, die dem Intellektuellen anheimgestellte mystische Aura zu verlieren oder als Beliebigkeitsapostel abgestempelt zu werden. Vergleichbar mit Politikern, von denen wir Authentizität und klare Kante fordern, um dann geliefertes Profil zeitgleich medial abzuschleifen. Dem Credo folgend: Liefert er, schleifen wir!

Ein Dilemma, das der versierte Intellektuelle zur Kenntnis nimmt und als postmoderne Dialektik verkauft, für den weniger selbstbewussten aber Anlass genug ist, um zu zweifeln und den Rückzug ins Private anzutreten.

Ein schmaler Grat, der für Intellektuelle im Zeitalter von Massenmedien und Massendemokratie immer öfter zwischen Multiplikator und Hofnarr verläuft. Ort des Geäußerten und Frequenz gereichen ihm meist zum Vorwurf. Und dort, wo die Debatten heute stattfinden – im Netz –, dort bleibt er lieber ganz fern.

Die Nische, die medial bleibt, bietet dann auch wenig Platz. Das Resultat ist der medial austarierte Intellektuelle: Er ist in der Regel männlich, linkssozialisiert, brustbehaart, offline, eitel, übt vorrangig Selbstkritik bei anderen, verwechselt Macht mit Einfluss, zitiert gern und viel, und weiß, dass sich aus zusammenhanglos verbalisierten Denkkonstruktionen am Ende eines langen Satzes Logik rhetorisch erzeugen lässt.

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Der Durchschnittsintellektuelle bezeichnet Essen- als Ausgehen, hält Wikipedia für eine nicht-zitierfähige Quelle, um gleichermaßen sein Umfeld ungefragt mit allerlei Halbwissen zu kontaminieren. Er schreibt analoge Briefe, liest bevorzugt den Feuilletonteil einer Zeitung und lässt den Wirtschaftsteil zusammen mit beigefügten „Gesellschafts-Magazinen“ auf direktem Wege ins Altpapier wandern.

Statt eines „J’accuse“, wie es Émile Zola seinerzeit formulierte, um Gerechtigkeit für den verurteilten Dreyfus zu fordern und ganz nebenbei den normativen und sich einmischenden Intellektuellen zu erfinden, ist von heutigen Geistesgrößen allenfalls ein „Moment mal“ zu vernehmen, dass sich in der Empörungsmaschine Internet bestenfalls als erratischer Seufzer verliert. Und sollte ihm dennoch ein Echo gewiss sein, dann womöglich in Form eines netztypischen Shitstorms, was den Intellektuellen, da er in der Regel Kommunikation als Einbahnstraße definiert, dann auch als Bestätigung seines kulturpessimistischen Weltbildes zupass kommt.

Seite 2: Schicken wir den Intellektuellen zurück auf seinen Elfenbeinturm

So erinnert sich der geschundene Intellektuelle an die vermeintlich guten alten Zeiten, da er noch als etwas galt, man ihm zuhörte, er mitunter gar politische Macht ausübte. Er erinnert sich an den genannten Zola, an Sartre oder Adorno, denen eine ganze Generation zu Ohren lag.

Und er vergisst die wirklich harten Zeiten, als die Nazis und Kommunisten den Intellektuellen zu Menschen zweiter Klasse ausriefen. Wirklich blumige Zeiten gab und gibt es wohl nur in Frankreich, wo der Dandyphilosoph Bernard-Henri Lévy Einfluss auf richtige Politik nimmt und Sarkozy quasi im rhetorischen Alleingang überzeugte, gegen Gaddafi in den Krieg zu ziehen.

Intellektuelle, formulierte  Sartre, sind „das monst­röse Produkt monströser Gesellschaften“. Und monströs sollten sie sein, monströs über der Politik stehend: Denn auch wenn sich intellektueller Einfluss und politische Macht gelegentlich treffen, sind es verschieden Größen.

Und das ist in der Regel auch gut so. (Lenin, Robespierre und Mao lassen grüßen.) Bevor sich also Macht und Intelligenz unvorteilhaft oder dauerhaft verbünden oder uns der Klischeeintellektuelle zum Fremdschämen einlädt, geben wir doch einfach zu: Der Intellektuelle passt nicht in die Zeit. Er passt nicht, weil er nicht passen kann und vor allem passen soll! Denn im Grunde gehört er dorthin zurück,  von wo er einst aufbrach, um die Welt zu retten: Auf den berühmten Elfenbeinturm.  Von dort kann er gern dann und wann hinabsteigen und konkret werden, aber nicht in Gestalt einer moralisierenden Dauerinstitution.

Von dort, aus der Distanz, mit Überblick, kann er seine schärfste Waffe, den Verstand, mit all der gebotenen Deutlichkeit einsetzen. Ja, wir brauchen die Schrägen, die Arroganten, die sich ihre Arroganz durch geistige Überlegenheit verdienen; die sich im Schumpeter’schen Sinne als „Störungsfaktoren“ der jeweils herrschen­den Ordnung verstehen. Der Denker, der Zweifler, der In-Frage-Steller, der Haltung dort annimmt, wo es Haltung bedarf, der Unbequeme, der sich bei aller Schärfe stets etwas Kindliches bewahrt.

„Die Intelligenz verdirbt den Sinn für das Wesentliche“, sprach Antoine de Saint Exupéry. Richtig. Denn gerade eine auf Disput und Verstand basierende Gesellschaft braucht Platz für das Unwesentliche, das durch die Benennung radikal Andersdenkender erst zum Wesentlichen werden kann und damit ins Zentrum rückt. Insofern brauchen wir den Intellektuellen, damit Beiläufiges überhaupt die Chance hat, zur Hauptsache zu werden.

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