Die Causa Hubertus Knabe - Ein Film von einem, der etwas kritisch sieht

Eigentlich sollte am vergangenen Mittwoch im Rundfunk Berlin-Brandenburg eine Doku laufen: „Sondervorgang MeToo“ von Maurice Philip Remy über die umstrittene Entlassung von Hubertus Knabe. Doch daraus wurde nichts. Remy steht im Verdacht der Parteinahme. Der Fall wirft Fragen zur Verstrickung von Politik und Medien auf.

Hubertus Knabe 2018 zu Beginn der Verhandlung der Zivilkammer am Landgericht / dpa
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Maurice Philip Remy, Jahrgang 1962, ist das, was man vor der Ära Merkel einen Gerechtigkeitsfanatiker genannt hätte, und zwar mit anerkennendem Unterton. Ereignisse und Vorgänge, in denen Menschen anscheinend bitteres Unrecht geschehen ist, erwecken sein Interesse als Buchautor und Filmemacher. Sollte sich seine Vermutung, seine Arbeitsthese, im Verlauf überaus gründlicher Recherchen bestätigen, so schreitet er zur Tat mit den Werkzeugen und Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen und die er beherrscht wie wenige andere: Buch, Film, Lesung, Debatte, Auseinandersetzung.

So geschah es im Fall des greisen Kunsthändlers Cornelius Gurlitt (668 Seiten starkes Sachbuch, Dokumentation für arte, zahlreiche Lesungen vor durchweg sachkundigem und namhaftem Publikum), so geschieht es nun im Falle Hubertus Knabe, über den Remy eine zweistündige Filmdokumentation für den Rundfunk Berlin-Brandenburg gedreht hat, die noch niemand außerhalb des Senders kennen kann.

Der ungeeignete Gedenkstätten-Leiter

Hubertus Knabe wurde vor drei Jahren vom Stiftungsrat unter dem Vorsitz von Kultursenator Klaus Lederer (seit 1992 PDS, jetzt Die Linke, derzeit erneut Spitzenkandidat seiner Partei für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus) gekündigt, weil er nicht konsequent und verständnisvoll genug auf Vorwürfe und Hinweise reagiert habe, sein Stellvertreter Helmuth Frauendorfer habe Praktikantinnen und Volontärinnen sexuell belästigt. Im ganzen Haus herrsche sogar ein struktureller Sexismus. Frauendorfer soll junge Frauen mit nächtlichen SMS und Berichten über Besuche im Bordell oder im Swingerclub belästigt haben und ihnen auch körperlich zu nahe gekommen sein.

Knabe habe diese Vorwürfe seit 2016 gekannt, sei aber nicht wirklich eingeschritten. Er habe sich deshalb als ungeeignet erwiesen, untragbare Zustände abzustellen und einen dringend notwendigen Kulturwandel einzuleiten. Deshalb, so die öffentliche Begründung für seine sofortige Suspendierung, müsse auch er die Stiftung verlassen. 

Noch am selben Tag erhielt er Hausverbot; ihm wurden nach 18 Jahren im Amt als Gründungsdirektor alle Schlüssel abgenommen und damit auch der Zugang zu jenen Unterlagen abgeschnitten, die er zur Verteidigung hätte nutzen können. 

Aus dem Lehrbuch des Stalinismus

Die Welt attestierte Dr. Lederer daraufhin ein Vorgehen nach dem Lehrbuch des Stalinismus und zitierte Walter Ulbricht von 1945: Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben. Lederer habe schon lange einen Vorwand gesucht, den lästigen Mahner und Forscher Knabe loszuwerden, der mit seiner Arbeit den Stasi-Knast Hohenschönhausen und dessen menschenverachtende Methoden weltweit bekannt gemacht hatte. Hohenschönhausen ist dank Knabe das Mahnmal für den diktatorischen und menschenverachtenden Charakter des SED-Regimes. Vier Frauen aus dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung nannten Knabes Kündigung in einem Protestbrief eine „politische Strafaktion“. 

Ende 2018 teilte Remy auf Facebook einen Spendenaufruf für die Gerichtskosten zugunsten Knabes. Darüber wurde der rbb kurz vor der eigentlich für letzten Mittwoch geplanten Ausstrahlung der Dokumentation von dritter Seite per Screenshot informiert. Dadurch, so der Sender, sei eine neue Situation entstanden, die eine Verschiebung unvermeidlich gemacht habe, auch wenn stets klar gewesen sei, dass der Autor die Entlassung Knabes eher kritisch sieht

Zugleich räumt der Sender aber ein, dass diese Parteinahme vor der Auftragsvergabe stattgefunden hatte. Während Lederer ohne jedes persönliche Risiko als Senator juristisch gegen Knabe vorgehen konnte, musste dieser alle Prozesskosten nunmehr ohne Job, ohne Zugang zu entlastenden Dokumenten und öffentlich desavouiert und vorverurteilt selbst tragen. Das fand der Filmemacher ungerecht. Was ihm nun den Vorwurf des angeblich bass erstaunten rbb einbrachte, Remy habe sich aktiv bei Facebook an der Diskussion beteiligt.     

Auf der Suche nach Vielfalt

Remy selbst dürfte damals vermutlich am meisten über den Auftrag des Senders gestaunt haben, hatte der rbb doch mit seinen Recherchen, die offensichtlich aus Quellen aus der Umgebung des Kultursenators sowie der Kulturstaatsministerin Monika Grütters gespeist wurden und in denen das Vorgehen gegen Knabe im Ergebnis nie in Frage gestellt wurde, erheblichen Anteil an dessen Abberufung und Rufzerstörung. Man habe im Jahr darauf Remy beauftragt, weil man es richtig gefunden habe, eine weitere Stimme zu Wort kommen zu lassen, schrieb der rbb nun. Zuvor müsse aber die frühere Rolle Remys transparent gemacht werden. Deshalb habe sich die Ausstrahlung um acht Wochen verschoben. 

Von irgendwelchen Transparenzgeboten gegenüber bisherigen rbb-Autoren ist in dieser Sache jedoch nichts bekannt – und in anderen auch nicht. Das Vorgehen trägt Züge von Albernheit. Wirklich plausibel wirkt die Vorgehensweise nicht. Remy selbst hat sich schon vor längerer Zeit fast völlig von Facebook zurückgezogen und postet nichts mehr.    

Aber: Die Entscheidung des Senders ist natürlich zu sehen vor dem Hintergrund der aktuellen Berliner Wahlumfragen. Die Linke fürchtet mit guten Gründen, dass die SPD im Abgeordnetenhaus eine Koalition mit CDU und FDP anstrebt und Grüne und Linke in die oppositionelle Wüste schicken will, wo sie dann schmoren würden an der Seite der AfD. 

Lederer und seine Genossen, deren Bilanz nach 2016 deutlich mehr schwere Niederlagen als Erfolge aufweist, sehen sich in der heißen Phase ihres Wahlkampfs gezwungen, selbst in ihren bisherigen Ostberliner Hochburgen um jede Stimme zu kämpfen. Ein Film über die Rolle der Linken in der Causa Hohenschönhausen käme ungelegen.  

Schlechtes Timing

Die Vermutung liegt jedenfalls nicht fern, dass die Entscheidung in letzter Minute, Remys Film erst vier Wochen nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus auszustrahlen, keine sachlichen Gründe hat ein filmischer Hinweis auf Remys Spendenaufruf, sofern man ernsthaft dabei bleiben möchte, ließe sich innerhalb von maximal zwei Tagen realisieren , sondern auf eine Intervention Lederers bei Intendantin Patricia Schlesinger zurückgeht. 

Diese allerdings ist selbst ausgewiesene Dokumentarfilm-Expertin. Wenn jemand weiß, dass es hier alleine um die Korrektheit der Darstellung geht, dann ist sie das. Ist diese Korrektheit gegeben, liefert Remy stichhaltige Fakten und Beweise, dann können alte Facebook-Posts nicht einmal mehr peripher ins Gewicht fallen. Entweder es stimmt, was er im Film bringt, oder es stimmt nicht. 

Deshalb spekuliert die Branche sogar, Schlesingers offizielle Begründung sei bewusst hanebüchen formuliert, um das Filmprojekt politisch und medial aufzuladen und ihm so zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das wäre eine clevere Notwehr gegen einen besonders dreisten Versuch einer politischen Intervention.  

Fehlende Diskussion?

Um so peinlicher eine Stellungnahme der Berliner und Brandenburger Sektionen des Deutschen Journalistenverbands DJV. Diese entblöden sich nicht, dem penibel arbeitenden Journalisten Remy ohne geringste Kenntnis von Arbeitsweise und Ergebnis in den Rücken zu fallen und ihn als irgendwie toxisch und rechtsaffin abzuqualifizieren. 

Remy habe die Entlassung schon zuvor kritisch gesehen und sei an Knabes Seite marschiert. Remy sei kein unbeschriebenes Blatt, sondern in den 90er Jahren beteiligt gewesen an Hitler-Dokumentationen von Guido Knopp für das ZDF. In seinem arte-Film Der seltsame Herr Gurlitt habe er sich zum Fürsprecher der Gurlitts gemacht, die Frage der Raubkunst also verharmlost

Wenn der rbb nun schon einen erschreckenden Mangel an Aufmerksamkeit gegenüber diesem Autor bewiesen habe, dann müsse die Erstausstrahlung so der DJV in seinem Fazit am 27. Oktober selbstverständlich durch eine anschließende Diskussion eingeordnet, also entschärft werden. Dass Remy beweisen konnte, wie armselig die Substanz der Raubkunst-Vorwürfe gegenüber dem schwerkranken Greis Gurlitt war, haben die Kollegen vom DJV zwar auch mitbekommen, hinderte sie aber nicht an ihren Warnhinweisen.  

Fehlendes Vertrauen in Zuschauer?

Nach allem, was bisher über die Rechercheergebnisse und den Film selbst bekannt ist, auch durch den rbb selbst, ging Maurice Philip Remy in Wirklichkeit auch hier völlig ergebnisoffen an den Fall heran und lässt Protagonisten und Dokumente in maximaler Ausführlichkeit für sich selbst sprechen. Mit allen Möglichkeiten der Verteidigung, der Untermauerung, aber auch der Blamage und Selbstdekonstruktion, die etwa großer Mitteilungsdrang in einer peniblen zweistündigen Aufarbeitung bietet. 

Der Sender hat den Film abgenommen soweit bekannt, ohne jeden Einwand gegenüber der Sendefassung. Von irgendwelchen inhaltlichen Vorbehalten ist in den bisherigen rbb-Vorbehalten mit keiner Silbe die Rede. Sie kämen auch jetzt zu spät. 

Soviel lässt sich damit heute schon sagen: Der Informationsstand wird nach der Ausstrahlung ein anderer sein. Was Zuschauerinnen und Zuschauer aus diesem machen, ist in klassischer, aber leider nicht mehr durchweg gepflegter öffentlich-rechtlicher Tradition ihre Sache. 

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