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(Ernst Jandl und Friederike Mayröcker; Foto: Wolfgang H. Wögerer, Wien, Austria) Hand- und Herzgefährten

Ernst Jandl - Hand- und Herzgefährten, ganz ohne Kochtopf

Jahrzehntelang wurden Friederike Mayröcker und Ernst Jandl als kommunizierende Gefäße der österreichischen Literatur wahrgenommen. Aber ein Poeten-Duo wollte das Paar nie sein

Unlängst wurde der kleine Wiener Schlüsselpark – er schließt seine Tore mit Einbruch der Dunkel­heit – in Ernst-Jandl-Park umbenannt, im Beisein, wie es in der Agenturmeldung hieß, seiner «einstmaligen Lebensgefährtin Friederike Mayröcker». Die Dichterin entledigt sich der Aufgaben einer Dichterwitwe, wie das Foto zeigte, mit melancholisch-scheuer Freude. Was aber nicht heißt, dass sie darüber das Dichten aufgegeben hätte, im Gegenteil: Seit Jandls Tod vor fünf Jahren hat sie Buch um Buch in memoriam herausgebracht – das «Requiem für Ernst Jandl» (2001), «Die kommunizierenden Gefäße» und den Gedichtband «Mein Arbeitstirol» (2003), jüngst den Erinnerungstext «Und ich schüttelte einen Liebling».

Im Jahr 1954 hatten die beiden zusammengefunden, zwei Englischlehrer mit literarischen Ambitionen: «die ehe zu vermeiden, dauerte einige jahre, dann hatten wir es geschafft. (…) unser leben ist, seit vierzig jahren ein gemeinsames, ohne eine gemeinsame wohnung, und ohne kochtopf.» Das sagte Ernst Jandl in einer «rede an friederike mayröcker» zum 70. Geburtstag. Bis zuletzt, als seine Gesundheit schon stark angegriffen war, verlief ein Gutteil der täglichen Kommunikation zwischen den beiden übers Telefon. Zum Schreiben musste ein jeder allein sein, man traf sich danach, um einander das Entstandene zu zeigen, um Kritik auszutauschen.

Mit den Klischees, die von schreibenden Paaren im Umlauf sind, hat diese Beziehung, wie Klaus Kastberger in seinem Beitrag zu einem neuen, üppig illustrierten Jandl-Sammelband einleuchtend darlegt, wenig zu tun. (Zu Jandls 80. Geburtstag ist soeben auch eine Ausgabe seiner Kriegsbriefe erschienen.) Gegen das Abgestempelt-Werden zum Poeten-Duo haben Mayröcker und Jandl sich lange und hartnäckig gewehrt, sie wollten keine gemeinsamen Auftritte, Besprechungen, Portraits. Noch in seinem letzten Lebensjahr empörte Jandl sich über ein nicht autorisiertes Maskenball-Foto von Joseph Gallus Rittenberg, das ihn als Clown und seine «Fritzi» als Prinzessin zeigte. Bei Jandl war wohl auch die Sorge im Spiel, er als der Populärere, der fulminante Vorleser und bärbeißige Interviewpartner, könnte die Introvertierte in den Schatten stellen.

Als Charakteristikum für das Zusammengehören dieses Paares hat Heinz Schafroth einmal den Schrägstrich – nicht das «und», nicht den Bindestrich – ausgemacht, den Schrägstrich, den Mayröcker so liebt, weil er durchsichtig sei und zugleich Distanz erzeuge. Zwischen den Œuvres der beiden scheint freilich eher ein trennen­der Punkt oder Doppelpunkt angebracht. Jandl hat die Erläuterung ihrer unterschiedlichen Auffassungen einmal mit dem überraschenden Bekenntnis verbunden, sie beide seien «christen»: «friederike mayröcker nennt den, oder einen, heiligen geist die quelle ihrer inspiration; es gibt, für sie, in ihrer kunst etwas, das von außen kommt, und zwar von oben, während ich nicht sicher bin, wo oben ist.»


Große Literatur und deutscher Kleinkunstpreis

So disparat Mayröcker und Jandl in Thematik und Ton anmuten: sie haben das ganz Andere am Anderen stets bewundert. Ernst Jandl neigte dazu, den Höhenkunst-Nimbus seiner Gefährtin noch zu nähren, sie habe, «von so vornehmen geistern wie bach und hölder­lin angeführt, (…) in ihrer kunst eine glorreiche höhe erklommen». Er selbst deklarierte sich in kokettem Understatement als Vertreter einer «aufgeklärten massenkultur»: «F. M. schreibt große Literatur, und ich erhalte den deutschen Kleinkunstpreis.»

Nur unter vier Augen – Mayröcker hat sich immer wieder darauf bezogen – kritisierte er das Abgehobene, das Elitäre ihrer Produktion, der zu folgen ihm immer schwerer falle. Zugleich war der um ein Jahr Jüngere der unbestrittene Außenminister des Paares, Sprachrohr in allen Angelegenheiten des Literaturbetriebs, der ihn als Popstar und sie als scheue Dichterin und beide als Eheleute wahrnahm: «garnicht einfach, sie auch in die akademie der künste in berlin zu bringen – eheleute in der gleichen abteilung, das kommt doch nicht in frage. und den büchner-preis hat ja schon ihr gatte, ernst jandl.» Der wusste, dass auch Poetinnen Menschen aus Fleisch und Blut sind, denen es in ihrer zugewucherten Zettel- und Bücherklause nicht gleichgültig ist, was man draußen von ihnen denkt. Mayröcker hat den Büchner-Preis 2001 bekommen, ein Jahr nach Jandls Tod.

Die Führungsrolle des «Hand- und Herzgefährten» hat sie in einem «Vierzeiler für E. J.» unmissverständlich bekannt: «du bist der Herr / ich bin der Knecht / ich bin ein Tragtier auch / (zurecht) (‹ein Plagetier›)». Dennoch taugt diese Dichtergenossin nicht für den Part der zweiten Geige, wie Klaus Theweleit ihn für die typische kreative Muse beschrieben hat. Der Vierzeiler ahmt Jandls lakonisch-brachiale Reimfügung nach, aber er relativiert die Stringenz zum Schluss durch typisch Mayröcker’sches Lavieren, durch ein zauderndes Einverständnis in Klammern, durch ein Zitat.


Über Liebe schreiben – unflätig oder idyllisch?

Dieses schreibende Ich lässt sich seine Sprache nicht nehmen, die Beeinflussung ist wechselseitig; vielleicht hat Klaus Kastberger recht, und es passt der Schrägstrich doch auch zwischen die Werke der beiden, als Grenze und zugleich als doppelter Spiegel, hier die programmatische Reduktion, dort das Sich-Verschwenden im Schöpferischen.

Die emotionale Fallhöhe zwischen Mayröckers und Jandls Texten über die Liebe vergröbert das Raster des Vergleichs. Zu ihrem Gedicht «Winter-Nachtigall» bemerkte er: «Und warum nicht gleich ‹Kopulation im Auto›?» Die de-erotisierende Unflätigkeit, die Jandl etwa in «älterndes paar. ein oratorium» geradezu niederschmet­ternd vorexerziert hat, war die eine Tonlage, die ihm in eroticis passend schien, die andere war mehr oder minder gutmütiger Spott. Geradezu idyllisch für Jandls Verhältnisse sein «Gstanzl» über die gemeinsame Sommerfrische – «hotel puchberger hof»: «i friis mai suppn / du schaust dawäu dei bost aun / so brauch ma nix reedn / dafia schlogt uns de kost aun.»

Das unsauber gereimte «Tragtier»/«Plagetier» in Mayröckers «Vierzeiler» deutet auf eine tragende Rolle im (getrennten) Haushalt, auch auf die Bürde der Verantwortung für Alltägliches, die viele der Dichterin nicht zutrauen würden. Ernst Jandls zyklothyme Veranlagung, die sich in seinem Werk (als Depression etwa in der Sprechoper «Aus der Fremde») widerspiegelt, verlangte der Partnerin einiges ab: Je älter und kränker er wurde, desto mehr wurde sie zur Aufsichtsperson, das Kräfteverhältnis schien sich verkehrt zu haben.

In «Und ich schüttelte einen Liebling» spricht Friederike Mayröcker zum ersten Mal unverdeckt von sich und ihrem Lebensmenschen, von ihrem vermeintlichen Versagen, in seinen letzten Tagen, und überhaupt – sie referiert «EJs» Klagen, sie sei «keine gute Frau», sei zu ehrgeizig, lebe nur für ihre Arbeit. Sie spricht über das Mitreißende seiner Erwartungen und über seine Reaktion auf ihre frühen Gedichte: herzliches Lachen; die bekennende Humorlose musste erst lernen, das als Lob zu deuten. Wir erfahren, was Ernst Jandl am Morgen seines Todestages gesagt, wie ihm 1955 die erste Cola geschmeckt hat, dass die beiden sich auf ihre alten Tage einig waren in ihrer Trauer über den «SPRACHVERLUST», den der Siegeszug des Englischen dem Deutschen beigebracht habe, und dass sie doch einmal ein Jahr zusammengewohnt haben, in Berlin, in einer «groszen Wohnung in einer schönen Villa».
 

Treue zur kontrollierten Ausschweifung

«ich schreibe jetzt figural», behauptet das Ich immer wieder fast trotzig, offenbar gegen eigene frühere Erzählbedenken und ästhetische Selbstfesselungen. Diese Prosa entblößt sich, stilistisch und persönlich, doch sie ist nie kunstlos – auch Schreib- und Denkfiguren sind «figural», Mayröcker bleibt der kontrollierten Ausschweifung treu. Die neue Lust am Zusammenhang ermutigt sie indes zu konzisen Aussagen über sich selbst, immerhin spricht sie von diesem Buch, dessen Entstehungsgeschichte wir hier einmal mehr zugleich erleben, unverblümt als «Beichte»: «Und ich hatte gerne diesen Vorhang vor meinem Gesicht, meine Haare, und das Beruhigungsmittel (Demetrin, 50 Stück) holt mich herunter aus meinem Himmel, nämlich Ausnahmezustand.» Oder: «Ich wuszte nie etwas zu sagen, ich war nicht fähig ein Gespräch zu beginnen oder auf ein Gespräch einzugehen (…), ich unterhalte mich lieber mit mir selbst oder ich lese in einem Buch.»

Der Titel gibt eine in sich verzahnte Zweiheit vor, die Liebesgeschichte und die Schreibanstrengung. «Und ich schüttelte einen Liebling»: das hat eine aggressive Note, es steckt eine – noch so liebevolle – Handgreiflichkeit drin; und es evoziert die Vorstellung einer emsigen Frau Holle, die so lange die Federbetten der Notizzettelchen aufschüttelt, bis kristalliner Wortschnee herniederfällt. Der Leser darf sich dann berieseln lassen, er soll sich, geht es nach der Autorin, nicht anstrengen müssen.

Mayröckers Poetik ist eine des Kaleidoskops – das einen Liebling schüttelt –, aber es fügen sich auch andere Erinnerungsmuster und -bilder ein, Vater und Mutter, eine große Liebe namens Ely, viele namentlich genannte Freundinnen und Freunde – man muss nicht alle biografischen Anspielungen und Private Jokes verstehen, um von der Intensität des Textes berührt zu werden. May­röckers «Psychomontage» (Reinhard Priessnitz) funktioniert radikal subjektiv, ganz auf die überempfindliche Weltwahrnehmung eines Ichs angelegt, jedoch nicht solipsistisch.

Die Memoiren und Memorabilien eines gemeinsamen Dichterlebens sind, samt Trauerflor, hineingewirkt in ein Gewebe aus lyrischen Glanzlichtern, bedenkenlos angeeigneten Lektüre-Funden und poetologischen Selbstbeschreibungen, die mitunter den merkwürdigen Eindruck erwecken, Mayröcker wolle den Germanisten die Arbeit abnehmen. Ihre Kunst ist jedenfalls, so opulent sie wirkt, zu einem Gutteil Auswahl und Aussparung, nicht bloß die wilde Jagd («im luziden Fiaker Fieber»), sondern auch das unvermittelte Innehalten, die Ernüchterung im rettenden Schreibrausch: «Heute morgen nach dem zweiten Erwachen denke ich über den Satz von Gertrude Stein nach, der lautet: ‹ich bin ich weil mein kl. Hund mich kennt›, und als EJ starb hatte ich den gröszten Teil meiner Identität eingebüszt.»

Man kann, das legt Mayröckers großartig unpathetischer Epitaph nahe, es sich auch häuslich einrichten in Trauer und stiller Verzweiflung. Das Lebendigwerden der Toten in der Schrift hat etwas Tröstliches. Und tröstlich müsste für die Dichterin auch sein, was der Gefährte ihr zu Lebzeiten zugebilligt hat: Kunst «läßt sich nur bewerkstelligen mit dem anspruch, vor allem an einen selbst, auf einen ersten platz». In seiner Geburtstags-Eloge zeigte Jandl nicht nur Verständnis für die Macht des Ehrgeizes, da verzichtete er ausnahmsweise auch auf den Schutz der Ironie: «doch hätten wir von ihr und ihrem werk kaum etwas erfaßt, würden wir nicht in jeder ihrer äußerungen die unerschöpfliche kraft ihrer liebe erkennen.»

 

Daniela Strigl, Jahrgang 1964, ist Literaturkritikerin und Jurorin beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis. Sie lebt in Wien.

 

Friederike Mayröcker
Und ich schüttelte einen Liebling
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2005. 239 S., 19,80 €
Requiem für Ernst Jandl
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2001. 48 S., 12,80 €

Bernhard Fetz (Hg.)
Ernst Jandl. Musik Rhythmus Radikale Dichtung. Profile 12
Zsolnay, Wien 2005. 255 S., 17,90 €

Ernst Jandl
Briefe aus dem Krieg. 1943–1946
Hg. von Klaus Siblewski.
Luchterhand, München 2005. 171 S., 16,90 €

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