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Nichts für kalorienzählende Selbstoptimierer: Grünkohl mit Pinkel / dpa

Rezept für Grünkohl mit Pinkel - Deftig, deftiger, am deftigsten

Als Kind hat Rainer Balcerowiak Grünkohl gehasst, Aber Jahre später hat ihn ein friesischer Nachbar mit der wundersamen Hilfe von Pils und Korn bekehrt. Und jetzt wird es wieder mal Zeit für dieses deftige Gericht, findet er.  

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Zu den Lebensmitteln, die ich in meiner Kindheit regelrecht gehasst habe, gehört Grünkohl. Zwar gab es den bei meinen Eltern nur einmal im Jahr, als Beilage zur Gans am 1. Weihnachtsfeiertag.

Doch schon Wochen vorher meldete ich prophylaktisch meine strikte Weigerung an, diese „Pampe“ zu mir zu nehmen, deren Konsistenz, Geruch und Geschmack mir zutiefst zuwider waren. Meine Eltern nahmen es mit Gleichmut und servierten mir stets eine „Extrawurst“ in Form von Rotkohl. Klöße mochte ich übrigens auch nicht, ich bekam dann Kartoffeln.

Vom Grünkohl-Verächter zum Fan

Natürlich hat sich diese durchaus altersgerechte Trotzhaltung irgendwann verflüchtigt, und aus der tiefen Abneigung wurde dann schlichtes Ignorieren. Grünkohl fand einfach nicht statt. Doch in dem recht gemütlichen Schöneberger Altstadtquartier, in dem ich lange wohnte, kam die Wende.

Denn zu meinen Nachbarn gehörte auch ein waschechter Ostfriese, der einmal im Jahr in der örtlichen Kiezkneipe zu einem großen Grünkohlessen lud und mich auch in die Geheimnisse der Zubereitung einweihte. Ein echter Traditionalist, der sich die für das Gericht unverzichtbaren Pinkelwürste und Mettenden vom Fleischer seines Vertrauens in Aurich schicken ließ.

Ein Kopfnicken als Michelin-Stern

Die denkwürdigen Grünkohl-Gelage, die von erstaunlichen Mengen Pils und Korn (beides natürlich auch aus Friesland) flankiert wurden, haben mich nachhaltig beeindruckt. Doch es sollten noch einige Jahre vergehen, bis ich mich erstmals selbst an die recht zeitaufwändige Zubereitung wagte. Zum Essen wurde natürlich auch der friesische Nachbar geladen, und sein wohlwollendes Nicken empfand ich als meinen ganz persönlichen Michelin-Stern.

Gelegentlich habe ich Grünkohl mit Pinkel auch aushäusig verspeist, doch daraus wird in diesem Winter ja wohl nichts. Also wieder selber kochen. Die Erinnerungen an die klassische Rezeptur sind im Laufe der Zeit aber stark verblasst. Meinen leider verstorbenen friesischen Lehrmeister kann ich nicht mehr fragen, und gegenüber Rezepten aus Kochbüchern hege ich ein gesundes Misstrauen. Aber eine überzeugte norddeutsche Genuss-Patriotin, die zwar nicht in Friesland, aber immerhin in Hamburg lebt, bot ihre Hilfe an und schickte die entscheidenden Tipps. Und dann ging‘s los – und zwar in zwei Tagesetappen.  

Einfach lange köcheln lassen

Tag 1. Grünkohlblätter von den Stielen zupfen, waschen, abtropfen lassen, kurz blanchieren, erneut abtropfen lassen und grob hacken. Im großen Topf Zwiebeln in Schweineschmalz anschwitzen, Schweinebauch und durchwachsenen geräucherten Speck (im Stück) und Grünkohl dazu, mit Gemüsebrühe ablöschen und zwei Stunden köcheln lassen.

Ab und zu zu ein wenig Gemüsebrühe nachgießen, damit es nicht anbrennt.  Man kann auch noch Kassler-Kamm oder Schweinebäckchen dazugeben, muss aber nicht sein. Salz und Pfeffer braucht man -wenn überhaupt - nur sehr wenig, aber Kümmel kommt ganz gut. Beiseite stellen

Auf die Würste kommt es an

Tag 2. Jetzt geht‘s um die Wurst. Wir haben friesische Pinkelwürste aus Speck, Hafer- oder Gerstengrütze und Gewürzen sowie friesische Mettenden besorgt. Die stechen wir leicht ein, damit sie noch kräftig Aroma abgeben. Rein damit in den Grünkohltopf und alles nochmal eine Stunde schwach köcheln lassen.

Kurz vor Schluss nehmen wir Bauch und Speck raus, gewürfelt kommt das wieder zurück. Dazu gibt‘s Salzkartoffeln, Pils und hinterher einen friesischen Korn oder Kümmel. Vielleicht auch zwei. Möglicherweise hat man zu viel gekocht. Kein Problem: Am nächsten Tag schmeckt der Grünkohl fast noch besser. Und wenn dann immer noch was übrig ist – einfach einfrieren.

Nichts für kalorienzählende Selbstoptimierer 

Grünkohl mit Pinkel ist sicherlich nichts für kalorienzählende Selbstoptimierer. Inzwischen gibt es natürlich auch eine vegane Variante. Aber die ist  – Überraschung! –  geschmackspolizeilich streng VERBOTEN! Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie den amtierenden Grünkohl-König Robert Habeck

Für den für diese Kolumne regelmäßig befragten Ernährungssoziologen Daniel Kofahl ist klassischer Grünkohl mit Pinkel schlicht Ausdruck einer kulinarischen Kultur, „sich auch unter unwirtlichen Bedingungen (Winter) zu nähren und zu leben“. Der „deftige Wohlgeschmack“ schaffe „physiologische und soziale Behaglichkeit.“ Dies sei ein Nährwert, „der in den modernen Ernährungswissenschaften leider sträflich unbeachtet bleibt.“ Kofahl hat  – wie eigentlich fast immer – Recht.

 

Grünkohl mit Pinkel

Zutaten für vier Personen:

1 kg frischer Grünkohl

50 g Schweineschmalz

2 Gemüsezwiebeln

200g Schweinebauch

200g durchwachsener Räucherspeck

250ml Gemüsebrühe

4 Pinkelwürste

4 Mettenden

Gemüsebrühe, Salz, Pfeffer, Kümmel

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Bernd Muhlack | Sa., 12. Dezember 2020 - 16:41

Werter Herr Balcerowiak, ich habe Sie zunächst gar nicht erkannt, auch ohne Maske!
So einfach ist das mit dem "Korrigieren" älterer Artikel, nicht wahr?
Immerhin ist auf Ihrem Blog "Genuss ist Notwehr" das vertraute Bild vorhanden.

Grünkohl mit Pinkel?
Zusammen mit einem Kollegen war ich einmal auf einer Wochenend-Fortbildung in Göttingen.
Ein örtlicher Kollege nahm uns des Abends in die Kneipe seines Bruders mit - solch eine richtig urgemütliche "Kaschemme" mit ollen, derben Holztischen, knarrendes Schiffsparkett, ein Tresen, ein Kicker und Billard.
Na klar, es gab Grünkohl mit Pinkel, dazu die besten Bratkartoffeln seit der "Unerreichbaren" meiner (hier meist erwähnten) Oma Miechen.
Dazu ein herbes Bier einer kleinen örtlichen Brauerei sowie ein "Selbstgebrannter", eigene Destillation.
Einer dieser Abende die zwei Tage andauern, nicht wahr?

Nein Prof. Dr. Karl Lauterbach war nicht dabei - andere Fakultät, andere Lebensweise!

Manfred Westphal | Sa., 12. Dezember 2020 - 18:08

Also mein lieber Herr Balcerowiak, Schweinebacke ist ein absolutes Muss, falls was überbleibt schmeckt auch kalt mit Senf auf Schwarzbrot köstlich und bei Ihnen fehlen ja die in Zucker und Butter gebratenen
( vorher als Pellkartoffeln gekocht) kleinen Grünkohlkartoffelchen, genannt auch Drillinge, Wer keinen Korn mag, es gibt auch einen prozentigenGrünkohlschluck, der heisst tatsächlich so.

Edgar Timm | Sa., 12. Dezember 2020 - 23:11

Nachdem Generationen von Hausfrauen auf Lüders Grünkohl aus der Dose geschworen haben, stellte ich anlässlich einer Studie im Supermarkt fest, dass dieses Luxusprodukt von der Firma Ebbrecht abgefüllt wird, die wiederum zur Lipperland Konserven GmbH & Co.KG gehört. Und diese beiden Unternehmen verkaufen unter ihrem Namen ebenfalls Grünkohl in Dosen - allerdings deutlich billiger. Signifikante Qualitätsunterschiede konnte ich nicht erkennen. Inzwischen nehme ich aber lieber tiefgekühlten Kohl, der in unserem Supermarkt in großen Tüten angeboten wird und sich kaum von frisch selbst gekochtem Kohl unterscheidet. Ansonsten wird der Grünkohl zubereitet wie beschrieben - wir fügen jedoch noch ein paar Teelöffel Senf hinzu, kaufen die dreifache Menge Mettenden und verzichten auf die Pinkelwürste. Dazu gibt es noch die leckeren süßen kleinen karamellisierten Zuckerkartoffeln.