Abschiedsspiel im Münchner Olympiastadion: Gerd Müller 1983. / dpa

Gerd Müller ist tot - Abschied einer Fußball-Legende

Tore waren sein Markenzeichen. Das wichtigste schoss Gerd Müller im WM-Finale 1974. Der FC Bayern verdankt dem Torjäger seinen rasanten Aufstieg zum Topclub. Die schwere Erkrankung des „Bombers“ berührte die Nation. Nun ist der frühere Weltklasse-Torjäger gestorben.

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Die Wohlfühlzone im Leben von Gerd Müller umfasste exakt 665,28 Quadratmeter. Denn als Fußballer war der nur 1,76 Meter große Stürmer der König des Sechzehnmeterraums. Wenn der „Bomber der Nation“ in Tornähe an den Ball kam, hat es meistens Bumm gemacht.

Kein deutscher Angreifer vor und nach ihm erreichte seine Klasse. Keiner erzielte so viele Tore. Es müllerte in praktisch jedem Spiel. Der Strafraumstürmer Müller erledigte seinen Job in den Stadien auf unnachahmliche Weise: Er traf blitzschnell aus der Drehung, im Fallen und im Sitzen, mit links oder rechts und mit dem Kopf. Ganz egal. Der Sechzehner war sein Reich. Am frühen Sonntagmorgen ist Müller im Alter von 75 Jahren gestorben, wie sein einstiger Verein mitteilte.

„Gerd wird für immer in unseren Herzen sein“

„Heute steht die Welt des FC Bayern still“, äußerte Vereinspräsident Herbert Hainer. „Die Nachricht von Gerd Müllers Tod macht uns alle tief betroffen. Er ist eine der größten Legenden in der Geschichte des FC Bayern, seine Leistungen sind bis heute unerreicht und werden auf ewig Teil der großen Geschichte des FC Bayern und des gesamten deutschen Fußballs sein“, sagte der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn und versprach: „Gerd wird für immer in unseren Herzen sein.“

„Gerd Müller war der allergrößte Stürmer, den wir in Deutschland hatten“, hatte Ex-Bundestrainer Joachim Löw 2015 zum 70. Geburtstag des Torjägers gesagt. Dieses Urteil gilt über seinen Tod hinaus. Schon der damalige Ehrentag des Weltmeisters (1974), Europameisters (1972) und des mit Abstand erfolgreichsten Torschützen der Bundesliga (365 Tore in 427 Partien) musste ohne große Feierlichkeiten begangen werden. Der traurige Grund: Gerd Müller hatte Alzheimer. Er lebte seit Jahren in einem Pflegeheim. Dort wurde er bis zuletzt professionell betreut.

Alzheimer-Erkrankung öffentlich gemacht

Bei der heimtückischen Erkrankung geht das Gedächtnis verloren. Das Wesen des Betroffenen verändert sich. Der FC Bayern hatte die schwere Erkrankung wenige Wochen vor Müllers 70. Geburtstag publik gemacht. Das Schicksal des von vielen nur „Bomber“ genannten Müller berührte über die Fußballszene hinaus viele Menschen in Deutschland.

Zum 75. Geburtstag sprach Uschi Müller über den Gesundheitszustand ihres Mannes. „Er ist immer ein Kämpfer gewesen, war immer tapfer, sein ganzes Leben lang. Das ist er auch jetzt. Der Gerd schläft seinem Ende entgegen“, schilderte sie in der „Bild“-Zeitung.

Fußball-Idol Uwe Seeler, in der Nationalmannschaft lange Sturmkollege Müllers, sprach von Traurigkeit, als er von Müllers Erkrankung erfuhr. Uli Hoeneß nannte das Los des alten Kameraden furchtbar. Für den Vereinspatron des FC Bayern war „der Gerd“ stets mehr als ein großartiger Fußballer. Er vor für ihn vor allem „ein feiner Mensch“.

Uli Hoeneß half ihm entschlossen

Hoeneß, der in den großen Bayern-Zeiten in den 1970er Jahren an der Seite Müllers stürmte, zählte zu denen, die auch in der größten Lebenskrise des sportlich so erfolgreichen Profis da waren und entschlossen halfen. Denn das Leben abseits des Rasens beherrschte Müller nicht derart wie den Ball und die Vorstopper im Strafraum.

Der Sieg über seine Alkoholkrankheit Anfang der 1990er Jahre war der vermutlich wichtigste im Leben des gelernten Webers aus Nördlingen. „Nach vier Wochen bin ich aus der Kur gekommen. Es in so kurzer Zeit zu schaffen, das war schon eine Leistung“, erzählte Müller bei einem Treffen im Herbst 2007 in München mit Stolz. Damals wirkte er als Co-Trainer der Bayern-Amateure an der Seite von Hermann Gerland.

Spätere Weltmeister wie Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller oder Toni Kroos profitierten von seinem Erfahrungsschatz. Es war eine Aufgabe, die den bodenständigen Müller ausfüllte, glücklich und zufrieden stimmte. „Der Verein ist alles für mich“, sagte er damals.

Der FC Bayern hat Müller den steilen Aufstieg zu verdanken 

Trotz Franz Beckenbauer, trotz Uli Hoeneß – den steilen Aufstieg zur Nummer 1 im deutschen Vereinsfußball hatte der FC Bayern besonders Müllers Toren zu verdanken. „Was der FC Bayern heute darstellt, mit diesem Palast an der Säbener Straße – ohne Gerd Müller wären die Leute da immer noch in dieser Holzhütte von damals“, lautet ein Satz, mit dem Beckenbauer gerne Müllers Bedeutung beschrieb: „In meinen Augen ist er der wichtigste Spieler in der Geschichte des FC Bayern.“

Das Einzigartige hat auch Weltmeister Miroslav Klose stets betont. Als er Müller kurz vor der WM 2014 in Brasilien nach 40 Jahren als Rekordtorjäger der Nationalelf ablöste, sagte Klose: „Gerd Müller darf man mit keinem anderen Stürmer vergleichen.“ Klose zeichnet eine feine Eigenschaft aus, die auch Müller innewohnte: Bescheidenheit.

Der inzwischen 43-Jährige führt die DFB-Rangliste mit 71 Treffern an. Klose benötigte für die Bestmarke aber 137 Länderspiele. Müller traf in nur 62 Partien für Deutschland 68 Mal – eine phänomenale Quote von 1,1 Treffern pro Einsatz.

Das Tor für die Ewigkeit schoss er am Ende seiner viel zu früh beendeten DFB-Karriere. Im WM-Finale 1974 erzielte er im Münchner Olympiastadion das 2:1 gegen die Niederlande. „Ich habe schönere Tore gemacht, aber das wichtigste war dieses Weltmeistertor“, sagte er.

Karriere in den USA ausgeklungen

Wenn Müller nach seiner Karriere, die 1982 unrühmlich in den USA ausgeklungen war, seinen Nachfolgern zusah, stellte er sich die immer gleiche Frage, wenn ein Schuss oder Kopfball nicht im Tor landete. „Hättest du den reingemacht?“ Vermutlich ja. Müllers 40 Tore in der Saison 1971/72 waren fast ein halbes Jahrhundert Bundesligarekord. In der vergangenen Saison übertraf ihn der heutige Bayern-Torjäger Robert Lewandowski. Der Weltfußballer aus Polen schaffte 41 Treffer.

Als Müller 1964 als 18-Jähriger vom schwäbischen Amateurligisten TSV 1861 Nördlingen zum FC Bayern wechselte, wurden seine Tore mit einem Grundgehalt von 160 Mark im Monat entlohnt. Heutzutage würde er mit Millionen Euro überschüttet. Doch ein Profileben in Zeiten von Twitter, Facebook, Instagram und täglichem Medienrummel wäre für Müller garantiert eher ein Gräuel als ein Glücksfall gewesen.

Ein Weltstar ohne Glamour

Müller war ein Weltstar, aber keiner für Glamour und Rote Teppiche. „Den Franz“ beneidete er nie um dessen Status als Lichtgestalt. Beckenbauer hetzte auch nach der Spieler-Karriere weiter um die Welt. „Ich bin keiner, der gerne weg von zu Hause ist“, sagte Müller, als es ihm noch besser ging. Auf Champions-League-Reisen des FC Bayern ließ er sich von seinem Herzensclub als Attraktion für Sponsoren und Edelfans einspannen. Das genügte einem wie ihm an Aufmerksamkeit. dpa

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Karl-Heinz Weiß | So., 15. August 2021 - 15:22

Der sehr berührende Nachruf lässt die Faszination nachklingen, die einst vom Fußball ausging.

Norbert Heyer | So., 15. August 2021 - 15:41

Keiner konnte ihm das Wasser reichen. Er schoss Tore aus völlig unmöglichen Situationen, mit dem Fuß, mit der Hüfte, mit dem Kopf, mit dem Rücken - ja auch mit dem Po. Er liebte seine Gewohnheiten, Empfänge, rote Teppiche, Medienrummel - brauchte er nicht. Seine Mitspieler und alle, die ihn kannten, bezeichnen ihn als bescheiden und zurückhaltend. Als er bei Bayern aufhörte und in den USA spielte, gerät sein Leben etwas aus dem Gleichgewicht. Aber seine Freunde bei Bayern München standen ihm in dieser Lebenskrise bei, sie haben nie vergessen, wem sie ihre großen Erfolge verdankten. Er arbeitete als Trainer und konnte so seinen großen Erfahrungsschatz an den Nachwuchs weitergeben. Ich werde ihn immer so sehen, wie nach dem WM-Sieg über die Niederlande. Nach dem Schlusspfiff sank er auf dem Rasen auf die Knie und bedankte sich bei einer höheren Macht. Heute ist für alle Fußball-Freunde ein trauriger
Tag, einer der Allergrößten ist still und leise von uns gegangen, so wie er immer war.

Christa Wallau | So., 15. August 2021 - 16:24

Antwort auf von Norbert Heyer

Im Fußball ist es wie in der Politik:
Die Besten sind die Bescheidendsten, denen es nicht um sich, sondern um die Sache geht, für die sie mit Herzblut und all ihrer Kraft kämpfen.
Leider ist deren Zeit in Deutschland anscheinend für immer vorbei.

Fast haben sie der Versuchung widerstanden, einen komplett unpolitischen Nachruf auf einen komplett unpolitischen Fußballer zu missbrauchen, um ein wenig auf das Land zu schimpfen, in dem Sie leben.

Sie haben mir am Wochenende mit u.a. mit folgendem Satz geantwortet: "Wer kei Ahnung hat, soll's Maul halde!" und zitierten damit Ihren Opa. Ich stelle fest, Sie haben Ihren Opa nicht verstanden. Genau zu diesem Artikel und zum Kommentar von Frau Wallau wäre es der richtige Moment gewesen entweder zu schweigen oder etwas angepasstes zum Artikel zu formulieren. Ihr Opa war sicher ein erfahrener und wissender Mensch, wenn Sie ihn hier zitieren. Jetzt müssen Sie nur noch lernen, seine Worte verstehen zu wollen und zu beherzigen.

Ich hatte mich zuvor bereits zum Tode Gerd Müllers geäußert. Das können Sie am Ende dieses Kommentarbereichs lesen, wenn Sie wollen.
Meine Kritik an Frau Wallaus Beitrag ist gut begründet. Wenn Sie damit ein Problem haben, begründen Sie das doch inhaltlich - oder beschweren Sie sich bei der Redaktion.

Karl-Heinz Wolz | So., 15. August 2021 - 16:27

Antwort auf von Norbert Heyer

für den wunderbaren Nachruf. Ich kann alles was Sie schreiben bestätigen. Ich durfte ihn persönlich kennenlernen.

Christa Wallau | So., 15. August 2021 - 22:19

Antwort auf von Norbert Heyer

Im Fußball ist es wie in der Politik:
Die Besten sind die Bescheidendsten, denen es nicht um sich, sondern um die Sache geht, für die sie mit Herzblut und all ihrer Kraft kämpfen.
Leider ist deren Zeit in Deutschland anscheinend für immer vorbei.

Ernst-Günther Konrad | Di., 17. August 2021 - 07:50

Antwort auf von Norbert Heyer

Danke Herr Heyer für ihren einfühlsamen Kommentar. Als Kind/Jugendlicher war Müller immer derjenige, der man selbst beim eigenen Fußballspiel sein wollte. Ich erinnere mich noch daran, dass man ihn auch gerne als "Nähmaschinen Spieler" bezeichnete, weil er auf engstem Raum, wie eine Nähmaschine auf einem Stück Stoff, den Ball beherrschte und sein Tor machte. Ja, einer derjenigen die bodenständig und heimatverbunden Mensch geblieben sind. Sein wichtigste Tor hat er mit dem erfolgreichen Alkoholentzug geschossen. Möge er im Fußballhimmel seine Tortrefferliste weiter führen. RIP.

Bernd Muhlack | So., 15. August 2021 - 16:49

Die olle Werbung für müller-milch mit Gerd u Thomas Müller.

Sag beim Abschied leise Servus!

Mein Opa war HSV-Fan u ich war schon immer Schalker.
=> Gerd Müller schwebte unangefochten über den Wassern!

Unvergessen bleibt das Finale am 7. Juli 1974 in München: WIR gegen Oranje Boven - ein Erzfeind!
Das war natürlich Anlass genug für den Erwerb eines Farb-TV - im wunderbaren Erkerzimmer!
Nur Opa u der kleine Bernd waren zugelassen!
Dann der Elferschock gleich zu Beginn!
Letztlich "müllerte" uns der Gerd zur WM.
Opa hatte ne ganze Schachtel Benson & Hedges konsumiert; er wusste um sein nahes Ende - also egal!

Müller, Seeler, Libuda - ganz tolle Spieler.
Das Privatleben war ihr stärkster Gegner - wie auch bei Katsche Schwarzenbeck (ebenfalls FCB u WM 74).

Im Gegensatz dazu Kaiser Franz; alles was er anfasste wurde zu Gold - wie bei König Midas.
Als es jedoch mit der WM-Vergabe 2010 "problematisch" wurde, lies ihn das ÖRTV fallen!
Beckenbauer? Nie gehört!

Gerd, tschö mit Ö!
machet joht

Rob Schuberth | So., 15. August 2021 - 18:49

Mein Beileid für seine Familie u. Freunde.

Mit ihm ist einer der ganz Großen des Fußballs gegangen.

Ein aufrechter Typ. Einer der sich kaum etwas sagen lies, aber auch mühelos ein ganzes Team hinter sich bringen konnte.

R I P Gerd.

Meinen Sie das Tor zum 2:1 im Endspiel 1974?

Nein, das war nicht Ernst Huberty, sondern Rudi Michel!
Er war die Inkarnation des euphorischen, mitreißenden Kommentarstils.
Spitzname: Valium!
Schöne Woche!

GOOOOOOOOOL!

Hans Willi Wergen | So., 15. August 2021 - 21:08

Du warst der "Beste".
Du warst ein Jahrhunderttalent und hast meine Leidenschaft für guten Fußball zusammen mit Jupp Heynckes entfacht.
Da ich im Westen des Landes zuhause bin, habe ich mich damals für Borussia Mönchengladbach entschieden um auch öfter Heimspiele besuchen zu können.
Du wirst unvergessen bleiben.

Kai Hügle | Mo., 16. August 2021 - 09:00

Ein ganz Großer. Grauenhafte Vorstellung, dass ein so grandioser Kicker in seinen letzten Jahren keine Erinnerung mehr an Erfolge und Erlebnisse hatte, von denen fast jeder Junge, der mehr oder weniger talentfrei durch die Kreisligen gestolpert ist, buchstäblich geträumt hat.

RIP

P.S. ich empfehle die Müller-Biografie des Historikers Hans Woller!

Kurt Kuhn | Mo., 16. August 2021 - 12:29

Vor vierzig Jahren hat mir ein Arbeitskollege (der zu einer anderen Nationalmannschaft gehalten hat) gesagt, dass Hundert Jahre vergehen müssen, bis der deutsche Fußball wieder so einen "Wirbelwind" bekommen wird.
Es sieht fast genauso aus, wenn "Die Mannschaft" im Jahre 2021 ohne Mittelstürmer an einer EM teilnehmen muss.

Ich habe mal gehört, dass ein Mensch erst dann tot ist, wenn es niemanden mehr gibt, der sich an ihn erinnern kann. Das möchte hier ganz besonders gerne glauben.

Ruhe in Frieden, lieber Gerhard!