Das Journal - In Freiheit, aber in welcher

Michael Lentz stellt aus Oskar Pastiors Gedichten ein Hausbuch zusammen, eine CD bringt die nie gehaltene Büchnerpreis-Lesung zu Gehör

Auf der Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung im Mai 2006 trug Oskar Pastior ein Gedicht vor, das ausschließlich mit dem Neun-Lettern-Namens-Alphabet der Dichterin Inger Christensen arbeitete: «IN INGER CHRISTENSENS REGISTERN reicht eine chinesin ihre hirse-terrine ins reisgericht, eine geste. in ihrer strengen geste ist gerste geschichtet, in ihrer gerste gries – eine geschichte …» So beginnt der Text, und man vermutet vor allem einen Jux.

Doch ist die mutwillige Selbstbeschränkung für Pastior mehr als nur Spielerei. Er radikalisiert die Regelhaftigkeit der Sprache, pointiert die Begrenztheit allen Sprechens: auch 26 Buchstaben sind eben eine willkürliche Beschränkung, das Arsenal unserer Wörter ist begrenzt, die Regeln der Grammatik sind historisch gewachsen – es könnte alles auch ganz anders gesagt werden. «du / bist nur in Sätzen in Sicherheit, die dich wiegt, / und nur in Sätzen in Freiheit, aber in welcher»: Pastior, der 1968 aus der (auch sprachlichen) Unfreiheit des sozialistischen Rumänien floh, hat mit seinen von tradierten ebenso wie von selbsterfundenen Regeln angetriebenen Gedichten, «kleinen Kunstmaschinen», die Frage nach der Freiheit in der Sprache immer wieder neu gestellt; ein Weg, der «vom Sichersten ins Tausendste» führte.

Über die Jahrzehnte ist so ein an Sprachphantasie und Formenreichtum nahezu unerschöpfliches Werk entstanden. Michael Lentz hat daraus eine Auswahl von über 200 Gedichten aus allen Werkphasen zusammengestellt: einen Pastior für den Hausgebrauch; ergänzt um ein schmissiges Nachwort. Unverständlich bleibt allerdings, warum auf erläuternde Anmerkungen gänzlich verzichtet wurde. Die Lust am Text wird dadurch zwar kaum geschmälert, doch einige Sätze darüber, was etwa eine «Vokalise» auszeichnet (die identische Vokalfolge jedes ihrer Verse), hätten die Ausgabe für Pastior-Neueinsteiger noch attraktiver gemacht.


Akustisches «felsenpellkartoffelmus»

Außer der Gedichtauswahl gibt es in diesem Herbst aber noch eine regelrechte Pastior-Sensation: ein Hörbuch, dessen Entstehungsgeschichte in jene Maitage 2006 zurückführt. Auf derselben Tagung nämlich, auf der das Christensen-Alphabet-Gedicht erklang, wurde auch die Verleihung des Büchner-Preises bekanntgegeben: an Oskar Pastior, den «methodischen Magier der Sprache». Die Preisverleihung im Herbst 2006 hat der Dichter nicht mehr erlebt: Er starb drei Wochen zuvor. Ausfallen musste damit auch eine Lesung des Preisträgers, die dieser auf dem Papier jedoch bereits ausgearbeitet hatte. Auf dieser Grundlage und mithilfe der Tonarchive Pastiors und des Verlegers Urs Engeler hat nun Klaus Ramm, langjähriger Lektor und Verleger des Autors, die nie erklungene Lesung doch noch hörbar gemacht.  

Das unglaubliche Ergebnis präsentiert in 44 Gedichten und 79 (von Klaus Ramm aufschlussreich moderierten) Minuten den Dichter als Sprechkünstler. Vom nachdenklichen «Über meinen Schlaf» über das lautpoetische «der bug hat zwei fübe» bis hin zu «felsenpellkartoffelmus an paradeisgallapfelpuffer» zieht Pastior noch einmal sämtliche Register. Begonnen hätte er die Büchnerpreis-Lesung mit der Bescheidenheit des Schalks, der seinem Publikum die Freiheit lässt: «Bitte nehmen Sie von dieser Durchsage den Ihnen entsprechenden Abstand.»  

 

Oskar Pastior
durch – und zurück
Ausgewählt von Michael Lentz.
S. Fischer, Frankfurt a. M. 2007. 319 S., 9,95 €

Die letzte Lesart
Eine Rekonstruktion der Büchnerpreis-Lesung mit Zwischentexten von Klaus Ramm.
Der Hörverlag, München 2007. Ca. 79 Min., 19,95 €

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