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„Monsieur Claude und seine Töchter“ - Rassismus, verharmlost und weggelacht

Der französische Kassenschlager „Monsieur Claude und seine Töchter“ kommt am Donnerstag in die deutschen Kinos. Philippe de Chauverons Komödie macht sich über typische Vorurteile zwischen den Bevölkerungsgruppen in Frankreich lustig und verharmlost so die tiefsitzenden Konflikte in der Realität

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Laetitia Grevers hat Geschichte in London studiert. Ihre Texte sind unter anderem im Magazin der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

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Claude und Marie Verneuil wünschen sich nichts mehr, als dass ihre vier Töchter wohlsituierte französische Katholiken heiraten. Doch der eine Schwiegersohn ist Chinese, der andere sephardischer Jude, der dritte Araber. Als die jüngste Tochter ihre Verlobung mit einem französischen Katholiken ankündigt, ist die Freude zunächst groß. Bis sich herausstellt, dass dieser von der Elfenbeinküste stammt. Die Mutter bricht in Tränen aus und jammert: „Was haben wir nur dem lieben Gott getan?“. Der Vater holzt vor Wut die Bäume auf seinem stattlichen Anwesen in dem Städtchen Chinon ab. 

Philippe de Chauverons Filmkomödie um die Eheleute Claude und Marie Verneuil ist in Frankreich ein Kassenschlager. Bereits 10 Millionen Franzosen haben sie seit der Premiere im Frühjahr gesehen. Der Figaro jubelt, die Zuschauer würden sich auf diese Weise mit ihrer multikulturellen Gesellschaft versöhnen.

Doch der Kontrast zwischen dem Film und den aktuellen Ereignissen in Frankreich löst Unbehagen aus. Die Komödie stellt eine multikulturelle Scheinwelt dar, die es den Franzosen ermöglicht, ihre tiefen gesellschaftlichen Konflikte zu verdrängen. Während sich in den Kinosälen Kopftuchträgerinnen neben Frauen mit Hermès-Schal amüsieren, eskaliert auf Protesten gegen Israels Militäroperationen in Gaza die antisemitische Gewalt. Während die Komödie in großer familiärer Harmonie endet, versuchen arabo-muslimische Demonstranten mit Baseballschlägern in Synagogen einzudringen.

[video:Trailer: Monsieur Claude und seine Töchter]

Zurecht kritisiert die Zeitung Le Monde, der Film zeige ausschließlich überspitzte Klischees. Bei einem gemeinsamen Abendessen etwa mokiert sich der arabische Schwiegersohn darüber, dass Chinesen jüdische Firmen übernehmen. Der jüdische Schwiegersohn spottet über islamischen Alkoholverbot. Daraufhin witzelt der Araber über koscheres Essen. So spielt Phillipe de Chauveron die Realität der tiefsitzenden Vorurteile in der französischen Gesellschaft herunter.

Die Situation in Frankreich ist derzeit angespannter denn je. Demonstranten skandieren „Tod den Juden“ oder „Juden raus“. Die Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen spitzen sich zu. Algerische Jugendliche, die regelmäßig in der Banlieue randalieren, sind weit davon entfernt sich der französischen Gesellschaft anzupassen oder in die Bourgeoisie einheiraten zu wollen, schreibt der Historiker Andrew Hussley, Autor des 2014 erschienenen Buches „The French Intifada“. Viele Franzosen mit Migrationshintergrund würden ihre früheren Kolonialherren weiterhin als Feinde betrachten.

Die simple Moral des Films lautet: Wir sind alle ein bisschen rassistisch


Tatsächlich verharmlost der Film „Monsieur Claude und seine Töchter“, der in dieser Woche auch in die deutschen Kinos kommt, die französischen Verhältnisse. Der arabische Schwiegersohn fasst die Moral des Films wie folgt zusammen: „Wir sind alle ein bisschen rassistisch.“ Aber sobald die Protagonisten sich besser kennenlernen, lachen sie großzügig über die Vorurteile der anderen. Auf der vierten Hochzeit wird zum ersten Mal fröhlich gefeiert, die Beerdigungsmienen der Eltern Verneuil sind wie weggeblasen. Die Protagonisten eint, dass sie im Herzen französisch sind. Schön wär's.

Das Lachen allerdings bleibt einem auch aus einem anderen Grund im Halse stecken. Denn längst wissen in Frankreich auch Antisemiten die Waffe des Humors für sich zu nutzen. Zum Beispiel der Komiker Dieudonné, der von seinem Publikum gefeiert wird. Zwar wurden seine Auftritte wegen ihrer antisemitischen Inhalte kurzzeitig verboten, doch inzwischen darf er wieder auftreten. Er scheut nicht davor zurück, Witze über Gaskammern und den Holocaust zu machen. Seine zahlreichen Fans stammen sowohl aus der Banlieue als auch aus dem Pariser Zentrum und wählen häufig den rechtsextremen Front National, der bei der Europawahl erschreckende 25 Prozent erzielte. Sein Publikum grüßt der Komiker mit dem sogenannten „Quenelle-Gruß“, einer Art umgekehrtem Hitlergruß. Manche Franzosen haben diese Geste bereits in ihren Alltag übernommen. 

Natürlich weiß Phillippe de Chauveron um solche Phänomene, er weiß auch, dass sich etwa Jean-Marie Le Pen, Gründer des Front National, regelmäßig darüber beklagt, einige Spieler mit Migrationshintergrund würden sich in der französischen Fußballmannschaft weigern, die Marseillaise zu singen. Der Regisseur spielt damit, lässt die vier Schwiegersöhne die französische Nationalhymne voller Leidenschaft und mit der Hand auf der Brust intonieren. Der alte Verneuil steht gerühmt da und gesteht: „Ich habe eine Gänsehaut.“

Phillippe de Chauveron ist überzeugt davon, dass sich viele Franzosen mit Migrationshintergrund französisch fühlten und darunter litten, nicht als solche anerkannt zu werden. Mutter Verneuil rät dazu nur: „Sobald Du dich anderen öffnest... geh mit ihnen etwas trinken, schenke ihnen Aufmerksamkeit, dann wirst Du realisieren, dass wir alle menschlich sind.“

Doch auch dieser einfache Rat passt nur in die multikulturelle Scheinwelt des Films.

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