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Familiensynode - Papst Franziskus und der Charme der Liebe

Scheidungen werden akzeptiert, Schwule vorsichtig respektiert. Das Schreiben zur Familiensynode von Papst Franziskus ist eine erfreuliche Abkehr von der bisherigen katholischen Sexuallehre. Große Korrekturen der bisherigen Dogmatik bleiben dennoch aus

Autoreninfo

Dr. theol. Norbert Scholl ist Professor für katholische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. 2014 erschien sein Buch „Wozu noch Christentum?“. Er berät die Organisation „Wir sind Kirche“ in theologischen Fragen.

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Es ist ein Epochenwechsel auch in der Sexualethik: Papst Franziskus hat mit seinem Schreiben „Amoris laetitia“ endlich die entscheidenden Weichen gestellt, um die katholische Familientheologie weiterzuentwickeln. Er setzt damit fort, was der Zweite Vatikanische Konzil eingeleitet hatte.

„Amoris laetitia“: Die deutsche Übersetzung davon – „Über die Liebe in der Familie“ – ist indes etwas irreführend, weil sie einschränkt. Zwar handelt das Schreiben vor allem von der Familie. Für Franziskus' Gedanken wäre aber ein anderer Titel geeigneter: „Vom Charme der Liebe“.

Hin zu einer Sichtweise der Barmherzigkeit


Das Schreiben ist von Aufbau, Stil und Inhalt her eine erfreuliche Abkehr vom bisherigen rigoristischen Gesetzesdenken der katholischen Sexuallehre. Jetzt geht es um Barmherzigkeit, wie sie auch das beispielhafte Handeln Jesu kennzeichnete. Franziskus zählt die Probleme, mit denen junge Menschen vor und in der Ehe heute weltweit konfrontiert sind, ungeschönt auf. Und er scheut sich nicht, die Mitschuld der Kirche an dieser Situation offen zu bekennen: „Zugleich müssen wir demütig und realistisch anerkennen, dass unsere Weise, die christlichen Überzeugungen zu vermitteln, und die Art, die Menschen zu behandeln, manchmal dazu beigetragen haben, das zu provozieren, was wir heute beklagen. (...) Andere Male haben wir ein allzu abstraktes theologisches Ideal der Ehe vorgestellt, das fast künstlich konstruiert und weit von der konkreten Situation und den tatsächlichen Möglichkeiten der realen Familien entfernt ist.“

Er zieht daraus die Konsequenz: Die kirchliche Ehelehre darf „nicht zur bloßen Verteidigung einer kalten und leblosen Doktrin werden“. Papst Franziskus nimmt bewusst – was manche bedauern werden – noch keine offensichtlichen Korrekturen der Dogmatik vor. Doch deren Diskrepanz zur evangeliumsgemäßen Botschaft der Barmherzigkeit und zum pastoralen Ansatz von Papst Franziskus werden immer deutlicher und zeigen, wie notwendig künftig auch Korrekturen und Weiterentwicklungen in der Dogmatik und im Kirchenrecht sein werden.

Das Idealbild einer christlichen Familie


Bis ins Detail skizziert der Papst das Idealbild des Lebens in einer christlichen Familie. Franziskus möchte erfahrbar machen, „dass das Evangelium der Familie die Antwort auf die tiefsten Erwartungen des Menschen darstellt: auf seine Würde und auf die vollkommene Verwirklichung in der Gegenseitigkeit, in der Gemeinschaft und in der Fruchtbarkeit. Es geht nicht allein darum, Normen vorzulegen, sondern Werte anzubieten, und damit auf eine Sehnsucht nach Werten zu antworten, die heute selbst in den säkularisiertesten Ländern festzustellen ist“.

Mit der entscheidenden Aussage, „dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen“, gibt Papst Franziskus der Kirche die Freiheiten des Dialogs und der Entwicklung der Lehre zurück, die viele Vorgängerpäpste über die Maßen beschnitten hatten. Die „Reflexion der Hirten und Theologen“, also auch der theologischen Wissenschaften, wird ausdrücklich und positiv gefordert. Mit diesem Schreiben und der von Papst Franziskus intendierten Dezentralisierung stehen jetzt vor allem die Bischöfe in aller Welt in der Verantwortung, „in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen“ zu suchen.

Manchmal ist eine Trennung unvermeidlich


Bei aller Idealisierung der Ehe bleibt der Papst realistisch. Er weist darauf hin, „dass es Fälle gibt, in denen die Trennung unvermeidlich ist. Manchmal kann sie sogar moralisch notwendig werden.“ Leider verschanzt er sich dann hinter einer Anordnung seines Vorgängers Johannes Paul II. und erinnert daran, „dass die Entscheidung über die Zulassung oder die Nichtzulassung des nichtkatholischen Teils zur eucharistischen Kommunion in Übereinstimmung mit den bestehenden allgemeinen Normen auf diesem Gebiet zu treffen (ist) und (...) dass die gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie nur im Ausnahmefall erfolgen (kann)“.

Menschen mit homosexueller Orientierung werden bedauern, dass der Papst sie nur im Zusammenhang mit der Familie erwähnt und „nur“ bekräftigt, „dass jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden soll und sorgsam zu vermeiden ist, ihn in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen“.

Den Bischöfen schärft Franziskus ein, „nicht nur die Förderung der christlichen Ehe, sondern auch die pastorale Unterscheidung der Situationen vieler Menschen, die diese Wirklichkeit nicht mehr leben“ zu berücksichtigen. „Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen.“

Keine neue generelle gesetzliche Regelung


Zum Schluss gibt Franziskus zu, „dass man von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte. Es ist nur möglich, eine neue Ermutigung auszudrücken zu einer verantwortungsvollen persönlichen und pastoralen Unterscheidung der je spezifischen Fälle.“

Die deutschen Bischöfe sind jetzt gefordert, Wege für eine angemessene Einzelentscheidung zu entwickeln. Die darf nicht vom jeweiligen Gemeindepriester abhängig sein. Kein Bischof, kein Pfarrer kann sich mehr auf Rom berufen, wenn er geschiedenen Wiederverheirateten die Kommunion verweigert.

Das Schreiben des Papstes engt nicht ein, sondern zeigt Perspektiven auf. Es markiert keine Grenzen, sondern weitet den Horizont. Es ergeht sich nicht in Warnungen und Verboten, sondern appelliert an die Freiheit eines Christenmenschen und an die eigenverantwortete Gewissensentscheidung jedes einzelnen. Christliche Ehe und Familie, so gelebt, kann zu einem attraktiven Modell für alle werden. Es lässt die Freude und den „Charme der Liebe“ aufscheinen.

Norbert Scholl ist Professor für katholische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. 2014 erschien sein Buch „Wozu noch Christentum?“. Er berät die Organisation „Wir sind Kirche“ in theologischen Fragen.

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