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Im Namen des Vaters - Augsteins Kinder und der Spiegel

Rudolf Augstein hinterließ Deutschland den Spiegel. Und einen Clan dazu. Die Kinder Franziska und Jakob streiten, was für das Magazin am besten ist. Geschichte eines verzwickten Erbes

Autoreninfo

Simon, Ulrike

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Rudolf Augstein kann keine Fragen mehr beantworten. Er kann nicht erzählen, wie es war, nicht einschreiten, wenn es schiefläuft, nicht widersprechen, wenn Falsches behauptet wird. Der Gründer des Nachrichtenmagazins Der Spiegel ist seit elf Jahren tot. Seither glauben viele sagen zu können, was er meinte, täte, wollte. So ist das auch jetzt, da es beim Spiegel wieder zum Streit gekommen ist.

Augstein, das ist ein gewaltiger Name. Er gehört zur Nachkriegsgeschichte des Landes wie der Marshallplan, Adenauers Westbindung und Brandts Ostpolitik. Augstein hat das Magazin gegründet, das die Mächtigen das Fürchten gelehrt hat, das dazu beitrug, Nachkriegsdeutschland vom Obrigkeitsdenken zu befreien. Sich auf Rudolf Augstein berufen zu können, heißt Deutungshoheit zu haben, wenn um die Geschicke des Spiegel gerungen wird. Wer zum Clan gehört, muss das nicht explizit ansprechen, es schwingt immer mit: Im Namen des Vaters.

Es begann schon im November 2002 bei der Trauerfeier im Hamburger Michel. Nur der damalige Bundespräsident Johannes Rau war informiert, dass Franziska Augstein eine Rede halten wird. Mit ihrem Satz vom „toten Löwen“, den „auch die Hasen an der Mähne zupfen“, wurde sie zu einer öffentlichen Person. Sie habe gesprochen, weil sie es „dem toten Löwen, meinem Vater“ schuldig gewesen sei, sagte sie damals.
Interpretiert wurde sie anders: Sie habe Anspruch auf eine Funktion beim Spiegel erhoben. Mindestens aber hat sie zu verhindern versucht, dass andere bestimmen, wer die Größe hat, Rudolf Augstein als Herausgeber des Magazins zu folgen. Niemand habe die, hatte zuvor der damalige Chefredakteur Stefan Aust gesagt.

Alle Hinterbliebenen des Gründers, von denen es aus fünf Ehen einige gibt, können vom Gewicht des Rudolf Augstein profitieren. Vier Kinder tragen den Namen: Neben Franziska (geboren 1964) und Jakob (1967) die Älteste, ­Maria Sabine (1949), die als Stefan geboren wurde und sich als Anwältin für Transsexuelle einsetzt, sowie Julian (1973), der Jüngste aus der vierten Ehe mit Gisela Stelly.

Stelly meldet sich am Telefon mit Stelly-Augstein. Im vorigen Jahr hat sie eine Art Schlüsselroman über Rudolf Augstein veröffentlicht. Im April nutzte sie ein Interview, um Jakob die Legitimation als Sprecher der Erbengemeinschaft abzusprechen. Ihr Argument: Da er 2009 öffentlich bestätigt habe, dass der Schriftsteller Martin Walser sein leiblicher Vater ist, solle er verzichten. „Gewiss“ würde Rudolf Augstein es so wollen. Behauptungen, sie sei bereit, im Kampf um die Deutungshoheit noch schwerere Geschütze aufzufahren, kommentiert sie nicht. Es riecht nach schmutziger Wäsche. Dabei sagt sie selbst, Rudolf Augstein habe nicht dynastisch gedacht.
Die mediale Aufmerksamkeit gilt aber Jakob und Franziska. Sie sind die beiden Journalisten des Augstein-Clans.

Jakob ist Sprecher der Erbengemeinschaft, der 24 Prozent des Spiegel-Verlags gehört. Er hat nur einmal in der Öffentlichkeit vom Willen Rudolf Augsteins gesprochen. Das war 2003 und 2004, als es darum ging, mithilfe des Bundeskartellamts und letzten Briefen Rudolf Augsteins zu verhindern, dass die Erbengemeinschaft 1 Prozent der Anteile und damit das Sagen beim Spiegel-Verlag an Gruner + Jahr und die Mitarbeiter KG verliert. Der Versuch scheiterte, Jakob akzeptierte das. So haben die Augsteins im Hause Augstein keinerlei Vetomacht. Auf die bei wichtigen Entscheidungen notwendigen 76 Prozent kommen die Mitarbeiter (50,5 Prozent) und G+J (25,5 Prozent) ohne die Erbengemeinschaft. Sie spielt nicht einmal die Rolle eines Mehrheitsbeschaffers.
 

Die Ohnmacht scheint Franziska Augstein schwer zu ertragen. Immer wieder meldet sie sich mit Vehemenz zu Wort. 2005 warf sie Aust vor, der Spiegel habe seine Rolle als Leitmedium verloren, sei zum „geschwätzigen Magazin“ verkommen. Das passt zur Formulierung, die sie in diesen Wochen wählte, als sie vom „Fuchs“ sprach, der in den „Hühnerstall“ geholt würde. Gemeint war Nikolaus Blome von der Bild-Zeitung, den der neue Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Büchner eingestellt hat. Gegen Blomes Berufung wandten sich alle Ressortleiter. Der Bild-Mann wird dennoch Leiter des Hauptstadtbüros und Mitglied der Chefredaktion. „Eine Katastrophe“ nannte Franziska Augstein das und ergänzte mit Blick auf ihren Vater: „Wenn er das wüsste, er würde sich im Grabe umdrehen.“

Ihre Argumentation ist moralisch. Sie sagt, sie sorge sich um das Erbe ihres Vaters und habe nur ein Mittel: öffentliche Erklärungen. Sie sagt auch: „Ich weiß, dass es bei den Medien gut ankommt, wenn ich meinen Vater erwähne.“ Dann wird sie gehört. In der einflusslosen Erbengemeinschaft hat sie nichts zu sagen. Im Fall Blome war sie nicht einmal vorab informiert.

Jakob Augstein hat sich zur Frage, ob der Bild-Journalist trotz Vorbehalten der richtige Mann für den Spiegel ist, mit nur einem Satz geäußert: „Gute Leute bekommen immer Gegenwind.“ Das wundert nicht, hat er doch mit Blome bei Phoenix eine wöchentliche Debattensendung. Franziska wollte das nicht stehen lassen. Über die Nachrichtenagentur dpa und in Interviews mit dem NDR und dem Deutschlandfunk verbreitete sie ihre Ansicht.

Ihr Ziel sei gewesen, der Spiegel-Redaktion den Rücken zu stärken, sagt sie, bereut aber, sich auf Nachfragen auch über das Verhältnis von Print und Online geäußert zu haben. Was sie über Online-Journalismus zu sagen hatte, wirkte abwertend, gar gefährlich. Dort werde nicht genug nachgedacht und zu wenig Geld verdient. Sie stärkte mit der Äußerung jene, die den Redakteuren des gedruckten Spiegel ohnehin vorwerfen, sie seien Modernisierungsverweigerer, die sich den Kollegen von Spiegel Online überlegen fühlten, Besitzstände wahrten und ideologisch verbohrt seien, wenn sie einen von Bild für inkompatibel mit dem Spiegel halten.

Das Verhältnis zwischen Franziska und Jakob ist zwiespältig, wirkt es bei öffentlichen Auftritten auch harmonisch. Beide sind unehelich zur Welt gekommen. Aufgewachsen sind sie bei ihrer gemeinsamen Mutter, der John-Updike-Übersetzerin Maria Carlsson. Rudolf Augstein adoptierte Franziska gleich nach der Geburt. 1968 heiratete er Maria Carlsson. Kurze Zeit später ließen sie sich wieder scheiden.
Heute ist Jakob Chefredakteur und Verleger der von ihm 2006 gekauften linken Wochenzeitung Der Freitag. Franziska betreut als Redakteurin der Süddeutschen Zeitung die Seite Politische Literatur. Sie lebt mit Heribert Prantl zusammen, bei der SZ Ressortleiter Innenpolitik und Mitglied der Chefredaktion.
 

Das Wesen der beiden Kinder ist verschieden. Die promovierte Franziska, äußerlich dem leiblichen Vater Rudolf Augstein ähnlich, ist belesen und intellektuell. Dessen ist sie sich sehr bewusst. Sie spricht hastig, ihre präzise gewählten Worte presst sie hervor, als hätte sie viel mehr zu sagen, als ihr Dritten möglich ist zu vermitteln.

Jakob, äußerlich dem biologischen Vater Martin Walser ähnlich, spielte als Kind unterm Schreibtisch von Rudolf Augstein. Er lernte als Reporter weniger privilegierte Leben kennen. Er spricht ruhig, wirkt entspannt und reflektiert, sein Verhalten ist empathisch, sein Humor trocken. In der Redaktion des Freitag kann er unangenehm werden, vertritt ein Redakteur andere Ansichten als seine.
Feiert der Spiegel 50 Jahre Spiegel-Affäre, ist es Franziska, die sich auf dem Podium mit der Strauß-Tochter Monika Hohlmeier unterhält und mit der Mutter, Maria Carlsson, zum selben Thema im Stern ein langes Interview gibt.
Jakob agiert leise. Doch auch er nutzt seinen Namen. Gerade hat er sein drittes Buch veröffentlicht, seine wöchentliche Kolumne bei Spiegel Online heißt nach einem Augstein-Zitat „Im Zweifel links“.

Er hat sich als Marke mit medialer Präsenz profiliert. Davon profitiert der Freitag, dessen digitaler Auftritt den eloquenten Verleger wiederum zum prominenten Gesprächspartner macht, wenn es um die Zukunft des Journalismus geht. Dabei bekennt er sich offen zu seinem Faible für Boulevardjournalismus. Das erklärt sein Verhältnis zu Blome und Bild.

Franziska und Jakob eint, in jüngster Vergangenheit antisemitischer Ressentiments verdächtigt worden zu sein. Am lautesten waren die Vorwürfe gegen Jakob, der wegen seiner Kolumne 2012 massiv angegriffen wurde und sich in einer Reihe mit dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad auf der Top-Ten-Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums fand. Vor wenigen Wochen war es Franziska, die wegen einer Illustration in der Süddeutschen Zeitung kritisiert wurde. Die Karikatur zeigte ein Monster mit Raffzähnen und Hörnern, Messer und Gabel in der Hand. Darunter schrieb sie: „Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch.“ Beiden Fällen liegt unglückliches Formulieren zugrunde. Anscheinend trauen sich wenige, einen Augstein zu redigieren.

Auch ihren beiden Vätern wurde Antisemitismus oder zumindest ein zweifelhafter Umgang mit der deutschen Vergangenheit vorgeworfen. Gegen Rudolf Augstein gab es 2001 im Vorfeld zur Verleihung des Ludwig-Börne-Preises Proteste vor der Frankfurter Paulskirche, weil der Spiegel anfangs auch ehemalige Nazis beschäftigt hat, den Umstand aber bis vor einem Jahr ignorierte. Walser wurde 1998 kritisiert, nachdem er in der Frankfurter Paulskirche von einer Instrumentalisierung des Holocaust sprach.

Martin Walser beurteilen – das kann Franziska Augstein. Für einen Essay, den sie 1999 in der Frankfurter Allgemeinen über ihn schrieb, hat sie den Theodor-Wolff-Preis erhalten. Den Auftrag habe sie zu jener Zeit übernommen, sagt sie, weil sie das Thema interessiert und sie über die Familie Zugang zu Walser gehabt habe. Erst Jahre nach Rudolf Augsteins Tod hatte Jakob auf Nachfrage erfahren, dass Walser sein leiblicher Vater ist. Bis dahin wurde darüber in der Familie nie offen gesprochen.

Rudolf Augstein, berichten enge Weggefährten, gab jedem seiner vier Kinder das Gefühl, das Lieblingskind zu sein. Ein einfacher Vater war er nicht, erst recht im Alter, und er hat wahrlich verzwickte Familienverhältnisse hinterlassen. Dazu äußern will sich Jakob nicht. Anders Franziska, die jedoch ein persönliches Treffen mit einem Zitat des ungarischen Philosophen Georg Lukács ablehnt: „Ich interessiere mich für alles, nur nicht für mich.“

Beide verhalten sich also nach dem gewohnten Schema: Franziska Augstein äußert sich und beruft sich dabei auf ihren Vater. Jakob Augstein muss und kann das nicht, bleibt aber der von Rudolf Augstein als alleinvertretungsberechtigt eingesetzter Dauertestamentsvollstrecker für die maximal mögliche Dauer von 30 Jahren. Er hat das Sagen in der Erbengemeinschaft, die ihrerseits nichts zu melden hat im Kreis der Spiegel-Gesellschafter.

Dem Spiegel wiederum fehlt die Führungsfigur, das wird bei jedem Streit offenbar. Einfluss hätte nur ein Augstein. In Hamburg Herausgeber zu werden, ist jedoch Jakob wie Franziska verwehrt, denn das will keiner der anderen Gesellschafter. Jeder weiß: Einen Augstein wird man nicht mehr los.
Weder als Spiegel noch als Träger des Namens.

 

 

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