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Neue alte Seelennahrung /dpa

Doris Dörrie über die Coronakrise - Das Schreiben als Seelennahrung

In ihrem Buch „Leben Schreiben Atmen“ widmet sich Doris Dörrie dem essentiellen Kulturgut des Schreibens. In der Corona-Krise ruft es in Erinnerung, welchen Platz die Kultur in unserer Gesellschaft haben sollte.

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Autoreninfo

Doris Dörrie, geboren in Hannover, studierte Theater und Schauspiel in Kalifornien und in New York, entschloss sich dann aber, lieber Regie zu führen. Parallel zu ihrer Filmarbeit (zuletzt der Spielfilm ›Kirschblüten und Dämonen‹) veröffentlicht sie Kurzgeschichten, Romane, ein Buch über das Schreiben und Kinderbücher. Sie unterrichtet an der Filmhochschule München ›creative writing‹ und gibt immer wieder Schreibworkshops. Sie lebt in München.

So erreichen Sie Doris Dörrie:

Ich habe die große Hoffnung, dass wir nun endlich alle kapieren, dass Kultur Seelennahrung ist. Wir brauchen sie viel mehr, als die meisten von uns bisher gedacht haben mögen. Nur die Kultur hält uns momentan bei Laune. Wir schauen Filme, wir lesen Bücher, wir hören Musik, wir wohnen Lesungen im Stream bei.

„Leben Schreiben Atmen“
„Leben Schreiben Atmen“ von Doris Dörrie

Nach der Krise dauert dieses Bewusstsein hoffentlich an. Kultur ist lebensrelevant. Die kleinen Buchhandlungen erfahren gerade viel Zuspruch – obwohl sie hier in Bayern, anders als in Berlin, noch geschlossen sind. Bücher werden jetzt mit dem Fahrrad ausgefahren oder vor die Tür gestellt. Da entstand eine große Solidarität, die über die Krise hinaus andauern sollte.

Diesen Erkenntnisgewinn erhoffe ich mir für die ganze Kultur. Was für ein wunderbarer Ort ist beispielsweise die Oper, wo Musik gemacht wird und gesungen nur für mich – und für vielleicht 2000 andere Menschen. Mit diesen anderen Menschen kommt man zusammen, um sich Kultur einzuverleiben.

Nicht aufs Alleinsein angelegt

Man teilt eine Erfahrung, lacht zusammen oder ärgert sich zusammen, klatscht oder weint. Das ist ein vollkommen anderes Erlebnis, als wenn jeder auf seine eigene Mattscheibe starrt. Der Mensch ist nicht auf das Alleinsein angelegt. Der Individualismus, den wir lange propagiert haben, den wir gehegt und gepflegt haben wie wenig sonst, ist vielleicht doch nicht das Ziel unseres Lebens.

Die Vereinzelung, die wir betrieben haben, weil wir sie uns leisten konnten, das große Allein, macht uns am Ende vielleicht doch nicht so glücklich. Die Corona-Krise hält auch diese Lektion bereit. Natürlich ist es schön, wenn meine täglichen Schreibtipps bei Instagram Zuspruch erfahren. Wer jeden Tag etwas für sich aufschreibt, fühlt sofort Boden unter den Füßen.

Ich sehne mich aber sehr danach, wieder in einem Raum mit anderen Menschen Kultur erleben zu können. Irgendwann haben wir dann alle genug vom Online-Konsum. Als soziale Wesen sind wir schließlich auch körperliche Wesen. Wir sind in den letzten Wochen ganz seltsam körperlos geworden. Wir schleppen unsere Körper fast nirgendwo mehr hin. Der Gang in Parks oder Gärten ist nur ein unvollständiger Ersatz. Wann wir uns aber wieder trauen werden, eng an eng in Kinos, Theatern, Konzertsälen zu sitzen, ist eine offene Frage.

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Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 30. April 2020 - 11:03

die Cosi fan tutte Inszenierung von Doris Dörrie, Dirigent Daniel Barenboim, Fiordiligi Dorothea Röschmann und viele gute Sänger* mehr.
Habe ich natürlich.
Ich streame derzeit vor allem Bach von der Netherlands Bach Society, die auch mal den Guglielmo der Michael Haneke Inszenierung zu Gast hatten und leider nicht zu den Bachfestspielen Leipzig dieses Jahres kommen können, die nun mal nicht stattfinden. Da ich unser Geld, zwar für andere Aufführungen, nicht werde zurückfordern, vielleicht könnten die geplanten Aufführungen gestreamt werden mit Zulassung für diejenigen, die zahlten?
Ich werde dann auch das Spenden nicht vergessen für deren Projekt "All of Bach".
Mit Schreiben "entlädt" man sich und löst Blockierungen auf?
Jedenfalls kann man sich so auch gut unterhalten.
Das liebe ich sehr.