- Der Wahnsinn auf der Wäscheleine
Cocktails, Seitensprünge und die fragwürdigen Freuden von Suburbia: John Cheevers Roman von 1969 inspirierte die Kultserie «Mad Men»
Dass sich die
wahren Abgründe nicht in den Metropolen, sondern in Kleinstädten
auftun, weiß man spätestens seit den Fällen Kampusch und Fritzl. In
der Literatur oder im Kino ist die Bestialität des Beschaulichen
längst ein bekannter Topos. Hinter der frisch getünchten Fassade
lauern Mord und Totschlag, hinter dem weißen Lattenzaun blühen die
Perversionen – man kennt das aus «Blue Velvet«, «American Beauty»
oder den Filmen von Todd Solondz. Die literarisch kanonische
Abrechnung mit der Vorstadt hat Richard Yates mit seinem Debütroman
«Revolutionary Road» (1961) geleistet. In deutscher Übersetzung ist
«Zeiten des Aufruhrs» zuletzt mehrfach aufgelegt worden und hat
entscheidend zur Wiederentdeckung dieses großartigen Autors
beigetragen.
Für die Wiederentdeckung des um vierzehn Jahre älteren John Cheever
(1912– 1982) kann man dagegen sicher noch etwas tun. Immerhin: Der
DuMont Verlag hat nach einem Band mit Stories und den beiden
Romanen über die Wapshot-Familie nun auch «Die Lichter von Bullet
Park» neu herausgebracht (in der alten Rowohlt-Ausgabe hieß der
Roman «Die Bürger von Bullet Park»). Und hier könnte der Bezug zur
Kult-Serie «Mad Men» für «Bullet Park» das leisten, was die
Kino-Adaption für «Zeiten des Aufruhrs» getan hat: «Mad
Men»-Protagonist Don Draper und dessen Frau Betty wohnen in der
Bullet Park Road; eine versteckte Hommage an den Roman und dessen
Verfasser, der seinerseits in der Kleinstadt Ossining, N.Y., lebte
– dem Vorbild für die Vorstadt sowohl in Cheevers Roman als auch in
«Mad Men».
Gin zur Morgenrasur
«Bullet Park» erschien 1969, zu einer Zeit also, da der schonungslos entlarvende Blick auf «Suburbia» bereits Bestandteil des Repertoires war und vom Autor auch gleich zu Beginn an einen «hitzigen, rachsüchtigen Jugendlichen» delegiert wird. In den Augen dieses unnachsichtigen Beobachters wird ein zum Trocknen aufgehängter rosa Toilettenplüschbezug selbstverständlich sofort zum «Ehrenzeichen und Wappen von Powder Hill (…), hinter dem (…) Legionen von partnertauschenden, judenhetzerischen, trunksüchtigen geistigen Bankrotteuren marschieren». Diesen «Irrtum» korrigiert der wieder in den auktorialen Modus zurückschaltende Erzähler sofort, indem er die Wickwires als Sozialarbeiter «im wahrsten Sinne des Wortes» preist: als «Zelebranten, die ihren Charme und ihren Nimbus dazu benutzten, auf gesellschaftlicher Ebene alles in Gang zu halten».
Einen derart
komischen und funkelnden Romanbeginn wird man in diesem
Bücherfrühling nicht so bald nden. Wer die Wäscheleine seines
Erzählens mit einem derart wüsten Durcheinander an zartester
Empathie und boshaften Bemerkungen behängt, sorgt in der Tat für
ein Lektüre-Erlebnis, das über den doch auch etwas fragwürdigen
Genuss, sich in solidarischem Sarkasmus aufs Niveau des Autors
gehoben zu fühlen, hinausgeht. So sehr ihn sein exzessiver
Alkoholkonsum mit Yates und anderen Kollegen verbindet, so sehr
unterscheidet sich Cheever in seiner schelmischen Verplauschtheit
und der Neigung, Stil- und Stimmungslagen zu wechseln, vom
lakonischen Reduktionismus der Tradition von Hemingway bis Raymond
Carver (und dessen Lektor Gordon «Darf’s ein bisserl weniger sein?»
Lish). An skurrilem Humor überbietet Cheever sowieso alle. Wie «Mad
Men» ist auch «Bullet Park» imprägniert von einem schweren Duft aus
vorgespieltem Familienglück, außerehelichen Affären und Tausenden
von Cocktails, mit deren Konsum viel zu früh am Tag begonnen wird
(Gin zur Morgenrasur).
Was einen für diesen Roman – sieht man von dessen sprachlicher und
erzählerischer Bravour einmal ab – ganz besonders einnimmt, ist der
Umstand, dass Cheever seine Figuren nicht einfach nur bloßstellt.
So langweilig oder verrückt sie auch sein mögen, sie verfügen immer
auch über gewinnende Züge: Sie sind Spießer und liebender Gatte,
Psychopath und Charmeur in einem.
Wir heißen Hammer
In «Bullet Park» haben alle einen Schuss! Das ist nicht nur ein
Kalauer, denn die Gewalt ist hier omnipräsent – sei’s, weil ein
Bewohner im Garten mit der Schrotflinte auf eine riesige
Schnappschildkröte ballert; sei’s, weil ein junger Mann die
Phantasie seiner ungefestigten Mutter, einen Kleinstadtbewohner an
die Kirchentür zu nageln, erstaunlich ernst nimmt. Aber wie soll es
schon zugehen in einem Roman, der gleich bei der ersten Begegnung
der beiden Protagonisten – Becketts «Endspiel» lässt grüßen – einen
derart hohen namensmythologischen Druck aufbaut?
«‹Wir heißen Hammer›, sagte der Mann zum Geistlichen. Nailles fand
das nicht komisch, denn er ahnte, wie sehr es fast alle anderen im
Ort erheitern würde. Sie würden Hunderte oder vielleicht Tausende
von Cocktailpartys als Hammer und Nailles – Hammer und Nägel –
zusammen durchstehen müssen.»
John Cheever
Die Lichter von Bullet Park. Roman
Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel.
DuMont, Köln 2011. 255 S., 19,99 €
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