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David Bowie - Berlin – eine Stadt jagt ihren Helden

Vor vier Jahrzehnten erholte sich der junge David Bowie in Berlin von seinen Drogen-Exzessen. Zugleich schuf der Rock'n Roll Gigant in der damals geteilten Stadt einige seiner Meisterwerke. Für Berlin ist das bis heute Anlass zu hyperventilieren und sich nach der guten alten Zeit zurückzusehnen.

Autoreninfo

Simon Marti hat in Bern Geschichte und Politikwissenschaft studiert und die Ringier Journalistenschule absolviert. Er arbeitet für die Blick-Gruppe in der Schweiz.

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Songfetzen klingen im Ohr, Filmausschnitte flimmern, Kostüme funkeln: Die David Bowie-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau lässt nichts unversucht, die Karriere des wandlungsfähigsten aller Popstars einzufangen. Ein wahres Fest des Rock´n´Roll ist sie. Eine gelungene, überlebensgroße Retrospektive, ursprünglich kuratiert vom Londoner Victoria and Albert Museum.

Und Mittendrin: Berlin. Die Stadt, in der das Drogenwrack Bowie in den 1970er Jahren  zurück fand zur Musik. Die drei Alben, Low, Heroes und Lodger, die damals zumindest teilweise in der geteilten Stadt entstanden sind, bezeichnet der Musiker noch heute als die „DNA“ seines Schaffens. In düsterer Atmosphäre ziehen die Berliner Jahre in schwarz-weiß Fotografien und Interviews an den Besuchern vorüber. Der Kontrast zum sommerlichen Berlin mit seinen ausgelassenen Touristenströmen könnte kaum größer sein.

Doch dem wahren Bowie-Fanatiker ist das noch nicht genug. Berlin kriegt den Hals derzeit nicht voll von Bowie. Eine Stadt jagt ihren Helden.

Die Verehrung nimmt groteske Züge an
 

Mit detektivischer Energie rekonstruiert die Presse nächtliche Begegnungen im Westberlin der 70er Jahre, sie sichtet vergilbte Beweismittel, verhört noch lebende Zeugen, vorzugsweise zum erbarmungswürdigen Zustand, in dem sich der Musiker bei seiner Ankunft befand. Schließlich habe ja Berlin nicht nur die Karriere, sondern gleich den ganzen Menschen vor dem Verfall gerettet. Kein Erlebnis zu belanglos, um nicht erzählt zu werden. Und so dürfen auch die Töchter von Bowies ehemaliger Vermieterin sogar berichten, wie sie einst die Katzen seines Kumpels und zeitweiligen Mitbewohners Iggy Pop gefüttert haben.

Die Verehrung nimmt zunehmend groteske Züge an. Sie entkoppelt sich von der Person und dem Schaffen Bowies und wird zur generalstabsmäßig geplanten Stadtbegehung. Gesucht wird nach greifbaren Spuren, die Bowie hinterlassen haben könnte – mit wenig Erfolg, aber mit umso größerer Ausdauer.

Vor seiner ehemaliger Wohnung an der Hauptstraße 155 in Schöneberg tauchen derzeit immer wieder emsig fotografierende Pilger auf, die wiederum als Beweis herhalten müssen, wie stark das Phänomen Bowie die Menschen hier noch heute beschäftigt. Dass man an der Fassade schwerlich etwas anderes erkennen kann als eine einfache Hauswand, spielt keine Rolle. Was soll denn auch haften geblieben sein an diesen Schöneberger Mauern, 36 Jahre nachdem ihr berühmtester Bewohner ausgezogen ist? Die romantische Vorstellung, dass da einst das Idol gehaust hat, genügt den Pilgern wohl vollauf.

Nichts erinnert mehr an das Großereignis
 

Natürlich lässt sich mit dieser Verehrung  ein prima Geschäft machen. So kann der zahlende Gast auf dem „Bowie-Walk“ dem unfassbaren Star hinterherhechlen. In knapp zwei Stunden führt der Gang vom Martin-Gropius-Bau vorbei an den Hansa-Studios, an den Ort, an dem die legendären Platten aufgenommen wurden. Rein darf man nicht, dazu gibt es eine eigene Führung , bis zum Reichstag. Da spielte Bowie 1987 sein berühmtes Konzert, bei dem sich auch Hunderte Ostberliner auf der anderen Seite der Mauer versammelten. An der Stelle erinnert heute, man ahnt es, nichts an dieses Großereignis. Wie auch, die Musik ist lange verklungen, die Bühne abgebaut. Die Politik ist wieder eingezogen ins Parlament und der Rasen davor ist in einem erbärmlichen Zustand, aber das hat nichts mit dem verehrten Musiker zu tun.

Daran krankt der gesamte derzeitige Erinnerungskult: Man muss schon ein äußerst fantasiebegabter Zeitgenosse sein, damit im Jahre des Herrn 2014 der Sprung in Bowies Berlin der späten 70er Jahre gelingt. Da helfen auch die Hinweise des Tourleiters wenig, der anhand alter Fotografien zu zeigen versucht, wo denn noch Überreste aus der Vorwendezeit zu erkennen seien. Nicht anders beim heimlichen Höhepunkt dieser Bowie-Safari:  Das Plätzchen, an dem sich einst das Pärchen im Schatten Mauer küsste, und dem Bowie in „Heroes“ ein Denkmal gesetzt hat.

Doch so originell die Kommentare des Stadtführers auch sind, sie richten die geschleiften Wachtürme nicht wieder auf. Die Kulisse des klassischsten aller Songs seiner Berliner Zeit ist längst verschwunden. Die letzten brachen Flächen entlang der ehemaligen Grenze werden zugebaut und beim Brandenburger Tor droht nicht mehr der Systemfeind sondern die Fanmeile. So wird die Jagd nach Bowie auf einmal zu einer merkwürdig nostalgischen Suche nach einer Stadt, die es schon lange nicht mehr gibt. Das ist ja nichts schlimmes, nur sollte man bitte nicht das Gefühl haben, irgendwie mittels Städtetrip dem Objekt der Verehrung näher zu kommen.

Wahre Fan-Liebe schreckt das nicht ab. Einsamer Kulminationspunkt dieser kollektiven Reliquienverehrung bildete letztens die Veranstaltung „Ein Tag für David Bowie“ der Berliner Festspiele. Hier boten Findige noch einmal alles, was ihnen halt so einfiel zum verlorenen Sohn. Menschen und Puppen in Kostümen, Lesungen und Video-Ausschnitte. Wem das zu viel wird, setzt sich in den Garten und probiert von Bowie-Songs inspirierte Häppchen. Major Tomato zum Beispiel oder Spice Cake from Mars. Kreativität kennt schließlich weder Grenzen noch Geschmack.

"Lang ist's her"
 

Die heiteren Namen passen wunderbar zur Kostümierung diverser Anhänger und zum prominent platzierten Schminktisch in der Eingangshalle, der wohl dabei helfen soll, sich ein Stück Rock´n´Roll anzupinseln. Kinderschminken für Erwachsene sozusagen. Ein orangefarbener Blitz, einmal quer über das Gesicht gezogen, fertig ist der Rockstar für einen Tag. Die Hartgesottenen gehen aber noch einen Schritt weiter und kostümieren sich von Kopf bis Fuß als wandelnde Bowie-Imitate. Schließlich gibt es beim „Look-alike-Wettbewerb“ Freikarten für die Feier zu gewinnen – da schiebt man die Selbstachtung schon mal beiseite und wirft sich ins enge Glitzerkostüm oder das zerbeulte schwarze Sakko.

Gerade den älteren Besuchern liegen solch ketzerische Gedanken freilich fern. Schon nachmittags schwelgen sie selig lächelnd in ihren Erinnerung. „Lang ist´s her“, der oft gehörte Ausspruch hätte als als eigentlicher Titel dieses Tages getaugt. Und es stimmt ja auch – es ist verdammt lange her. So lange, dass einzelne, nicht mehr ganz so trittsichere Fans altersgemäß über die kleinen, fiesen Stufen stolpern.

Erst gegen Ende hin kriegt das Programm des Bowie-Tagers die Kurve, in dem ganz einfach wieder das Schaffen Bowies in den Vordergrund rückt. Zehn verschiedene Künstler interpretieren am Abend jeweils einen seiner Songs neu. Spätestens, wenn die Britin Gemma Ray ihre zum Sterben schöne Interpretation von „The Man Who Sold the World“ singt, wird endlich wieder deutlich, worum es beim Songwriter Bowie eigentlich geht. Ray spielt, singt und haucht den Song mit einer unglaublichen Intensität. Dazu ist kein lustiger Griff in die Klamottenkiste nötig, sondern ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem Song, der eben erst dadurch lebendig wird. Sinnbild für diesen freien aber umso ernsthafteren Umgang  mit der Musik ist die brachiale Art, mit der Ray im finalen Moment des Stücks ihre Gitarre mit einem Fleischermesser traktiert. Um Gottes Willen? Hat das der Bowie denn auch gemacht? Keine Ahnung, wahrscheinlich nicht. Das ist nun aber beileibe nicht der Punkt im Umgang mit seiner Kunst. Ebenso wenig wie es eine Rolle spielt, wo der Typ denn einst Currywurst verspeist und deutsches Bier gesoffen hat.

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