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() "Volto Santo" - das heilige Gesicht von Manoppello
Das Wunder von Manoppello

Vor 400 Jahren verschwand eine kostbare Reliquie aus dem Petersdom in Rom. Wurde sie jetzt in einem Dorf in den Abruzzen wiedergefunden? Italien wittert die Sensation. Eine Spurensuche nach dem Jesustuch.

Die Augen schauen durchdringend auf den Besucher. Sie folgen ihm. Der Mund ist leicht geöffnet, wie zum Gruß. Ruhe geht von ihm aus, von diesem „heiligen Gesicht“, dem „Volto Santo“, wie es die Menschen in Manoppello verehren, einem kleinen Dorf in den Abruzzen. Ist es der auferstandene Christus, der uns entgegenblickt? Das Urbild der Christenheit? Ist es die „Vera Ikona“, die wahre Ikone, die eigentlich im Petersdom in Rom hängen müsste? Viele Legenden ranken sich um dieses Antlitz, das mal sichtbar ist, mal nicht – je nachdem, wie das Licht durch die Fenster der kleinen Kapuziner-Kirche in Manoppello fällt. Es erscheint auf hauchdünnem, nahezu transparentem Tuch – gemacht aus Byssus. Dieses edle Material, das schon die Ägypter für ihre Pharaonen fertigten und das die Juden in der antiken Welt ihren Hohen Priestern verehrten, ist aus Muschelhaar gewoben. Es sind Fäden, viermal so dünn wie Frauenhaar, mit denen sich Steckmuscheln an die Unterwasser-Felsenwelt klammern. Man braucht unendlich viel Geduld und Geschick, um aus den zarten Fasern ein Tuch zu weben. Der leichte Stoff schimmert kupfern. Getaucht in ein Zitronenbad erhält er einen Goldton. In Rinderurin gebadet, wie früher vielfach praktiziert, wird er so hell, wie das Tuch in Manoppello. Aber bemalt werden kann dieser Stoff nicht, wie Chiara Vigo absolut sicher weiß, die auf Sardinien als letzte bekannte Byssus-Weberin der Welt lebt. Heinrich Pfeiffer, Professor für christliche Kunstgeschichte an der Gregoriana-Universität in Rom, erklärt warum: „Die Fäden haben das Meersalz aufgesogen. Auf ihrer Oberfläche hält keine Farbe.“ Mikroskopische Untersuchungen des Tuches an den Universitäten in Bari und Bologna haben gezeigt, dass es keinerlei Farbspuren aufweist. Doch das Gesicht ist da. Wenn es nicht gemalt ist, wenn ein Druck oder noch modernere Projektionsmethoden auszuschließen sind bei einem Tuch, das allein in Manoppello schon seit nachweislich 400 Jahren ausgestellt wird – wie ist dieses Gesicht dann zu erklären? „Es ist ein Wunder“, sagt Schwester Blandina Paschalis Schlömer. Die deutsche Trappistin, Pharmazeutin und Ikonenmalerin beschäftigt sich seit Jahren mit dem „Volto Santo“. Sie hat das Antlitz auf dem Byssus-Gewebe vermessen, mit dem Grabtuch aus Turin verglichen und festgestellt: „Die Gesichter auf beiden Tüchern sind millimetergenau deckungsgleich, die Proportionen identisch.“ Und Pfeiffer ergänzt: „Beide Tücher stammen aus demselben Grab.“ Er meint dabei das Grab Christi. Das Johannes-Evangelium erzählt, wie Petrus und „der andere Jünger“ in der Frühe zum Grab liefen. „Der andere Jünger war zuerst dort. Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging aber nicht hinein. Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle.“ Dieses Schweißtuch ist für die, die es verehren, das Tuch aus Manoppello. Pfeiffer geht davon aus, dass die Tücher übereinander lagen, dass das feine Byssus-Gewebe sozusagen als kostbare Abschiedsgabe an den Toten zuletzt auf den Leichnam gelegt worden ist. Das würde erklären, warum das „heilige Gesicht“ zwar Spuren von Verletzungen zeigt, anders als das Turiner Grabtuch aber keine Wunden und kein Blut aufweist. Wenn das Tuch in Turin den toten Christus zeigt, dann das in Manoppello den auferstandenen. Tatsächlich ist ein Mann zu sehen, der keinen Schmerz, keinen Zorn in seinen Zügen hat. Wenn das 17 mal 24 Zentimeter große Stück Stoff also auf den Ursprung der Christenheit zurückgeht, wo ist es gewesen in all der Zeit, bevor es in dem kleinen Abruzzen-Bergdorf auftauchte? Professor Pfeiffer erzählt die Geschichte der Reliquie so: Das Tuch sei zunächst im Besitz von Maria, der Mutter Christi, gewesen, die es überall hin mit sich führte. So sei es wohl auch mit ihr von Jerusalem nach Kleinasien gekommen. Ein Text aus dem fünften Jahrhundert aus Kamulia in Kappadokien beschreibt das Antlitz Christi auf einem Stück Stoff, das „aus dem Wasser gezogen“ und „nicht von Menschenhand geschaffen“ sei. Eine georgische Quelle derselben Zeit (die erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Tiflis entdeckt und für den Westen bekannt gemacht wurde) berichtet, dass Maria ein Bild Christi besaß, „das ihr von den Händen Gottes geschenkt worden war, damit sie das schöne Gesicht ihres Sohnes immer sehe und erblicke“. Es ist dasselbe Bild, das nach der Theorie der „Manoppellianer“ Vorlage für alle weiteren Christusporträts wurde. Älteste Ikonenmalereien aus dem vierten Jahrhundert zeigen, so Pfeiffer, bereits die typischen Merkmale des Antlitzes auf dem Byssus-Tuch: die Stirnlocken, den zum Teil ausgerissenen Bart, das gewellte Haar, das asymmetrische Gesicht, die Faltenlinien an den Mundwinkeln, die nach oben blickenden Augen. Vieles deutet darauf hin, dass das Tuch später als große Kostbarkeit der Christenheit nach Rom gebracht und im alten Petersdom ausgestellt wurde. Die „Vera Ikona“ zog Millionen von Pilgern an und wurde im Laufe der Zeit fälschlicherweise mit dem Schweißtuch der Veronika gleichgesetzt. Dieses allerdings verehren die Spanier in Oviedo. Beim Neubau des Petersdoms verschwand die Reliquie. Das lässt sich aus den Aufzeichnungen des Archivars Jacobo Grinaldi schließen, der damit beauftragt war, für die Zeit der Bauarbeiten die Schätze der Kirche in Verwahrung zu nehmen. Das Glas des kostbaren venezianischen Rahmens, in dem sie aufbewahrt wurde, ist zersplittert. Noch heute kann er in der Schatzkammer von Sankt Peter besichtigt werden. Und in dem Tuch von Manoppello steckt an der unteren rechten Ecke ein Kristallsplitter im Gewebe. Hängt in einem unbekannten italienischen Dorf also das wahre Bild Christi? Kritiker der Manoppello-These halten die Theorie Pfeiffers für Fantasterei. Der Vatikan ist reserviert und ordnete keine eingehende Untersuchung des Tuches an. „Dabei müsste es doch im Interesse der Kirche sein, gerade zu einer Zeit, in der Europa nicht einmal einen Gottesbezug in der Verfassung zustande bringt, das wahre Bild Christi zeigen zu können“, sagt Rom-Korrespondent und Buch-Autor Paul Badde, der sich intensiv mit dem Tuch in Manoppello befasste. Doch Pfeiffer wundert sich über das Zögern nicht. Nach dem Verschwinden des „Volto Santo“ zwischen 1608 und 1616 habe man Ersatz geschaffen und den Menschen über Jahrhunderte hinweg ein anderes als das wahre Bild gezeigt, sagt der Professor: eine Attrappe. „Weil Autorität niemals irrt, fällt es so schwer, den Fehler von einst einzugestehen.“

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