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"Dann flieg ich hoch - dann stürz ich ab"

In der einst so berühmten Chausseestraße 131 in Ostberlin lebt Wolf Biermann schon lange nicht mehr. Aber vieles in seiner Hamburger Wohnung erinnert noch daran.

Vor der Tür der weise Spruch „Schwerter zu Pflugscharen“. In der Tür Wolf Biermann mit grauem Haar und munterem Blick. Über der Tür ein Bild aus dem Büro von Erich Mielke, dem Herrn der Stasi: Amtmann mit Dienstmütze lässt Köter frei, „fass!“ steht drunter. Im Billardzimmer hängt eine verkitschte Madonna mit Kind, kess übermalt von Biermanns Frau Pamela. Der Säugling strampelt mit dunkler Haarsträhne und schwarzem Würfelbart im Stroh. „Hitlers Geburt“ heißt die Szene jetzt. Nebenan vorm Kamin steht der heiße Tee, die Lampen brennen, und der tote Jürgen Fuchs blickt aus einem Foto vom Regal herab, der mutige Schriftstellerfreund, der einst den rot getünchten Kolossen, wie Biermann schrieb, „die Melodie der marxistischen Utopie vorsang“. Und in den zwei Bücherregalen stehen sie nicht stramm wie Soldaten – Sarah Kirsch und Günter Kunert, Heinrich Heine, Peter Huchel, Stephan Hermlin, Arno Lustiger, Helga M. Novak oder Heiner Müller –, sie lehnen freundlich und zerlesen aneinander, sind verwurzelt an ihrem gemütlichen Platz. Und wer hat den Biermann zum Biermann gemacht? Meine Mutter Emma bestimmt nicht, sagt er aus der Tiefe seines Sessels heraus. Wenn er ihr auch nur angedeutet hätte, Gedichte schreiben zu wollen, hätte sie kalt und herzlich gesagt: Junge, nun iss mal dein Brot und mach deine Schulaufgaben. Und wenn sie nicht so gut gelaunt war, weil er eine schlechte Note von ihr unterschreiben lassen musste, sagte sie: Dafür ist dein Vater in Auschwitz gestorben, dass du eine Fünf in Mathematik hast! Damit, sagt Biermann, wolle er nur mal dunkel andeuten, dass er besser als Martin Walser wisse, was eine Auschwitzkeule ist. Ja, er war ein miserabler Schüler. Glaubte dem Klassenfeind in Hamburg kein Wort. Geht, als er 17 ist, rüber in die DDR, in ein Internat bei Schwerin. Das war im Mai 1953. Stalin ist gerade gestorben, und den Volksaufstand vom 17. Juni gibt es noch nicht. In dieser interessanten Lücke, sagt Biermann, ging bei mir das Licht an. Er lernt wie der Teufel, bekommt auch noch das schönste Mädchen, hinter dem alle Platzhirsche der höheren Klassen her sind. Aber der kleine, blasse Biermann kann eben witziger reden und besser erzählen. Und literarische Anreger? Gab es nur einen, sagt er, und den kannte ich noch nicht: Bertolt Brecht. Seine Mutter hatte ihm für die Reise ins gelobte Land Heinrich Heines „Buch der Lieder“ mitgegeben. Das hatte einst ihr Mann, der Kommunist und Werftarbeiter Dagobert Biermann, in rotes Leder für sie binden lassen. Dafür konnten sie sich ein paar Wochen keine Wurst fürs Brot mehr kaufen. Doch Emma Biermann wird noch auf dem Sterbebett ihren Heine zitieren: „Sie saßen und tranken am Teetisch / und sprachen von Liebe viel.“ Drei Jahre später macht der Junge eine dialektische Reise ins Berliner Ensemble. Zu Helene Weigel. Brecht ist gerade gestorben, liegt schon in seinem Zinksarg, damit die Würmer nicht an ihn rankommen, als der Biermann alles von ihm liest. Er frisst den Brecht regelrecht auf. Und die Gedichte sind für ihn die Erfüllung. „Ich, Bertolt Brecht, bin aus den schwarzen Wäldern.“ Er wird Regieassistent am BE und schreibt nun selbst sein erstes Gedicht: „Ach, für deine langstielige Rose/Ist keine Vase in meinem Hause.“ Schrecklich! Biermann brüllt vor Lachen und erzählt von einem Hammer-und-Sichel-Satz, den sein Großvater, ein stalinistischer Funktionärsknochen, seinem Vater mal entgegengeschleudert hat, als der dafür plädierte, dass die Kommunisten zusammen mit den Sozialdemokraten gegen die Nazis kämpfen sollten. Das war natürlich nicht die Kominternlinie, sagt Biermann, und deshalb ging mein Großvater mit einem Beil auf meinen armen Vater los und schrie: „Ich dulde keine konterrevolutionäre Brut in meinem Hause!“ In meinem Hause!, ruft Biermann, da lachen ja die Hühner. Der Mann konnte nicht mal die Miete bezahlen! Aber in meinem Gedichtlein, sagt er, das der Welt noch so gar nichts mitzuteilen hatte, taucht das Haus wieder auf, das natürlich auch ich nicht besaß. Das war der Anfang. Und dann kommen sie mit Macht, die herrlichen Balladen, die Lieder, die nach Brecht und Biermann duften, kess, klug, schlau, fröhlich, traurig und romantisch: „Dann bin ich der preußische Ikarus / mit grauen Flügeln aus Eisenguss / dann tun mir die Arme so weh / dann flieg ich hoch – dann stürz ich ab / mach bisschen Wind – dann mach ich schlapp / am Geländer über der Spree.“ Nein, sie gefallen den Bonzen in der DDR nicht, seine gesungenen Poeme. Er putzt darin dem Drachen nicht die Zähne, er zeigt sie ihm. Das geht zu weit. Also wird er verboten und wird beobachtet. Ich hatte 70 leibeigene Spitzel, sagt er. Und die schreiben echte deutsche Wertarbeit: „Biermann führte mit einer Dame Geschlechtsverkehr durch. Danach ist Ruhe im Objekt.“ Mielkes Männer hatten auch den Plan, ein Biermann-Double aufzubauen. Ein bisschen frech wie ich, sagt er, aber auf Parteilinie. Und? Konnte der auch mit „Marx- und Engelszungen“ singen? Nein, sagt Biermann, das konnte er nicht. Stephan Hermlin hat ihm übrigens diese schöne Formulierung geschenkt. Der war der große Lord der Literatur, sagt er, aber seine Hymnen über Stalin seien elender Kitsch. Und was sagt er zu Hermlins erfundener KZ-Vergangenheit? Ach, vielleicht hat er einfach nur einem Gerücht nicht widersprochen, sagt Biermann. Er musste sich wohl vor den Betonköpfen spreizen. Denn wer nicht aus dem sowjetischen Exil kam, stand im Verdacht, ein Agent zu sein. Schlimm war nur, dass Honecker und Mielke die Wahrheit kannten und Hermlin damit an der Knebelkette der Bonzen hing. Ach ja, er liebte diesen hoch gebildeten, scharfsinnigen Dichter. Anders, sagt Biermann und lacht, war er auch nicht zu ertragen. Mit Günter Kunert war er immer eng verbunden. Den muss ich nicht lieben, um ihn aushalten zu können, sagt er. Und Volker Braun bewundert er. Der ist für ihn als Dichter so rabiat und mutig wie Majakowski und so ängstlich wie Anna Seghers, weil auch er seine stalinistischen Genossen fürchtete. Einmal trifft Biermann ihn am Alexanderplatz. Da ist er schon verboten. Aber Braun umarmt ihn. Fragt: Wolf, wie geht’s? Und: Hast du schon mein neues Buch gelesen? Da hab ich ein Gedicht für dich geschrieben. Biermann sagt: Volker, das find ich aber nett. Und Braun schlägt gleich die Seite 20 auf mit dem Gedicht „Schauspiel“ und liest in seinem sächselnden Tonfall von „grell erleuchteten Szenen“ und dem „Auftritt der Massen“, und dann kommt die Zeile: „Nur das Banjo darf noch nicht spielen.“ Und was hat das mit mir zu tun?, fragt Biermann am Ende. Ja, hast du das nicht bemerkt? Das Banjo spielt noch nicht! Um das Wort „Gitarre“ habe er schwer gekämpft. Wochenlang. Aber nicht durchgekriegt. Ach, da lobt der Biermann sich doch die große Helga M. Novak mit ihren klaren, urkomischen und todernsten Gedichten. „Einem Funktionär ins Poesiealbum“ endet mit der Frage einer Arbeiterin: „Wem gehört eigentlich das Volkseigentum?“ So was, sagt Biermann, dichtete sie in den Fünfzigern, als wir noch am Schnuller hingen. Und dann erzählt er von Wolfgang Hilbig, dem Dichter der DDR, den er erst jetzt, mit 73 Jahren entdeckt hat, diesen wunderbaren Proleten. Wir sind ja beide Arbeiterkinder, sagt er, aber ganz verschieden. Sein Vater erfriert in Stalingrad. Meiner verbrennt in Auschwitz. Ich habe Glück und kann studieren. Er sitzt im Heizungskeller, schaufelt Kohle und schreibt das Gedicht „Abwesenheit“. „Wie lange noch wird unsere Abwesenheit geduldet?“ Allein für diese Zeile, sagt Biermann, muss man sich doch hinknien. Und liest sie vor, die stolzen, bitteren Worte, „nein, wir werden nicht vermisst“, liest sie liebevoll, hart und sinnlich, die düstere Wahrheit und zündet uns an mit Hilbigs Licht. Als die Fotografin und ich gehen, duftet es aus der Küche von Pamela Biermann nach Orient in Hamburg-Altona. In der Pfanne schmurgeln die Shiitakepilze, die Ochsenbeine sprudeln im Topf, und über dem alten Holztisch hängen sie an der Wand, all die Bilder aus Biermanns einst so berühmter Wohnung Chausseestraße 131, Ostberlin.

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