In diesem Jahr gedenken wir dem 300. Todestag des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz
Leibniz, der Vielbegabte und Runduminteressierte / Illustration: Olaf Hajek

Cicero im August - Leibniz, der klügste Deutsche

Vor 300 Jahren verstarb einer der letzten Universalgelehrten Europas: Gottfried Wilhelm Leibniz. Cicero widmet den Titel der August-Ausgabe diesem einzigartigen Rechengenie, Fossiliensammler, Gotteszweifler und Philosophen der Aufklärung

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Im kollektiven Bewusstsein geblieben ist von ihm ein Missverständnis. Schon Voltaire verulkte in seinem „Candide“ „die beste aller möglichen Welten“, von der Gottfried Wilhelm Leibniz schrieb – und übersah wie viele ungleich kleinerer Geister, dass der Universalgelehrte der Frühaufklärung diese beste aller Welten nicht in ihrer real existierenden Form meinte, sondern in deren Möglichkeiten.

Nicht verstanden zu werden, ist das Schicksal des Genies, es hat Leibniz zeit seines Lebens begleitet, das vor 300 Jahren in Hannover vereinsamt endete. Wie muss das sein, mit einem Gehirn zu leben, das nie rastet, nie ruht, immerzu denkt und rechnet? „Bei Erwachen“, notier­te Leibniz einmal, „hatte ich schon so viele Einfälle, dass der Tag nicht ausreichte, um sie niederzuschreiben“. Eine Gabe, sicherlich. Aber auch eine Bürde.

Der letzte europäische Universalgelehrte

Immerhin haben die knapp 26.000 Tage seines Lebens ausgereicht, um viele Erkenntnisse aufzuschreiben, deren eigentliche Zeit erst noch kommen sollte. Leibniz entwickelte die Integral- und Differentialrechnung, er versuchte sich an der Quadratur des Kreises, er legte den Grundstein für das binäre System, auf dem unsere gesamte Computertechnologie fußt.

Mit Leibniz starb am 14. November 1716 einer der letzten, wenn nicht der letzte europäische Universalgelehrte, der in allen Zusammenhängen dachte, bevor die Wissenschaften in ihre Teildisziplinen zerfielen und sich seither immer mehr atomisieren. Um der Frage nachzugehen, was uns Leibniz heute noch zu sagen hat, brauchte es daher drei für einen: Unser Kollege Alexander Kissler lud den Mathematiker Eberhard Knobloch, die Philosophin Constanze Peres und den Kunsthistoriker Horst Bredekamp zum Leibniz-Gipfel in den Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Warum wir mehr miteinander reden und weniger aufs iPhone starren sollten, warum Steine ein Seelenleben haben, Descartes nicht recht hatte und Tennis auch der geistigen Ertüchtigung dient: All das im Cicero-Gespräch über den womöglich klügsten Mann, den Deutschland je hervorgebracht hat.

Cicero Titel 08/2016: Gottfried Wilhelm Leibniz

Die August-Ausgabe des Cicero erhalten Sie ab sofort am Kiosk oder in unserem Online-Shop.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 28. Juli 2016 - 10:33

Ich finde die politische Kultur des Cicero derzeit imponierend.
Frau Wallau wird sicher wissen, dass Hans-Olaf Henkel Vorsitzender der Leibniz-Gemeinschaft ist?
Aus gewerkschaftlicher Sicht teile ich seine Ansichten nicht.
Mut hatte er.
Ich kann sehr gut verstehen, dass er nicht bei der AfD bleiben konnte.
Diesbezüglich war der Sieg Frauke Petrys ein Pyrrhussieg.

Barbara Kröger | Do., 28. Juli 2016 - 11:25

Leibniz war zweifellos ein sehr kluger Mann, aber bitte nicht diese Beweihräucherung! Das hat er nicht verdient! Beschäftigen Sie sich mit seinen Ideen und Gedanken! Lobhudelei hätte ihm sicher missfallen. ( Der Klügste, der letzte Universalgelehrte, usw.)
Erschüttert wäre ein Mensch wie Leibniz sicherlich wegen der gegenwärtigen Bildungsmisere, angesichts der vielen Möglichkeiten, die bestehen. Was könnte da geleistet werden und was wird daraus gemacht. Es ist traurig!

..., aber das war Hegel, wenn überhaupt. Die Antwort des Leibniz auf das Fallgesetz, - es sei das beste, das Verhältnis im Quadrat sei das beste, erspart uns eben dieses Beste, - den Beweis. Den aber gibt Hegel. Aber wer mit dem Besten aller Philosophen in der besten aller Welten leben möchte, mag dies tun.

peter hauser | Fr., 29. Juli 2016 - 07:38

Antwort auf von Michael Schröder

Bitte nicht mit Hegel kommen.
Dieser bezahlte Professor vergewaltigte mit seinem Denken die Wirklichkeit. Auch Marx blieb "befangen", in Visionen die ihm Sinn gaben.
Es bleibt die Leistung von Leibnitz zu würdigen und die war immens.
(Voltaires "Candide" sehe ich bezogen auf Leibnitz anders, aber das bleibt "Expertentum")

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 30. Juli 2016 - 10:01

Antwort auf von peter hauser

Bitte mehr davon, von z.B. Ihrem Expertentum.
Ein paar kluge Hinweise in Kommentaren und schon kann man sich daran selbst weiterbilden.
Es würde doch auch zu dem passen, das der Cicero anpeilt: Niveau

peret hauser | Di., 2. August 2016 - 17:30

Antwort auf von Dorothee Sehrt-Irrek

Ich bedanke mich von Herzen für Ihren Zuspruch, wohl annehmend, daß ich nicht immer unmittelbar Ihren Zuspruch finden werde; doch bemühe ich mich um Aufrichtigkeit und werde, solange es mir Zeit Ermöglicht (etwas knapp für die Unmittelbare Zukunft), weiter, auch dank ihrer Anführung , mich äußern.

Bildungsbürger sind wohl weniger Experten, aber sie bemühen sich um objektives Urteil

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 3. August 2016 - 14:06

Antwort auf von peret hauser

traue ich mir fast zu, das dann auch selbst zu denken.
Nein, meine Verzweiflung beruht auch darauf, dass ich nicht erkennen kann wie hoch das Niveau der Bildungsbürger ist, denn ich glaube, dass wir sie brauchen werden.
Mein Niveau ist teilweise schwindelerregend hoch. Selbiges erwarte ich mir von Ihnen. Man muss nur auch immer wieder in die Ebenen der Mühsal und keine Angst haben etwas Falsches zu sagen. Meist hilft der Ansatz darüber hinweg oder der Mut der geistigen Anstrengung.
Sie glauben nicht, wie oft ich weinte als ich den Zarathustra las.
Foucault meinte vlt. Tränen, damit der Mensch"verschwinde" = Übermensch
In der Politik sehe ich diese Menschen jedenfalls eher nicht und irgendwo müssen sie doch sein. Warum nicht Sie. Okay, es gibt grandiose Denker, aber meist in Buchform.
Wenn einiges um uns her im weitesten Sinne geistigem Verfall zustrebt, dann bitte, bauen wir die Welt wieder zusammen?
Megacities können viele bauen, aber die stehen evtl. länger als die Menschheit.

peter hauser | Do., 4. August 2016 - 15:10

Antwort auf von peter hauser

Trotz allem Irrsinn kommt Voltaire zum Ende, zwar anders ausgesprochen und formuliert, aber wie einst Sokrates es ausdrückte zu einer "Weisheit", die alle betreffen...... jeder möge doch das Seinige tun.
Das Hic et nunc ist finis fandi sit......Lang erscheint der Weg, doch immer da ist das Ziel.

Bernhard Jasper | Do., 28. Juli 2016 - 11:39

Herr Schwennicke, sehr inspirierend.

Leibnitz- ein Generalist und Universalist. Ebenso der exzellente Kunsthistoriker Prof. Dr. Horst Bredekamp, der bei mir eine sehr große Wertschätzung genießt - er hat immer neue Felder erschlossen um Welt zu verstehen, wie „Welt und Wirklichkeit“, „Bilderkämpfe“, „Bilderstürme“ et cetera (erinnert mich von der Substanz her an meinen Kunstgeschichtsprofessor im Wahlpflichtfach- der ebenso nicht strukturell konservative, sondern zukunftsorientierte Kunstgeschichte lehrte). Ich profitiere heute noch davon.

Herr Schwennicke, das ist eine spannende Cicero- August- Ausgabe!

Werner Kaunzner | Do., 28. Juli 2016 - 12:40

Nur kurz vorab?? Was kommt lang hinterher?
Eine interessante Assoziationskette vom angeblich letzten Universalgenie Leibniz(eigentlich gilt Goethe auch als Universalgenie und der hat später gelebt)über Hans-Olaf Henkel und Frau Wallau zur AfD. Wie wäre es, wenn Sie noch den Leibniz-Keks in ihre "lang"-Fassung einbeziehen würden?
Wie sagte Paul Watzlawick? Er nur einen Hammer im Werkzeutkasten hat, für den sind alles Nägel -(bzw. ist alles AfD).

wäre jetzt nicht nötig gewesen, aber von Bahlsenkeksen kann man auch noch auf den ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht kommen, den Vater unserer Frau von der Leyen.
Wenn ich früher gewusst hätte, dass er - wie ich las - einer der `Akteure´ gegen Kohl war, hätte ich differenzierter gegen ihn demonstriert.
Aber wir waren wohl alle vom 3. Reich traumatisiert.
Und machen Sie sich nicht allzuviele Gedanken über meinen gedanklichen Werkzeugkasten.
Ich teile, was ich für nötig erachte.

Dr. Doris Kiekeben | Do., 28. Juli 2016 - 21:32

Leibniz meinte mit der "Besten aller Welten" tatsächlich die real existierende. Ich zitiere aus der Theodizee:
WENN ALSO DAS GERINGSTE ÜBEL, DAS IN DER WELT GESCHIEHT, IN IHR FEHLTE, so würde sie nicht mehr diese Welt sein, die, alles in Rechnung gestellt, von dem Schöpfer, der sie erwählt hat, als die beste befunden worden ist. 10. Allerdings kann man sich mögliche Welten ohne Sünde und ohne Elend vorstellen und könnte daraus etwas schaffen, was Romanen, Utopien und Sevaramben gleicht, aber diese Welten würden im übrigen der unseren bedeutend nachstehen.Ich kann das nicht im einzelnen zeigen, denn wie könnte ich Unendlichkeiten kennen, darstellen und miteinander vergleichen? Man muß es vielmehr mit mir ab effectu schließen, da Gott diese Welt gewählt hat, so wie sie ist. Überdies wissen wir ja, daß ein Übel oft ein Gut bewirkt, das man ohne jenes Übel nicht erlangt haben würde. .."
Es handelt sich also tatsächlich um die real existierende!

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 3. August 2016 - 13:47

Antwort auf von Dr. Doris Kiekeben

Aber was heisst das schon für die Zeit und für diesen bedeutenden, epochalen Denker.
Mir scheint, dass Welten ohne das `Böse´ der unseren keinesfalls nachstünden, allein, es gibt sie nicht.
Bei Leipniz kommt dem Bösen, jedenfalls nach diesem Zitat ein Moment des Bewegenden zu, vielleicht wie in Goethes Faust, die Kraft die stets das Böse will und stets das Gute schafft?
Nein, ich halte es für einen Trugschluss und tausche gerne die Autobahn samt Hitler ein.
Wenn man das eigentliche Movens der Welt, nämlich die Identität der Differenz oder Geschlechtlichkeit für ein Einfallstor des Bösen hält, sucht man evtl. ein quasi externes Übel, das die Welt antreibt.
Das tat Frauen nicht nur gut und der Welt auch nicht.
Jeder Mensch ist frei geboren, das richtige zutun, DENN er ist "getauft am Born der Ewigkeit".
Deshalb ist eine Erziehung zur Mündigkeit hilfreich, es müßte aber auch so gehen.
Der Mensch ist frei
und also diese Welt zwar die beste von bisher allen, aber auf dem Weg.

Detlef Dechant | Fr., 29. Juli 2016 - 16:00

Ich bin immer vorsichtig, in diesen Zusammenhängen vom "größten", "letzten" etc. zu sprechen. Was ist mit Johann Wolfgang von Goethe, Alexander von Humboldt oder Rabindranath Tagore?

Marius Gugg | Sa., 30. Juli 2016 - 12:53

Unmerklich hatte Leibniz mit der Weiterentwicklung des Binärsystems die Welt bis ins tiefste Mark erschüttert. Es ist, als hätte er mit einem kleinen Schlag eine große Eisfläche posthum zum Bersten gebracht.
Heute können wir getrost sagen, dass nichts Größeres kam, nichts Gewaltigeres, als die Entdeckung der Kombinationsmöglichkeiten zweier so unscheinbarer Zahlen wie die 0 und die 1. Hatte Kopernikus noch die Sicht auf die Welt verändert, so hat Leibniz endgültig die Welt selbst verändert.
Und jetzt, wo wir ganz im McLuhanschen Sinne dabei sind, unser zentrales Nervensystem in Form der globalen Vernetzung auszulagern, das Gedächtnis auf Festplatten zu schreiben und mit Gameboy-ähnlicher Apparatur Drohnenkriege zu führen, bleibt nur zu hoffen, dass diese Entdeckung zum Guten war.
Zumindest aber können wir sagen: hier hat alles angefangen, alles Nachfolgende bis hin zur künstlichen Intelligenz ist das Erbe Leibniz´.