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(picture alliance) Schriftstellerin Ursula Krechel

Ursula Krechel - Buchpreis für einen pechschwarzen Nachkriegsroman

Ursula Krechel schildert das Leben eines jüdischen Richters, der in das Nachkriegsdeutschland zurückkehrt: Realitätsnah und zugleich befremdlich beschreibt sie das Leben des Richard Kornitzer. Für ihren Roman "Landgericht" wurde Ursula Krechel jetzt mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet

Es ist ein großer Roman, den Ursula Krechel in diesem Herbst unter dem Titel «Landgericht» veröffentlicht. Er erzählt vom Schicksal eines Emigranten aus Nazi-Deutschland und geht einer zentralen Frage nach: Wie fügt sich ein 1939 aus Berlin geflohener und 1948 zurückgekehrter jüdischer Jurist in die Quadratur des westlichen Nachkriegsdeutschland ein? Was geschieht, wenn dessen Wunsch nach «Wiedergutmachung» auf die kleinkarierte, eben noch mit der NSDAP liierte Beamtenschaft trifft?

Dies sind die Lebensfragen des aus Breslau stammenden Dr. Richard Kornitzer, Jahrgang 1903. Als im April 1933 das nationalsozialistische «Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» erlassen wird, bedeutet dies für den aufstrebenden Assessor am Berliner Landgericht das Aus – als Jude wird er zwangspensioniert. Seine nicht-jüdische Frau Claire, eine patente Geschäftsfrau mit Liebe zum Kino, denkt allen Repressalien zum Trotz nicht daran, sich scheiden zu lassen. 1939 endlich gelingt es Kornitzer, ein Visum für Kuba zu erhalten. Zuvor noch können er und Claire ihre beiden Kinder auf einen Transport nach England geben. Dies rettet zwar deren Leben, doch der Preis dafür ist herzzerreißend: eine auch nach dem Krieg irreparable Entfremdung von den Eltern, «eine Verpanzerung, die der Vater kaum durchdringen konnte».

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Ursula Krechels Annäherung an ein exemplarisches Emigrantenleben, das ein reales Vorbild haben muss, ist ungewöhnlich. Rekonstruiert hat sie die Vita des so anrührenden wie befremdlichen Charakters Kornitzer durch intensive Gespräche sowie Recherchen in diversen Landes- und Stadtarchiven wie auch im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes. In kaum einem anderen Werk der jüngeren deutschsprachigen Literatur seit den fiebrigen Schriften des Wiener Anwalts Albert Drach geht es so rechtswissenschaftlich zu, wird derart ausführlich aus behördlichen Schriftwechseln zitiert.

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Erstaunlicherweise tut dies der sinnlichen Qualität des Textes aber keinerlei Abbruch, ebenso wenig wie Exkurse über die Besonderheiten des deutschen Grundbuchs, die NS-Rassegesetze oder die Zerstörung der Stadt Mainz im Zweiten Weltkrieg. Konsequent beschreibt der Roman, wie sich ein anerkanntes «Opfer des Faschismus» gegen alle Widerstände bis zum Rang eines Landgerichtsdirektors emporkämpft. Doch mengt Ursula Krechel alldem so viel vorsichtige Fiktion, so viel zurückhaltende Empathie für das leidgeprüfte Ehepaar Kornitzer bei, dass dessen Geschichte tief berührt. Ihre besondere Sympathie gilt dabei Claire, die als Verbündete ihres Mannes die eigenen Interessen völlig zurückstellt.

Es sind die feinen Nuancen, die hier in der Romanautorin Ursula Krechel die Lyrikerin erkennen lassen, vor allem in den reichen erzählerischen Passagen, den Schilderungen diverser Landschaften und Stimmungen: «Kuba war ein Fließen und Ergießen, Bäche von Schweiß (man roch ihn, tat aber, als röche man ihn nicht), eine Lockerung, Beruhigung ganz ohne Grund.» Im karibischen Exil findet der Richter durch das «beschämende Versinken in eine Passivität, die in Berlin im allgemeinen und von Claire im besonderen nicht verstanden werden könnte», ein paradoxes Glück. Er wird freier Rechtskonsulent – und noch einmal Vater. Zurück in Deutschland spürt er dagegen ein allgegenwärtiges Schwanken: «Das Ankommen war eine Erschütterung wie das Weggehen.»

Ursula Krechel, aus Trier stammend, kehrt jetzt literarisch «Nach Mainz!» zurück, wie ihr erster Gedichtband aus dem Jahr 1977 hieß. Kornitzers Zimmerwirtin in einem Randbezirk der ausgebombten Stadt ist hier nun die Einzige, die erstaunt zugibt, zum ersten Mal einem «Opfer des Faschismus» gegenüberzustehen.

Im Gericht dagegen sieht der Jurist sich eher versteckten als offenen Diskriminierungen ausgesetzt, Nadelstichen in der Personalakte. Als seine überfällige Beförderung ausbleibt, schreitet Kornitzer 1956 zur Tat: Vor Sitzungsbeginn zitiert er den Anti-Diskriminierungsparagrafen aus dem Grundgesetz. Es folgt eine schmerzhafte Implosion in Zeitlupe, der Zusammenbruch eines Menschen und seiner Familie, «eine absteigende Linie, die sich von dem Schock der Erniedrigung einfach nicht mehr aufrappelte». Diese trostlose These Claires bleibt in Ursula Krechels bewegendem Tatsachenroman unwidersprochen.


Ursula Krechel: Landgericht, Jung und Jung, Salzburg und Wien, 29,90 Euro

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