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Benotet - Brittens unfreiwilliges Geschenk

Auch unser Kolumnist kennt Geschenkestress. Und erinnert sich an eine Anekdote des Jahrhundert-Cellisten Mstislaw Rostropowitsch

Autoreninfo

ist Violinist und für seine Einspielungen von Musik des 18. und 19. Jahrhunderts berühmt. Zuletzt erschienen sein Buch „ Toi, Toi, Toi - Pannen & Katastrophen in der Musik“ und die CD „The Romantic Violinist“.

Foto: Harald Hoffmann / Deutsche Grammophon

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Sobald die Tage kürzer werden, beginnt man sich über eine der großen Menschheitsfragen Gedanken zu machen: Was schenkt man bloß zu Weihnachten? Es gibt natürlich auch noch andere Welträtsel, die dringend gelöst werden müssten – „Wie war das mit dem Urknall?“ zum Beispiel. Aber kaum eine, die einen so beschäftigt. Erledigt man die Einkäufe bereits im Herbst und lässt sie gemütlich im Schrank verstauben? Oder gönnt man sich den Last-Minute-Stress am 24. Dezember? Spätestens Anfang des neuen Jahres, nachdem man die Festivitäten glimpflich überstanden hat, fragt man sich trotzdem, ob das eine oder andere Geschenk tatsächlich das richtige gewesen ist.

Eine der schönsten Geschichten über das beinahe perfekte (Weihnachts-)Geschenk wurde mir vor Jahren vom legendären Cellisten Mstislaw Rostropowitsch gebeichtet. „Slava“, wie ihn fast die halbe Welt liebevoll nannte, gehörte nicht nur dank seines fulminaten Spiels, sondern auch aufgrund seiner ebenso fulminanten Persönlichkeit zu den inspirierendsten Menschen des 20. Jahrhunderts. Bei seinem viel zu frühen Tod im Jahr 2007 hinterließ er eine riesige Lücke in der Musikwelt, die bisher niemand füllen konnte. Er war eng befreundet mit den größten Komponisten seiner Zeit, von Prokofjew und Schostakowitsch bis hin zu Leonard Bernstein und Witold Lutosławski, die allesamt Werke für ihn geschrieben haben. Fast jeder Musiker, mich eingeschlossen, hat ihn bewundert und geliebt. 1971 wurde vom sowjetischen Regime ein Ausreiseverbot über ihn verhängt, weil er den Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn bei sich zu Hause aufnahm. 1974 kehrte er der Sowjetunion den Rücken und setzte sich auf bewundenswerte Art und Weise für die Demokratie und die Menschenrechte ein. Seine Gagen ließ sich Rostropowitsch gern in bar auszahlen, und er hat des Öfteren eine Brieftasche dafür verlangt. Wenn er in Italien spielte, wurde er in Lire bezahlt – und eine Brieftasche reichte nicht aus. Ich habe mich oft gefragt, was er wohl mit den ganzen Brieftaschen gemacht hat.

Einmal kam Slava spontan zu uns zu Besuch. Er konnte die tollsten Geschichten erzählen, und ich liebe es, solchen grandiosen Persönlichkeiten Anekdoten zu entlocken. Also öffnete ich eine Flasche Wodka und bat ihn, uns eine Geschichte zu erzählen.

„Mein geliebter Danuschka“, sagte er, „du brauchst nie zu fragen. Slawitschka sagt doch immer Ja!“
„Dann“, sagte ich, „erzähle uns bitte etwas über den Komponisten Benjamin Britten.“

„Oh, mein Freund Ben“, antwortete Slava mit breitem Grinsen. „Ich erzähle dir, wie ich das beste Weihnachtsgeschenk meines Lebens bekam. Wir waren in Aldeburgh, Brittens Festival. Britten kam zu mir und sagte: Slava, wir haben gerade eine Nachricht vom Buckingham Palace bekommen. Lady Mary Frances Bowes-Lyon, die Schwester der Königinmutter, wird übermorgen hier sein. Sie kommt ins Konzert, und danach gibt es einen Empfang.

Ich war ein einfacher russischer Junge, hatte noch nie ein Mitglied eines Königshauses kennengelernt und war sehr aufgeregt. Für mich, da sie die Schwester der Königinmutter war, war sie eine Prinzessin. Eine Prinzessin wie Tschaikowskis Dornröschen! Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen und überlegte, wie ich mich verhalten sollte, wenn ich sie kennenlernen würde. Sollte ich mich verbeugen, wenn ich vor sie trat? Ich kam auf eine fantastische Idee. Ich würde eine Pirouette machen! Ich übte es in meinem Zimmer.

Am nächsten Tag kam ich wieder mit Britten zusammen und sagte: Ben, ich habe mir etwas überlegt. Ich werde der Prinzessin meine Hand geben und einen Ehrentanz machen.
Darauf Britten: Was meinst du mit Ehrentanz?
Ich: Ich werde es dir vorführen. Und ich führte es vor.
Britten war entsetzt: Bist du wahnsinnig, das geht nicht!
Ich: Doch, das mache ich. Ich werde zum ersten Mal eine richtige Prinzessin kennenlernen, und ich werde das machen.
Britten: Nein, Slava, das geht nicht. Das wird ein Skandal.
Britten sah, dass es mir ernst war und fragte: Was kann ich tun, damit du es nicht machst?
Ich: Du kannst mir eine Suite für Solocello komponieren!
Britten: Das ist doch lächerlich. Ich bin schließlich nicht Bach.
Ich: Eine Suite für Solocello – oder ich mache diese Pirouette.
Am nächsten Tag erschien Prinzessin Mary in Aldeburgh. Die Hofdamen stellten mich vor: Your Royal Highness, das ist Mstislaw Rostropowitsch. Ich sank fast auf die Knie, sah noch einmal zu Britten und flüsterte: Ben, eine Suite für Solocello!

Weihnachten 1964 hat Rostropowitsch sie bekommen. 

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