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Boston-Terror - Nicht-News in Dauerschleife

Nicht nur die Terroranschläge in Boston waren tragisch, auch die Medienberichte darüber sind es: Fehl- und Nicht-Nachrichten in Dauerschleife, peinliche Fragen an Ahnungslose. Die Mechanismen hinter der ewigen Schreckensnachricht

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Es war eine dieser Biergartenrunden – Sonne, Salat und ein kühles Alster. Genau der richtige Moment, um mal wieder so richtig über die Journalisten vom Leder zu ziehen. Einer meiner Freunde erregte sich, welchen Unsinn unsereins über die Bombenanschläge in Boston berichte. Ihm vergehe langsam die Lust am Fernsehen. Zwar bin ich keine TV-Journalistin, aber es gab kein Entrinnen mehr: Seine Erregung über einen ganzen Berufsstand brach sich gegenüber meiner Person Bahn.

Später am Abend schaute ich auf mein Smartphone – zwei Push-Nachrichten von n-tv. Eigentlich nervt mich diese App schon, vor allem die dauernden Fußball-Zwischenergebnisse. Am 8. Februar hatte ich von n-tv eine besonders lustige „Breaking News“ erhalten mit dem Titel: „Schavan tritt zurück“, darunter ein Buchstabensalat: Bklakakakakakaksa. Zu dem Zeitpunkt hatte die Bildungsministerin aber noch gar nicht abgedankt. Wenn da mal nicht ein gelangweilter Redakteur zu früh auf den roten Knopf gedrückt hat! Eine Korrektur hatte es damals übrigens nicht gegeben.

Nun hatte ich zwei n-tv-Eilmeldungen auf meinem Handy: 1. In Boston ist laut einem CNN-Bericht ein Verdächtiger im Zusammenhang mit den Bombenanschlägen festgenommen worden. 2. Die Polizei hat einen CNN-Bericht dementiert, wonach eine Person in Gewahrsam sei.

Gut, dachte ich, offenbar hat der Sender dazu gelernt und korrigiert jetzt wenigstens seine Falschmeldungen. Aber will man mich an einem unbeschwerten Bierabend tatsächlich wegen einer Festnahme – oder besser gesagt: keiner Festnahme – behelligen? Sollten Eilmeldungen nicht vielmehr für die wirklich wichtigen Dinge vorbehalten sein – für den Bombenanschlag selbst, für den Tod von Margaret Thatcher? Nicht aber für alle Verästelungen, die ein solcher Sachverhalt mit sich bringt?

Um n-tv in Schutz zu nehmen und meinem Freund Recht zu geben: Wenn man sich die Berichterstattung rund um den Boston-Marathon derzeit anschaut/-hört/-sieht, dann entdeckt man drei Muster, über die selbst  Branchenvertreter den Kopf schütteln müssen.

Muster 1: Nicht-News in Dauerschleife

Seitdem die ersten Nachrichten über die furchterregenden Bomben-Attentate über die Ticker liefen, hungern die Medien nach jedem darauf bezogenen Schnipselchen und Skandalon. Weil es aber nur eine einzige Obama-Stellungnahme gab, der Tag aber 24 Stunden hat, kaprizieren sich die Journalisten auf Abseitiges. Korrespondenten spekulieren über Polizeitaktiken, palavern über „Eindrücke und Informationen“. Selbst die Information, dass ein Food-Portal zum Gedenken an die Boston-Opfer Vollkorn-Scones mit Preiselbeeren empfiehlt – und deswegen im Internet einem Shitstorm ausgesetzt ist, überwindet die Schwelle zur Nachrichtenwertigkeit.

Weil man nicht weiter weiß, löchert man Leute, die auch nichts wissen. Da fragt der Deutschlandfunk den ehemaligen US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum: „Trauen Sie sich eine Einschätzung zu, in welchem Lager Sie den oder die Täter vermuten?“ Der Mann wohnt in Deutschland!

Seite 2: Vorhang auf für die Hardliner

Beim ZDF-Morgenmagazin ist am Mittwochmorgen Ex-Außenministerin Madeleine Albright zu Gast, die sich in dem Buch „Winter in Prag“ auf die Suche nach ihrer jüdischen Identität begeben hat. Statt diese Prominenz zu nutzen, vergeudet der Moderator die Hälfte der Sendezeit mit Fragen wie: „Wie kann dieser Bombenanschlag die Befindlichkeiten der US-Amerikaner verändern?“  In einem späteren der vier Boston-Beiträge lässt das ZDF einen Knut Thiele aus Leipzig sein Bedauern ausdrücken.

In jeder Stadt, in der bis Ende 2013 ein Marathon stattfindet, findet die Lokalzeitung einen Bedenkenträger, der das Sicherheitskonzept in Frage stellt. Was uns zu Muster 2 führt…

Muster 2: Bühne für die Hardliner

So absehbar, wie morgens die Sonne aufgeht,  zitieren Medien nach Terroranschlägen oder erschütternden Straftaten Sicherheitspolitiker an die Mikrofone. Gleich am Dienstag durfte der CDU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl im Deutschlandradio sein „Wir wussten es ja schon immer“ aufsagen und – völlig unwidersprochen – die Vorratsdatenspeicherung fordern.  Dass es sich dabei um eines der am schärfsten umstrittenen Überwachungsvorhaben handelt, vor denen alle Datenschützer warnen, fiel dem Journalisten nicht ein. Stattdessen die Suggestivfrage: „Und Sie glauben, dass die Vorratsdatenspeicherung Terrorakte dieser Art, wie sie jetzt in Boston ganz offenbar geschehen sind, verhindern kann?“ Ähh – ja?! Der Mann ist Sicherheitspolitiker!

Muster 3: Relativierung anderer Schreckensmeldungen

Der Schockzustand über den Terror in den USA reiht sich nahtlos in die Berichterstattung über den 11. September 2001 ein. Weil das so ist, überstrahlen die Ereignisse in Boston zwanghaft alle anderen schlimmen Meldungen aus der Welt, etwa das Erdbeben in Iran mit Dutzenden von Toten. „Aber dafür fühlen wir uns weniger verantwortlich“, schrieb Arno Widmann in der Berliner Zeitung. „Das ist die Tektonik der Kontinentalplatten, das sind keine gesellschaftlichen Verschiebungen. So switchen wir zurück nach Boston.“

Am Sonntag sind in Somalias Hauptstadt Mogadischu 34 Zivilisten bei islamistischen Attentaten gestorben. Interessiert uns das nicht, weil dieser Terror eben zur „afrikanischen“ Tektonik gehört? Es gibt noch einen zweiten Grund für das Ausblenden anderer Schreckensnachrichten: die USA sind eine Elite-Nation. Eine, die mächtiger ist als wir, mit der wir über viele Beziehungen eng verbunden sind. Deshalb gewichten Medien Nachrichten aus den USA stärker. Das sagt die „News Bias“-Forschung, die den treffenden Namen trägt: „Bias“ heißt „Vorurteil“. Was uns die Medien präsentieren, ist eben nur ein verzerrter, einseitiger Ausschnitt der Realität.

Deswegen ist es gar nicht so falsch, wenn mein Freund den Fernseher für die nächsten Tage auslässt. Wenn etwas wirklich Neues passiert, erfährt er es schon – und sei es über die n-tv-App.

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