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Advent - Gipfel des Grauens

Dudelsongs, Lichterketten und Bratwürste: Es singt, blinkt und stinkt wieder auf allen Weihnachtsmärkten. Alles Trash, meint unser Stil-Kolumnist Alexander Grau.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es ist wieder so weit: Tagsüber wird es kaum noch hell, erster Schneematsch ruiniert die Schuhe, und schon seit Monaten liegen in den Auslagen der Supermärkte fade Billigbackwaren, die zynischerweise unter dem Begriff „Lebkuchen“ um geschmackstumbe Kundschaft buhlen.

Doch erst heute startet der ultimative Countdown: Unzählige Weihnachtsmärkte werden an diesem Wochenende eröffnen. Von 3.000 bis 5.000 in ganz Deutschland sprechen Branchenkenner. So genau aber weiß das keiner. Süßlich dämliche „Christmas-Songs“ wie „Do They Know It’s Christmas“ oder „Last Christmas“ werden die Ohren zukleistern. Fettschwaden von Millionen von Bratwürsten werden sich über mit Kunstschnee besprühte Tannenzweige legen und sich mit dem penetranten Geruch von in Karamell ersäuften Mandeln mischen.

Brachiale Geschmacklosigkeit


In ihrer brachialen Geschmacklosigkeit werden diese Kalorienorgien nur noch durch den Nippes und Plunder überboten, der sich hierzulande unter dem beschönigenden Begriff „Kunsthandwerk“ großer Beliebtheit erfreut. Gipfel des Grauens zwischen all den Mützen, Decken, Kerzen, Leuchtern und Kristallen sind dabei ohne Zweifel die unsäglich geschmacklos zusammengelöteten Ketten, Ringe und Armreife, die als „Schmuck“ verkauft werden, obwohl sich selbst bei größter Fantasie kaum vorstellen lässt, wen oder was dieser Tinnef schmücken sollte.

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Um das alles überhaupt erträglich zu machen, ist es unter Besuchern von Weihnachtsmärkten Brauch, sich erst einmal Mut anzutrinken. Zu diesem Zweck wird in kitschig bedruckten Tassen ein klebriges Heißgetränk gereicht, das neben Zucker auch Anteile von Wein enthalten darf, weshalb es in der Regel unter dem euphemistischen Namen „Glühwein“ angeboten wird.

Wird das rötliche Zuckergebräu zu stark erhitzt, verdampft auch noch sein einziger Inhaltsstoff, der angesichts dieser Tristesse etwas Trost verspricht: der Alkohol. Um diesem fatalen Prozess entgegenzuwirken, hält jede Glühweinbude ein paar Flaschen Billigrum griffbereit. Die wissen schon, warum.

Las Vegas dagegen ein Hort geschmackssicherer Distinguiertheit


Flieht man schließlich mit einer gastritissicheren Mischung aus Fett, Zucker und Alkohol im Magen vom Ort des Schreckens, so hat das Grauen noch lange kein Ende. Auf dem Heimweg wird man vielmehr an jeder Ecke von hell erleuchteten Weihnachtsmännern heimgesucht. Sollte der Besitzer der betroffenen Wohnung ein besonders witziger Gesell sein, dann entert gleich eine ganze Horde von ihnen die betroffene Hausfassade. Dazu kommen Rentiere und Schlitten in allen Farben, blinkende Sterne und bunte Lichterketten, mit denen besonders entschlossene Freunde des Lichtfestes auf ihrem Balkon eine Illuminationsorgie veranstalten, neben der sich Las Vegas als Hort geschmackssicherer Distinguiertheit erweist.

Keine Frage: Die Adventszeit, die heute beginnt, stellt den halbwegs kultivierten Zeitgenossen vor nicht unerhebliche Herausforderungen. Mehr Trash ist selten.

Wer jetzt eine moralinsauere Abrechnung über die Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes und die Adventszeit erwartet, ein Wehklagen über den Stress und die Hektik der Vorweihnachtszeit, den muss ich allerdings enttäuschen. Jede Gesellschaft feiert ihre Feste im Rahmen ihrer ökonomischen und technischen Möglichkeiten. Das war immer so. Daran lässt sich wenig ändern. Und es wäre auf seine Art auch verlogen, wenn eine hoch technisierte Wohlstandsgesellschaft das wichtigste Fest des Jahres in aufgesetzter Bescheidenheit oder gar als  selbstanklagende Armutsperformance inszenieren würde. Und im Übrigen: Die drei Magier aus dem Morgenland, die der unter dem Namen Matthäus geläufige Autor in das Weihnachtsgeschehen hineindichtet, bringen dem Jesuskind ja auch kein selbst gebasteltes Strohpüppchen mit, sondern Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Dass Menschen zudem an diesen dunkelsten Tagen des Jahres eine Sehnsucht haben nach allem, was leuchtet, blinkt und funkelt, ist ja nur allzu verständlich. Und genau hier liegt auch der Ursprung des Weihnachtsfestes. Bevor es nämlich von den Christen okkupiert wurde, galt es dem „Sol invictus“, dem unbesiegbaren Sonnengott, dessen Fest zur Sonnenwende am 25. Dezember sich im kaiserlichen Rom großer Beliebtheit erfreute.

Zugespitzt formuliert: Advent und Weihnachten sind im Grunde zutiefst heidnische Feste, und es hat die Kirchen einen erheblichen Aufwand gekostet, all den Kerzen, Lichtern, Kränzen und anderen zahllosen Bräuchen einen christlichen Anstrich zu gegeben. Geblieben sind eine gehörige Portion Misstrauen und der stets erhobene Zeigefinger.

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Nicht ohne Grund. Denn vielleicht ist es tatsächlich unser tief im Herzen verankertes Heidentum, das uns jedes Jahr wieder in die Fußgängerzonen und auf Marktplätze treibt, uns Maronen, Waffeln und becherweise Glühwein einverleiben lässt, während „Driving Home For Chrismas“ in den Ohren dröhnt und im Hintergrund der Elch blinkt.

Das Schlimme an diesem heidnischen Brauchtum ist jedoch nicht der Ritus aus Alkoholrausch und Lichterzauber. Im Gegenteil, nichts spricht gegen den kleinen Feierabendschwips, weil man ein Glas Punsch – oder auch zwei oder drei – zu viel getrunken hat, gewisse Mindeststandards an Qualität und Aroma vorausgesetzt.

Bitte mehr Qualität und weniger Quantität


Genau hier liegt aber das Problem. Und insofern sind die Weihnachtsmärkte und Adventsbräuche dieses Landes nur Ausdruck seiner Befindlichkeit und seiner Einstellung zu Qualität und Geschmack. Als ob gerade entbehrungsreiche Hungerjahre voll Elend, Krieg und Verwüstung hinter uns lägen, stürzen wir uns auf alles, was fett, süß, klebrig und möglichst laut und bunt ist.

Dabei geht es auch anders. Und damit ist tatsächlich der spießige Hinweis gemeint, mehr auf Qualität zu achten und weniger auf Quantität. Es gibt auch auf dem Weihnachtsmarkt guten Glühwein vom Winzer und Bratwurst vom örtlichen Metzger. Manche Zimtsterne sind ausgezeichnet. Und ja: die eine oder andere handgefertigte Holzschnitzerei aus dem Erzgebirge wirkt gerade in ihrer Zerbrechlichkeit anrührend und kostbar. Und dann macht das Ganze auch Spaß. Denn seien wir ehrlich: Was nervt mehr als misslaunige Weihnachtsverächter und griesgrämige Konsumkritiker?

Aber so richtig zum Fest wird die Adventszeit, wenn man selbst bis zum Ellbogen im Plätzchenteig steckt – das Glas mit dem guten Rotwein griffbereit. Wenn dann auch noch die bunt leuchtenden Balkongirlanden im Keller bleiben und man die blinkende Zipfelmütze absetzen darf, kann es einem schon warm ums Herz werden. O du fröhliche....

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