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Bestseller des Dalai Lama - Meditation führt nicht zum Weltfrieden

Kisslers Konter: Kein Sachbuch verkauft sich derzeit besser als der „Appell des Dalai Lama“. Seine Ratschläge zum Seelenfrieden treffen auf ein sinnhungriges Publikum. Sie sind aber politisch naiv, fliehen vor der Realität und stillen so eine urdeutsche Sehnsucht

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Deutschland liebt diesen knuddeligen Mönch, nicht einmal Red Bull kann den Freudenwein mit Zuckerlimo wässern. Der 14. Dalai Lama mag noch so oft die Vorzüge seiner zölibatären Lebensform preisen, niemand nimmt ihm das krumm. Er sagt in derart einfachen Sätzen derart sympathische Weisheiten, dass alles andere als Platz 1 der „Spiegel“-Bestsellerliste für den „Appell des Dalai Lama an die Welt“ eine Überraschung gewesen wäre: „Wir benötigen positive Geisteszustände.“ „Ethik ist die Wissenschaft vom Glück.“ „Ethik ist wichtiger als Religion.“ Der „Papst des Ostens“ (Franz Alt) erteilt dem religionsskeptischen, wissenschaftshörigen Westen Absolution, und der Westen lächelt zurück.

Insofern war es ein kluger Schachzug der Red Bull Media House GmbH, einen neuen Verlag namens Benevento mit diesem 56 Seiten schmalen Besinnungsbüchlein auf den Markt zu schicken. Man kann es für 4,99 Euro erwerben oder kostenlos downloaden. Der Gewinn kommt der Deutschen Tibethilfe zugute. Eine Win-Win-Win-Situation ist es, die keine Löcher in die Bilanzen des österreichischen Getränke- und Medienimperiums reißt. Doch sind die Gedanken des geistlichen Oberhaupts der Tibeter mehr als nur Kalenderspruch und Gesundbeterei?

In Ausnahmefällen durchaus. Sein starkes Plädoyer für eine Wiederentdeckung des Naturrechts – die „angeborene menschliche Natur“ bedinge „unsere natürliche Veranlagung zu Güte, Mitgefühl und Fürsorge“ – schließt den buddhistischen Appell kurz mit dem Konstitutionalismus des Westens und dem jüdisch-christlichen Menschenbild. Sein Werben zugunsten von mehr „Geistesschulung und Herzensbildung“ trifft in einer übertechnisierten Welt den neuralgischen Punkt. Und dass „negative Emotionen“ sich zu einem metaphorischen wie tatsächlichen, individuellen wie kollektiven Krebsgeschwür ausweiten können, bestreitet niemand. Eine Welt aus lauter Dalai Lamas wäre ein schöner, ein friedlicher Ort, ohne Aggressionen, ohne Waffen, ohne Kriege. Be happy!

Mitgefühl und Güte halten den IS nicht auf
 

Allein die Welt, sie ist nicht so, und damit beginnen die Probleme, und damit wird es billig, eskapistisch und naiv. Billig ist die Erhöhung der Hirnforschung zum spirituellen Lehr- und Wächteramt. Immer und immer wieder, besonders im beigegebenen Gespräch mit dem Fernsehjournalisten Franz Alt, singt der Mönch das Hohelied der „Neurobiologen und Neuropsychologen“. Diese hätten „im Forschungslabor“ – haben sie das überhaupt? – festgestellt und lehrten uns nun, „dass wahres Glück (…) unser Recht von Geburt an“ sei.

Was aber, wenn eines Tages die traditionell so volatilen Konjunkturen der Wissenschaft in die andere Richtung ausschlagen, wenn des Menschen Glück in Kraft und Stärke liegen soll und nicht länger, wie der Dalai Lama behauptet, in „bewusstem Mitgefühl, liebender Güte und Achtsamkeit“? Muss dann der spirituell musikalische Ethiker sein Heil suchen bei rigiden Verhaltenslehren der Kälte? Hier kettet sich eine Diesseitsreligion an ein konkurrierendes Sinnsystem.

Eskapistisch ist die pure Innerlichkeit, die der Dalai Lama als Allheilmittel für alle Schieflagen des Planeten wie der Seele propagiert. Wer um halb sieben zu Bett geht, mag nach einem neunstündigen Schlaf frisch und wach genug sein für eine Dauermeditation von vier Stunden – und gewiss täte auch im Hamsterrad nichtzölibatärer Daseinssorge der eine oder andere Urlaub vom Ich unseren High Potentials gut. Aus der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts verabschiedet sich aber, wer allen Ernstes erklärt, „durch intensives Meditieren werden wir feststellen, dass Feinde unsere besten Freunde werden können“, von ihnen könne man „am meisten lernen“.

Und, zugespitzt: Feinde gäbe es gar nicht, nur „Menschen, die ich nicht kennengelernt habe.“ Was aber ließe sich von Kim Jong-un oder dem „Islamischen Staat“ lernen außer Mordlust und Blutgier? Dass Ordnung mehr als das halbe Leben ist und Terror seine ganz eigene Grammatik hat? Keine Meditation wird aus ihnen je Freunde machen, je Friedensarbeiter. Der implizite Ratschlag, sich nach Sirte oder Pjöngjang zu begeben, um die Feinde kennenzulernen, gleicht einem Himmelfahrtskommando mit eingebauter Märtyrergarantie.

Naiv ist die realitätsunempfindliche Überschätzung der Innerlichkeit besonders dann, wenn sie konkreten Unfrieden berührt. Das „Wir“, das der Dalai Lama beschwört, schließt die finsteren Kräfte aus, ohne die Frage zu beantworten, wie die ethische Veredlung der spirituell Ansprechbaren die Bösen überhaupt beeindrucken soll. Gibt es geheime Wünschelrutengänge auf der Landkarte der Moral? Verschwinden die Menschheitsfeinde, wenn wir „Mitgefühl mit uns selbst“ haben? Unterkomplex geraten die verbliebenen Antworten: „Die indische Gesellschaft ist insgesamt friedlich und harmonisch.“

Entlastung in einer heillos komplexen Welt


Die Explosionen von Gewalt, sei es gegen Frauen, sei es gegen religiöse Minderheiten, zeigen ein anderes Bild. „Meine muslimischen Freunde sagen mir, dass gewalttätige Muslime keine wirklichen Muslime sind.“ Sind damit sämtliche Angriffe und Attentate im Namen des Islam hinweg definiert? Alles also Werke verkleideter Atheisten? „Abrüstung ist praktiziertes Mitgefühl“, nur Gewaltlosigkeit forme dem Menschen. Ungern hört man die zynische Melodie vom Radikalpazifismus aber in Kerkern, den Folterknecht im Blick.

Warum die Deutschen einen Narren gefressen haben an diesen quietistischen Botschaften, dürfte nun klar sein. Der „Appell des Dalai Lama“ präsentiert Meditation als Weg zum Weltfrieden. Das entlastet in einer gnadenlos unübersichtlichen, heillos komplexen Welt ungemein. Wer ein guter Mensch sein will, muss nun nicht mehr die anstrengende Frage nach Gut oder Böse stellen, muss sich nun nicht mehr den Kopf zerbrechen über politische, womöglich militärische Antworten auf die Krisen und Kriege weltweit.

Der brave Deutsche darf jetzt tun, was er gerne tut: die Augen schließen, die Hände in den Schoß legen, sich in sich selbst versenken. Ein Dalai Lama gibt den fernöstlichen Segen für den biedermeierlichen Rückzug ins Innerliche, Private, Unpolitische. Mit einer solchen Philosophie des Abseitsstehens und Heraushaltens wird die Welt dann leider doch kein schönerer Ort.

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Dalai Lama und Franz Alt (Hrsg.): Der Appell des Dalai Lama an die Welt: Ethik ist wichtiger als Religion, Benevento, 56 Seiten, 4,99 Euro.

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