Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
() Benjamin von Stuckrad-Barre als DJ auf einer Aftershow-Party von Udo Lindenberg.

Literatur - Berlin ist Deutsches Theater

Als Literatur-DJ und Provokateur vom Dienst begann er seine schriftstellerische Karriere. Jetzt schreibt Benjamin von Stuckrad-Barre über das politische Berlin und dessen neue Gesellschaft – und ärgert sich über wohlfeilen Hauptstadthass
Just in dem Moment, als das Interview beginnen soll, marschiert draußen vor den Fenstern des Berliner Restaurants „San Nicci“ ein Demonstrationszug vorbei.

„Recht auf Ausbildung“ und „Schlange stehen für Lehrstellen“ steht auf den Transparenten. Dies ist eine Demonstration der „GEW“, der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“.
Und schon sind wir mitten drin im politischen Berlin. Soll der Lehrer mehr verdienen als der Briefträger? Meinetwegen. Sollen beide mehr verdienen als ein Assistenzarzt? Ich bin nicht sicher. Brauchen wir die Post so, wie wir die Bahn brauchen? Nicht klar. Obwohl: Ich habe gestern seit langer Zeit mal wieder einen Brief verschickt. War schön.

Wer bekommt den Brief?
Ich möchte für einen Artikel einen Fernsehabend mit Hans Magnus Enzensberger abhalten. Wie aber nimmt man Kontakt auf? Ich habe ihn im letzten Sommer kennenlernen dürfen, flüchtigst, Matthias Matussek hatte in einem Lokal am Gendarmenmarkt eine bunte Abendgesellschaft zusammengewürfelt, Safranski war auch dabei, und plötzlich wurde es hell: Enzensberger kam hinzu! Ich saß fanmäßig beklommen da, weil ich gerade ein Buch von ihm drei Mal hintereinander gelesen hatte, und dann habe ich ihm erzählt, was alles Schönes in seinem Buch steht – völlig deppert. Aber er war ausgesprochen freundlich, herrlich spöttisch, und wir haben uns sehr lange über Nassrasierer unterhalten.

Welches Buch war das?
„Zu große Fragen“, eine Sammlung von Gesprächen, sehr anregend. Seine Telefonnummer hätte ich mir ergaunern können: einfach Matussek fragen. Aber ich dachte: Nein, das macht man nicht. Bestimmt mailt Enzensberger, aber auch dieser Weg schien mir zu aufdringlich. Also: Brief. Aus Hotels nehme ich immer die Briefbögen und Umschläge mit, das ist mein Briefpapier. Ich habe wahnsinnig lang nachgedacht, auf welchem Papier und in welchem Umschlag ich Enzensberger schreiben soll, ich hatte nämlich nur noch zwei zur Auswahl, einen vom Atlantic in Hamburg, der andere Umschlag war vom Hotel Elefant in Weimar. Da dachte ich, nein, das wirkt ja wie ausgedacht, so, als hätte ich den extra besorgt, um Enzensberger zu beeindrucken. Schwierig.

Und? Welches ist der ideale Umschlag für Enzensberger?
Ich habe dann „Hotel Elefant, Weimar“ durchgestrichen und „Stuckrad-Barre, Berlin“ drüber geschrieben, und just da rief Matussek an und sagte: Du kannst Enzensberger ruhig anrufen, ich gebe dir die Nummer. Aber ich fand das ungehörig, man ruft nicht einfach an bei so jemandem. Was soll denn der sagen – ich dichte gerade? Also bat ich Matussek um Enzensbergers Postadresse. Doch schon wartete das nächste Problem: in Berlin-Mitte einen Briefkasten zu finden. Die sind ja alle so unglaublich online hier.

Was stand drin im Brief?
Na, mein Begehr: der gemeinsame Fernsehsonntagabend. Und noch mal zur Einordnung, damit er weiß, wer sich aus dem Hotel Elefant in Weimar meldet, ein paar Zeilen zu unserem Abend damals, als wir eine Stunde darüber geredet haben, wie lobenswert die Firma Gillette im Unterschied zu Odol ist, weil Gillette sich für sein Produkt interessiert.

Ist Enzensberger Nassrasierer?
Natürlich! Und ganz vorn dran an den Produktentwicklungsnovitäten.

Also hat er jetzt schon das Fünf-Klingen-Modell.
Damals war er noch bei Mach 3, glaube ich. Wir überlegten im Gespräch aber, ob es jetzt sinnvoll sei, auf dieses Titanium-Dingsda, Fusion, umzusteigen.

Foto: Picture Alliance

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.