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Zischler über Berlin - Kulisse für ein noch ungeschriebenes Stück

Vom Wilhelminismus über Nazi-„Germania” bis zur Nachkriegszeit: Hanns Zischler als Archäologe eines fast unbekannten Berlin

Autoreninfo

Daniel Schreiber war bis Ende 2012 Leiter des Cicero-Ressorts Salon. Nach einem sechsjährigen Aufenthalt in New York arbeitete er als Redakteur für das Kunstmagazin Monopol. 2007 erschien seine Biographie "Susan Sontag. Geist und Glamour" im Aufbau-Verlag.

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Nicht schon wieder, denkt man zunächst. Ist Berlin denn nicht schon oft genug gepriesen oder beschimpft worden? Dass dieses Buch „Berlin ist zu groß für Berlin” trotzdem ein großer Gewinn ist, liegt an Hanns Zischler, seinem stets originellen Autor. Gleichberechtigt hat er hier lakonische Fotos, Essays und historische Zeugnisse nebeneinandergestellt. Vor allem aber hat er sich, in Baudelaire’scher Flaneur-Tradition, Orte erwandert, die man gemeinhin ausblendet oder nur flüchtig wahrnimmt.

Zum Beispiel den Invalidenpark, der trotz prominenter Lage ganz nahe am Hauptbahnhof ein vernachlässigter Winkel ist: Peter Joseph Lenné und Karl Friedrich Schinkel hatten hier 1843 noch eine lauschige Maulbeerplantage für die Erholung kriegsblinder Invaliden errichtet, aber schon sieben Jahre später ließ Friedrich Wilhelm eine 33 Meter hohe, mit einem Bronzeadler garnierte Pompsäule erbauen. Diese wiederum wurde von der SED-Regierung gesprengt, weil sie ihr wie das Stadtschloss als Schandfleck des preußischen Militarismus galt. Dann wurde der Park zum Mauersperrgebiet und fiel einer Verwahrlosung anheim, von der er sich bis heute nicht erholt hat. „Vertaner Raum, ausgelöschte Zeit”, resümiert Zischler.

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Vom Brixplatz geht es weiter nach Stralau und auf den Teufelsberg, unter dem sich die mit Geröll aufgeschütteten Ruinen von Hitlers Wehrtechnischer Universität befinden. Nach dem Prinzip der psychoanalytischen Archäologie holt Zischler eine urbane Landschaft ins Bewusstsein, die „dem Phantom einer Groß- und Weltstadt durch einen schier unstillbaren Ausdehnungshunger” hinterherjagt. Vom Wilhelminismus über Nazi-„Germania” bis zur Nachkriegszeit: In Berlin tendierte man stets zu „Abriss, Ausweitung und triumphalistischem Aufbau, als ginge es darum, neue Theaterkulissen und neue Provisorien für ein noch ungeschriebenes Stück zu errichten”.

Hanns Zischler bleibt unserer verschütt gegangenen kollektiven Erinnerung auf der Spur. Dies ist ein Berlin-Buch, das man nicht so leicht vergisst.

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