- „Dann muss der ÖRR beweisen, dass er ausgewogen ist“
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Gerichte dürfen prüfen, ob ARD, ZDF und Deutschlandfunk ausgewogen berichten. Im Interview erklärt der Rechtsanwalt Carlos A. Gebauer, warum das revolutionär ist und was dem ÖRR nun droht.
Zu groß, zu teuer, zu einseitig: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht immer wieder in der Kritik. Aber ab wann genügt das Programm nicht mehr den Anforderungen an Vielfalt und Ausgewogenheit? Und lässt sich daraus ein Anspruch ableiten, den Rundfunkbeitrag nicht mehr zahlen zu müssen? Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat dazu nun ein bemerkenswertes Grundsatzurteil gesprochen.
Die Richter stellten nämlich fest, dass der Rundfunkbeitrag dann verfassungswidrig sei, wenn das Programm des ÖRR Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit „über einen längeren Zeitraum gröblich verfehlt“. Und das wiederum könnten Verwaltungsgerichte überprüfen. Bisher war die Prüfung von Programmbeschwerden dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk selbst überlassen. Das ist nun passè.
Davon ausgehend muss sich der Verwaltungsgerichtshof in München erneut mit der Klage einer Frau aus Bayern befassen, die den Rundfunkbeitrag nicht zahlen wollte. Die Klägerin argumentiert, dass der ÖRR seinen gesetzlichen Auftrag verfehle, weil das Programm weder ausgewogen noch vielfältig sei. Carlos A. Gebauer ist Rechtsanwalt und Publizist. Er vertritt die Klägerin.
Herr Gebauer, wären Sie bitte so freundlich, uns erstmal zu erklären, worum es in dem Prozess gegangen ist?
Ich fange historisch an. Ursprünglich ist der Rundfunk finanziert worden durch Gebühren. Deswegen ist auch in unser aller Köpfe immer noch die GEZ als Gebühren-Einzugszentrale verortet. Die Gebühr konnte man umgehen, indem man Fernseher und die Radios abgeschafft hat. Dann war man raus aus der Sache. Im Jahr 2013 ist das umgestellt worden, von Gebühren auf Beiträge. Der rechtsdogmatische Unterschied besteht nun darin, dass man den Beitrag – anders als die Gebühr – nicht für die tatsächliche, konkrete Inanspruchnahme einer Gegenleistung bezahlt, sondern für die bloße Möglichkeit der Inanspruchnahme einer hypothetisch zur Verfügung gestellten Leistung. Ein schönes Parallelbeispiel ist immer der Rentenversicherungsbeitrag. Den muss man bezahlen, auch wenn unklar ist, ob man jemals Rente bezieht.
Warum ist die Rundfunkgebühr eigentlich keine Steuer?
Es ist keine Steuer, weil der Einzige, der eine Steuer erheben darf, der Staat ist, respektive eine Gemeinde, also eine Hoheitskörperschaft. Wäre die Rundfunkfinanzierung eine Steuer, hätten wir einen Staatsfunk. Und das darf nach Artikel 5 Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht sein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss staatsfern organisiert sein und soll dem staatlichen und Partei-Einfluss entzogen sein.
Was in der Realität nicht der Fall ist, weil die Rundfunkräte entsandt werden von den Landtagen.
Korrekt. Mein Heilungsvorschlag ist deshalb, dass alle Beitragszahler eines Senders demokratisch wählen sollen, wer der Rundfunkrat ist und wer der Intendant ist – so wie überall sonst, wo ich Beiträge bezahle: Bei Sozialversicherungen, Rechtsanwaltskammern, Ärztekammern, Innungen oder einer IHK. Überall dort, wo man verpflichtet ist, einen Beitrag zu zahlen, hat man auch das Recht, zu wählen – aber nicht beim Rundfunk. Das ist ein Systembruch. Es ist fast ein wenig paradox: Ich kann zwar aus der Kirche austreten, aber nicht aus ARD und ZDF.
Und was ist jetzt der Kern der Klage in diesem Verfahren?
Die Klägerin hat – wie unendlich viele andere Leute seit 2013 – gesagt: Es kann nicht sein, dass ich für eine Fehl- oder Nichtleistung bezahlen muss. Das ist letztlich ein vertragsrechtliches Argument. In Paragraf 26 Medienstaatsvertrag steht, was der Rundfunk leisten muss: ausgewogen zu sein, vielfältig zu sein, objektiv, neutral und vor allem Journalismus auf herausragendem Niveau zu liefern. Und die Klägerin sagt: Das alles liefert Ihr nicht – und deswegen muss ich das auch nicht bezahlen.
Nur weil Ihre Mandantin die subjektive Sicht vertritt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu einseitig ist, heißt das ja noch lange nicht, dass der Vorwurf auch stimmt.
Genau. Und darum ging es jetzt auch in der Erörterung beim Bundesverwaltungsgericht. Es kann selbstverständlich nicht hinreichen, wenn ein einzelner Rundfunkbeitragszahler unzufrieden ist mit einer einzelnen Sendung oder mit dem Gesamtangebot. Um eine rechtlich relevante Kritik einzubringen, ist es erforderlich, dass das Gesamtsystem aller Leistungen aller Sender über einen nicht unerheblichen Zeitraum gröblich versagt. Und wenn das der Fall ist – das ist praktisch die Latte, die das Bundesverwaltungsgericht definiert hat – dann bewegt sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mehr im Rahmen dessen, was verfassungsmäßig möglich ist. Heißt konkret: Dann kippt er in die Verfassungswidrigkeit.
Ist die Klägerin selbst Journalistin? Denn es macht doch einen Unterschied, würde ich intuitiv sagen, ob ein Experte oder ein Laie den Vorwurf der Einseitigkeit erhebt.
Ich weiß nicht, was sie beruflich macht, weil sie im Hintergrund bleibt. Ich bin nur der Anwalt an der Front. Der Punkt ist: Es kommt nicht auf eine einzelne Privatmeinung an, sondern wir brauchen einen objektivierten Maßstab. Und das ist auch, was das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil am 15. Oktober verkündet hat; dass durch Sachverständigengutachten der Nachweis geführt werden muss, ob dieser massive Verstoß gegen Paragraf 26 Medienstaatsvertrag vorliegt. Das müssen Experten darlegen und nachweisen.
Klingt kompliziert.
Ja, und hier liegt der Hase im Pfeffer. Natürlich weiß kein Mensch: Wer ist denn jetzt der maßgebende Experte? Ist das ein Kommunikationswissenschaftler? Eine Medienwissenschaftlerin? Ein Politologe? Ein Jurist? Das ist alles noch völliges juristisches Neuland. Wir betreten ein neues rechtsdogmatisches Gebäude. Und die Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof stehen jetzt vor der Herausforderung, sich erstmals verbindlich überlegen zu müssen: Wie erhebe ich eigentlich einen Sachverständigenbeweis über die Ausgewogenheit? Weil das noch nie irgendjemand gemacht hat in Deutschland.
Jetzt würde ich sagen: „Okay, ich mache den Job – und ich kann euch auch nachweisen, dass ihr hier und dort sehr einseitig berichtet habt.“ Aber die Wahrscheinlichkeit liegt ja nahe, dass am Ende des Tages der Rundfunk selber einen Sachverständigen bestellt und dieser Sachverständige dann im Sinne des Rundfunks hinschauen wird, oder?
Jetzt sind wir ganz tief drin in der Wunderwelt des Prozessrechts. Die sogenannte Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Verstoßes gegen den Medienstaatsvertrag liegt im Ausgangspunkt bei der Klägerin. Darlegungs- und Beweislast heißt: Sie hat die Aufgabe, zu erklären, es liege ein Fehler vor, und nachzuweisen, dass ihre dahingehende Erklärung richtig sei. Dadurch steht die Klägerin zunächst einmal vor der Herkules-Aufgabe, sich mehrere Millionen Sendeminuten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus mindestens zwei Jahren anhören und dann mit Hilfe eines eigenen Sachverständigen begründen zu müssen, warum das alles nicht mehr medienstaatsvertragsgemäß ist. Das ist natürlich eine Hürde, die kein Mensch im Prozess überwinden kann. Und weil es in einem Prozess häufig der Fall ist, dass von einer Partei Dinge verlangt werden, die sie rein faktisch gar nicht erbringen kann, deswegen gibt es für eine effektiv faire Verfahrensführung bei Gericht sogenannte „prozessuale Erleichterungen“, insbesondere die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Das ist des Pudels Kern in diesem Zusammenhang.
Die Darlegungsbeweislast-Umkehr würde heißen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinerseits nachweisen müsste, dass er eben nicht einseitig ist?
Genau. Wenn die Klägerin so viel vortragen kann, dass begründeter Zweifel daran besteht, ob ausgewogen ist, was die Sender liefern, dann kann das Gericht die Darlegungs- und Beweislast umdrehen und dadurch den Beklagten verfahrensleitend in die prozessuale Pflicht setzen, von sich aus zu erklären: Was ist denn da gelaufen? Wie war das denn im einzelnen? Und was hast du getan, um sicherzustellen, dass Dein Arbeitsergebnis anständig wird? Behutsames Prozessrecht funktioniert hier wie ein Pendel: Am Anfang muss grundsätzlich die Klägerin liefern. Sie kann aber rein faktisch nicht 100 Prozent liefern. Aber wenn sie irgendwann von dem Relevanten rund 51 Prozent geliefert hat, dann kippt es, und die Gegenseite ist in der Beibringungslast.
Ich habe in meinem Leben schon viele Diskussionen geführt zur Frage, inwiefern der öffentlich-rechtliche Rundfunk einseitig ist. Ich habe ganz oft das Gegenargument gehört, es gäbe keine Studien dazu. Das stimmt. Doch meines Erachtens ist der Grund dafür der, dass die Einseitigkeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk selten daraus entsteht, dass Unwahrheiten verbreitet würden, sondern vor allem dadurch, dass entscheidende Gegenperspektiven einfach weggelassen werden. Das Problem ist hier, dass es wahnsinnig schwierig ist, Dinge nachzuweisen, die gar nicht da sind.
So sehe ich das auch. Deshalb muss man jetzt kommunikationswissenschaftliche und geradezu rhetorisch-psychologische Messmethoden entwickeln, um dem Sender gegenüber dem Nachweis zu führen, dass das, was seine Moderatoren veranstalten, tendenziös ist. Roland Schatz macht das mit seinen „Media-Tenor“-Leuten wissenschaftlich, auch für den tschechischen Rundfunk. Eine der dortigen Methoden ist, dass man nicht nur die Länge misst, wie lange bestimmte Politiker sich äußern können, sondern auch, wie oft der Moderator den Beteiligten ins Wort fällt und wie früh er ihnen ins Wort fällt.
Inwiefern spielen denn Fälle wie der von Julia Ruhs oder Andreas Halbach, die ja öffentlich stark diskutiert wurden, im Prozess eine Rolle?
Bislang überhaupt nicht. Zero, Null. Dafür haben wir im Termin einen spannenden „Freak-Case“ erörtert. Nämlich das fiktive Szenario, dass ein Sender ununterbrochen nur ein Testbild aussendet. Dann würden zwar elektromagnetische Wellen ausgestrahlt, aber sie hätten keinen Inhalt, keine Semantik. Der vorsitzende Richter am Bundesverwaltungsgericht, Ingo Kraft, hat das dem Bayerischen Rundfunk vorgehalten und gesagt: Wenn Ihr sagt, wir haben unbeschränkte Programmautonomie und können machen, was immer wir wollen, dann könntet Ihr im Extremfall auch nur ein Testbild senden.
Und weil wir uns insoweit wohl alle einig sind, dass damit der Rundfunkauftrag nicht erfüllt wäre, müssen wir von der Gegenseite kommen und fragen: Wo wird er denn noch erfüllt und wo nicht? Und weil wir nicht positiv als Gericht bestimmen können, was Ihr alles liefern müsst – denn dann würden wir Euch die Programmautonomie rechtsgrundlos insgesamt aus den Händen nehmen –, können wir juristisch nur von der anderen Seite kommen und sagen: Macht erst mal, und dann überprüfen wir anschließend, ob Ihr es falsch gemacht habt. Das nennt sich Negativ-Kontrolle.
Das heißt, der nächste Schritt ist jetzt, dass Ihre Mandantin versucht, genug Indizien – wobei ich nicht weiß, ob das juristisch der korrekte Begriff ist hier – zu sammeln, die darauf hindeuten, dass es, sagen wir, gewisse Ausgewogenheitsprobleme gibt beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt?
Ja, genau. Der Begriff der Indizien geht schon in die richtige Richtung. Wir sind jetzt auf Neuland, deswegen kann man nicht auf Standards zurückgreifen. Indiz ist ein strafrechtlicher Begriff. Wir müssen aber in der Tat genau solche indirekten „Hilfstatsachen“ liefern, das ist der zivilrechtliche Begriff. Wir müssen eine Kasuistik liefern, wo es überall schiefgelaufen ist, wo überall Fehler waren. Und aus der Akkumulation dieser dargelegten Fehler ergibt sich dann der mögliche Rückschluss auf das Gesamtversagen.
Bleibt das Problem, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht eine Einheit ist, sondern ganz viele Einheiten, die zusammen den ÖRR bilden. Heißt, fast rein hypothetisch jetzt: Wenn der NDR versagt, heißt das ja nicht, dass der BR auch versagt.
Damit legen Sie jetzt den Finger in die wahrscheinlich klaffendste Wunde dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Einerseits war das Bestreben der Verwaltungsrichter in Leipzig, die Latte hoch zu legen, damit es ganz schwierig wird, darüber zu kommen, und um den Rundfunk nicht wegen irgendwelcher Petitessen zu gefährden. Deswegen haben die Richter gesagt: Es reicht nicht, wenn eine einzelne Sendung falsch ist oder an einem ganzen Tag nur Mist gesendet wird, sondern alle Sender insgesamt müssen über einen gewissen Zeitraum gröblich danebenliegen.
Aber überlegen wir einmal praktisch: Was passiert denn, wenn Sie beispielsweise der Intendant des WDR wären und ich der des MDR, und wir jetzt gesagt bekommen: Wenn Euer Gesamtsystem nicht mehr ausgewogen ist, dann rutscht Ihr mit allen anderen zusammen in die Verfassungswidrigkeit? In dem Moment fangen wir doch schon rein spieltheoretisch auf der Stelle an, uns wechselseitig zu kontrollieren und zu beäugen: Was macht der Kollege? Denn wenn der WDR anfinge, wilden Wahnsinn zu produzieren, setzt er dadurch alle anderen Sender in das Risiko, mit ihm gemeinsam im Orkus der Verfassungswidrigkeit zu verschwinden. Damit haben alle einen Kontroll- und Überprüfimpetus und sagen: Wir müssen gegensteuern. Wenn der sein Programm radikal links macht, dann müssen wir unseres radikal rechts machen – und umgekehrt. Das ist systemisch wie spieltheoretisch sehr, sehr spannend.
Würden Sie argumentieren, dass es tatsächlich ein systemisches Problem ist, öffentlich-rechtlicher Rundfunk übergreifend, oder sind es viele einzelne strukturelle Probleme, die in der Summe eine Unausgewogenheit ergeben?
Beides. Kleine Stürme können sich alle zu einem Orkan zusammenballen. Aber gleichzeitig ist der Gesamtorkan erforderlich, um das Gesamtkonstrukt zu zerstören. Und jeder einzelne Beteiligte hat ein Interesse daran, dass das Gesamtsystem nicht zusammenbricht. Ich habe bei Twitter das Bild vom Puppenfilm „Balance“ bemüht, der 1989 den Oscar gewonnen hat. Da schwebt in einem virtuellen Weltraum eine Platte, und auf dieser Platte stehen fünf Männer, die sich eine Schatzkiste auf diese Platte ziehen. Jeder versucht in den Besitz dieser Kiste zu kommen, aber immer wenn sie das versuchen, wird es an einer Stelle zu schwer und alle drohen von der Platte zu fallen. Das ist ein schönes Bild für die Situation, in die das Bundesverwaltungsgericht jetzt alle Sender gebracht hat: Sie müssen sich untereinander sehr, sehr genau austarieren, um in der Balance des Paragraf 26 Medienstaatsvertrag zu bleiben.
Nehmen wir mal das Best-Case-Szenario aus Ihrer Sicht: Das Gericht sieht genug Anzeichen dafür, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk einseitig ist, die Beweislast wird umgekehrt, der Rundfunk kann nicht nachweisen, dass er ausgewogen ist. Was würde dann passieren?
Nach der Konzeption des Bundesverwaltungsgerichts würde dann der Bayerische Verwaltungsgerichtshof als Ergebnis der Beweisaufnahme feststellen: „Hier ist was schiefgelaufen, die Sender haben dauerhaft gröblich auf voller Breite versagt.“ Dann müsste der Bayerische Verwaltungsgerichtshof einen Normenkontrollantrag in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht einreichen und sagen: „Wir haben jetzt das Tatsachenmaterial dafür, dass die Karlsruher Vorgaben für einen ordnungsgemäßen öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr zu halten sind, und dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk möge für verfassungswidrig erklärt werden.“
Das juristisch zu erreichen ist ein sehr kleines Zielgebiet mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, es nicht zu erreichen. Aber selbst wenn man dieses Ziel nicht erreicht, erreicht man beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wohl etwas völlig anderes: eine Einigung auf Kriterien, anhand derer überprüft werden muss und kann, ob der Rundfunk seinem Auftrag entspricht. Es ist im Moment also erst einmal weniger die Antwort spannend, sondern die Formulierung der Fragen. Das ist für den Augenblick der eigentliche juristische Reiz.
Für mich klingt es so, als könnte das Ganze noch zehn Jahre dauern.
Juristisch kann das ohne weiteres noch ein paar Jahre dauern. Nur meine Prognose ist, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner Gestalt bis zum 15. Oktober 2025 dieser Diskussion politisch nicht wird standhalten können. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist jetzt zur herrschaftsfreien, offenen Diskussion über die Ordnungsmäßigkeit seiner Arbeit freigegeben.
Warum?
Er hat das Privileg der solitären Eigenkontrolle verloren. Er ist kein autopoetisches System mehr, sondern er ist jetzt unter gerichtliche Kontrolle gestellt. Die alten Römer haben gesagt: Niemand kann Richter in eigener Sache sein. Die Sender waren bis zum 15. Oktober 2025 aber faktisch Richter in eigener Sache, weil sie abschließend über Programmbeschwerden befunden haben. In bis zu 99 Prozent der Fälle sind die Beschwerdeführer unterlegen, außer bei ganz krassen Fällen, etwa rund um Jan Böhmermann. Das alte Kontrollsystem ist aber vorbei, weil jetzt die Gerichte die Lizenz haben, genau hinzuschauen.
Das heißt, unterm Strich liegt das Revolutionäre jetzt schon darin, dass das Gericht die Türen aufgemacht hat und jetzt das erste Mal Menschen von außen reingucken können und sagen können: Was treibt ihr da drin eigentlich?
Exakt so. Der Philosoph Gottfried Leibniz hat bekanntlich gesagt: Die Monaden haben keine Fenster. Ich denke: Das Bundesverwaltungsgericht hat jetzt bei der öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Monade ein Fenster geöffnet. Durch das kann jetzt von außen reingeschaut werden. Und die Justiz guckt, ob es da drinnen mit rechten Dingen zugeht.
Wie geht es jetzt weiter mit dem Gericht?
Ich glaube nicht, dass sich in diesem Jahr noch ernsthaft etwas bewegt. Erstmal muss das Urteil geschrieben werden in Leipzig, die Richter müssen es den Parteien zustellen. Vor Weihnachten passiert da gar nichts. Und ich vermute, im nächsten Frühjahr wird der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dann den Parteien Fristen setzen, um vorzutragen, was das Bundesverwaltungsgericht verlangt hat. Dann wird er sich mit der Frage auseinandersetzen, wie der Beweisbeschluss abzufassen ist.
Ich nehme an, Sie sind optimistisch, dass Sie genug Indizien sammeln können, um nahezulegen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine gewisse Einseitigkeit demonstriert?
Ich kann jetzt insoweit für niemanden reden, insbesondere nicht für die Klägerin. Wenn ich meine eigene persönliche Perspektive formulieren soll, dann lautet die wie folgt: Ich freue mich jetzt darauf, dass wir mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof die Frage stellen können: Was ist überhaupt zu prüfen, und mit welchen Maßstäben muss das geprüft werden? Das gibt allen Beteiligten – auch den Sendern – die Sicherheit, sich ab sofort so aufzustellen, dass sie ihre Arbeit in verlässlichem Rahmen künftig richtig machen können – und sich insbesondere innerhalb des verfassungsgemäßen Korsetts von Paragraf 26 des Medienstaatsvertrages bewegen.
Wollen Sie den ÖRR eigentlich zerschlagen?
Mein persönliches Interesse ist überhaupt nicht, diesen Laden zu zerschlagen, sondern ihn zu gesunden. Mit schwebt vor, ihn aus seinem Wolkenkuckucksheim wieder herauszuholen und ihm Bodenkontakt zu geben, damit er als öffentlich-rechtlicher Rundfunk so funktioniert, wie sich seine Gründerväter das mal vorgestellt haben. Das wäre ja schon der größte prozessuale Sieg. Ergänzt um die Krönung eines demokratisch unmittelbar von seinen Beitragszahlern durch Wahlen legitimierten Rundfunkrat täten sich bald völlig neue Welten auf: Ein sachlicher Diskurs in neutralen Medien ohne Wut und ohne Häme.
Das Gespräch führte Ben Krischke
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Und manchmal geschieht es eben doch. 😊 Bleiben wir dran, denn unser Job ist es jetzt, sehr kritisch zu sein und zu bleiben mit weiteren eindeutigen Rückmeldungen an die sich bislang so arrogant verweigernden Intendanten und die Journaille des ÖRR. Danke an die Klägerin, an Carlos Gebauer und nicht zuletzt an einen mutigen Richter. Das lässt hoffen.
Wie kommt das Bundesverwaltungsgericht auf den Zeitraum zwei Jahre? Weil Kläger eine Einzelperson ist und so die Nachweise nicht erbringen kann? Es geht ja nicht nur wegen einem Radio- oder Fernsehsender, sondern um alle Radio- und Fernsehsender. Theoretisch ist das Urteil des Bundesverwaltungsgericht salomonisch, um sich nicht die Hände oder den Mund zu verbrennen. Praktisch kann man das Urteil in den Sack hauen.
Und wir sollten nicht vergessen, was wird das die Klägerin - die unbekannt bleiben will -kosten? Wird der bayr. VGH ein Gutachten in Auftrag geben und wer kann so etwas neutral machen? Und wer kann als Kläger eigene Gutachter beauftragen und hat das Geld dafür? Und im Fall des Klageunterliegens, wer zahlt die Anwaltskosten für Herr Gebauer? Verwaltungsstreitigkeiten dürfen kein Geld kosten, aber die Anwaltskosten werden nur in Höhe des gesetzlichen Gebührensatzes erstattet und auch nur wenn man gewinnt. Anwälte machen inzwischen alle Honorarvereinbarungen mit Stundensätzen zwischen 250-500 €. Wer kann das bezahlen? Dem ÖRR kann es egal sein, die haben ihre Zwangsgebühren und zahlen so etwas aus der Portokasse. Aber die unbekannte Klägerin? Und ja, Herr Krischke fragt zu Recht, wenn er nach der Prozess- und Entscheidungsdauer fragt. Ich hoffe die Klägerin ist bei guter Gesundheit und noch jung. Denn ich fürchte das wird fünf bis sechs Jahre dauern, bei 2 Jahren Überprüfungszeit.
Vertagt bis zum Sankt Nimmerleinstag ……wie alle Probleme dieses Landes, die Lösungen bräuchten.
Der ÖRR, ein kleiner Mosaikstein vom gesamten Mosaik, welches eine Grundsanierung bräuchte.
Mit besten Grüßen aus der Erfurter Republik
1. Mögliche Kläger müssen dem Gericht zunächst selbst hinreichende Anhaltspunkte für ein eklatantes Versagen sämtlicher Sender über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren vorlegen; in der Regel untermauert durch wissenschaftliche Gutachten.
2. Wenn das Gericht vor Ort auf dieser Basis hinreichende Anhaltspunkte für regelmäßige und evidente Missstände im Gesamtsystem sehen würde, müsste es diesen selbst nachgehen und von sich aus die Beweislage prüfen.
3. Wäre das Verwaltungsgericht am Ende von diesen Missständen überzeugt, dürfte es nicht selbst über den Rundfunkbeitrag entscheiden, sondern müsste den Fall dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorlegen. Das hat allein das letzte Wort.
Die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zum ÖR kennen wir.
und es macht Spaß den Fragestellungen z.B. an Herrn Gebauer zu folgen. Ja, es wird spannend, ich finde in dieser Zeit gut, dass es auch mal Menschen gibt, die hinterfragen und mal anfangen, das System durcheinander zu wirbeln.
Seit vielen Jahren beschäftigen wir uns mit Politik (mein Mann und ich) und freuen uns, wenn Menschen den Mut aufbringen die momentanen Absurditäten aufzudecken und sich nicht den Mund verbieten lassen.
Das ist es, was mir u.a. an Cicero gefällt. Mehrere Seiten, auch wenn man nicht immer mit allem konform geht (was für mich kein Problem darstellt), i.m.A. recht ausgewogene Berichterstattung, man kann auch mal Kritik einstecken und Kommentare, die man noch lesen kann, ohne Paulerei. Ich lese u.a. schon sehr lange dieses Medium. Großes Lob für alle Autoren hier bei Cicero.
Das Magazin CICERO gehört zu den wenigen Presse-Organen, welche Politik, Gesellschaft und Wissenschaft objektiv und daher automatisch
kritisch betrachten. Was würden wir nur anfangen, wenn es in dieser Zeit mit all ihren Absurditäten und Gefahren für die Demokratie sowie unsere Bürgerrechte nicht noch einige mutige Menschen gäbe, die dem Mainstream (eingenistet im ö. r. TV /Rundfunk u. den meisten Presse-Organen) beharrlich o f f e n widersprechen?
Gott-sei-Dank gibt e s auch das Internet, so daß sich auch da viele Formate gebildet haben, die dem "offiziellen" Gerede (= das, was wir alle glauben sollen!) furchtlos in die Parade fahren.
Früher gab es auch beim CICERO ganz linke Journalisten. Im Laufe der Jahre wurden sie alle durch exzellente kritische Redakteure ersetzt - der beste davon war m. E. Alexander Kissler, der jetzt bei NIUS arbeitet. In Herrn Krischke u. anderen, z. B. Herrn Brotkorb, hat er allerdings ebenbürtige Nachfolger gefunden.
Ja, großes Lob für den CICERO!
Ich schließe mich den Worten der beiden Damen an. Auch ich lese die meisten Cicero Artikel sehr gerne und mit Interesse. Texte von einigen der (nicht festen) Redakteure lese ich nicht, da ich weiß, „was kommt…“ Aber das ist kein Problem. Es gibt ja die Herren Krischke, Knauß, Brodkorb, Way u.a., die gute Texte schreiben. Mit
„ganz linken“ meinen Sie sicher A. Hildebrand, liebe Frau Wallau. Sie schreibt inzwischen für den Focus, und immer noch sehr, sehr links….
Dieses Interview mit den tollen Fragen von Herrn Krischke ist wieder sehr lesenswert. Danke!
Die Entscheidung ist in Wirklichkeit ein „Geschenk“ an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Anders als jetzt, steht formal ein Rechtsweg offen, den zwar niemand gehen kann aber der Schein wird gewahrt. Selbst wenn das Kunststück gelänge das Bundesverwaltungsgericht zu überzeugen (Wer hat die Zeit und die Ressourcen?) entschieden wird vom Bundesverfassungsgericht. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zum ÖR dürften bekannt sein.
entfalten kann bleibt sicher abzuwarten, da haben Sie vollkommen Recht.
Allerdings geht von ihr auch ein indirektes Signal an die Sendeanstalten und die dortigen Redaktionen aus, nämlich dass sie nicht wie sie bisher selbstsicher dachten unbeschränkt alles so machen können wie sich ihre (linksgrünwoken) Redakteur*innen das so bisher offensichtlich immer gedacht haben... >> die öffentliche richterliche Überprüfung ihres (einseitigen) Tuns lauert jetzt hinter der Ecke'... - und 'staatlich Angestellte' sind bekanntermaßen konfliktscheu... ...😉
Und was die Frage WER? solch eine Überprüfung praktisch veranlassen könnte, auch finanziell, angeht: benachteiligte Parteien z.B. ... - oder? 🤔
das Sie , Herr Gebauer, dort führen dürfen. Die unausgewogene Berichterstattung der ÖRR liegt aus meiner Sicht, schon in einer ideologischen Führung durch gesendete Parteisoldaten. Die Journalisten die im ÖRR arbeiten wollen werden das schreiben was Ihre Chefs gerne lesen. Des weitern verwundert es mich täglich auf neue dass jeder 'TV Sender die gleichen News bringt. Wie geht das bei einer Pressefreiheit ? Ich fühle mich hier immer an DDR 1 und 2 erinnert. Zur Ausgewogenheit kann ich mich an eine Veranstaltung einer Bürgerbewegung mit dem ÖRR in Dresden erinnern. Darin hatte der ÖRR öffentlich versprochen "ausgewogener" zu berichten. Ist aber auch schon mehr als 20 Jahre her. Aber soweit muss man gar nicht in die Vergangenheit schauen um Einseitigkeit durch weglassen zu erkennen. Das passiert täglich. Ich wünsche Ihnen Herr Gebauer Ausdauer und ganz viel Erfolg alte Strukturen zu durchbrechen.
wird’s ein Kampf gegen Windmühlenflügel ……..
Der „Erkenntnisgewinn “ im Volke diese Landes ist n o c h nicht so weit fortgeschritten, der „Parteilichkeit“ des ÖRR Einhalt zu gebieten.
Der Michel ist ehr auf Malle- Urlaub und Feierabendbier fixiert und sieht zum einschlafen die X-te Wiederholung von Rosamunde Pilcher im ZDF ….. oder als Alternative zur Dauersportausstrahlung fast jedem 2. Sontag in der ArD .
Mit freundlichen Gruß a d Erfurter Republik
das ist dann aber 'Glücksache'...
Der Spruch lautet: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“ 😉
"Um eine rechtlich relevante Kritik einzubringen, ist es erforderlich, dass das Gesamtsystem aller Leistungen aller Sender über einen nicht unerheblichen Zeitraum gröblich versagt."
...in 'meinungsbildenden politischen Gesprächsrunden' im Vergleich zu den anderen Parteien gemessen am Prozentsatz der die jeweilige Partei Wählenden der vergangenen Jahre misst (in für jeden verständlichen Minuten Gesprächszeit...) wird hier ein eklatanten Mißverhältnis sichtbar und damit der Beweis einer Einseitigkeit bzw. deutlichen Unausgewogeheit zugunsten der sog. etablierten Parteien erbracht - mMn.
Das lässt sich relativ einfach rückwirkend über einen längeren Zeitraum exakt berechnen und nachprüfen... ☝
[...man/Frau soll die Hoffnung hslt nie aufgeben... >> "Tschüß Böhmi! - Der Ausgeglichenheit wegen geht's halt nicht anders... ..." 👍🤣 (konnte ich mir nicht verkneifen...)]
Das Gericht gibt zwar der Klägerin im Prinzip recht (Radio Eriwan), setzt aber für eine erfolgreiche Klage Voraussetzungen, die unerfüllbar sind. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
Die GRÖßTE DEMOKRATISCH GEWÄHLTE OPPOSITIONSPARTEI über einen längeren (min 2 Jahre wohl?) Zeitraum in politischen und gesellschaftlichen Gesprächsrunden und auch der Wahlkampfberichterstattung unterzurepräsentieren IST PRAKTIZIERTE UNAUSGEWOGENHEIT in einem gesellschaftlich wichtigen Bereich und mMn problemlos rückwirkend nachweisbar!!!
Gleiches gilt vermutlich auch für das BSW, wobei die Zeiträume da eher knapp sind.
Staatstragende Parteien werden regelmäßig bevorzugt, kritische Opposition wird aus der Berichterstattung weitestgend verdrängt.
Im Falle der AfD wurde ja sogar ÖFFENTLICH DISKUTIERT ihr möglichst 'KEINE BÜHNE im ÖRR ZU BIETEN'... >> da müsste sich doch auch noch was finden lassen an Äußerungen der Verantwortlichen in den Archiven...!? ☝🤔
Was Herr Gebauer und sein Kollege hier erreicht haben, ist sehr wichtig. Es wurde eine Bresche in die Festungsmauer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geschlagen. Aber er hat nicht einmal gewankt. Denn hinter der Mauer ist eine zweite, doppelt so dick wie die Außenmauer. Ich teile die Skepsis, die sich hinter Herrn Krischkes Worten verbirgt: „Für mich klingt es so, als könnte das Ganze noch zehn Jahre dauern.“ Juristisch wird man dem System nicht beikommen. Es ist politisch zu bekämpfen. Im Unterschied zu Herrn Gebauer sehe ich keine Notwendigkeit, das System zu erhalten. Ich zahle hier für ein Abonnement des „Cicero“. Ich kann dafür hinter die Bezahlschranke schauen, ich darf kommentieren. Mir käme niemals in den Sinn, von einem „taz“-Leser zu verlangen, dafür zu zahlen, daß ich das alles kann. Und so bin ich dafür, daß alle, die Dunja Hayali und Elmar Theveßen sehen wollen, dafür auch bezahlen. Und alle andern nicht. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist aus der Zeit gefallen.
