Kurz und Bündig - Alex Capus: Eine Frage der Zeit

Es war ein Wahnsinnsprojekt, doch es funktionierte hervorragend. Allerdings nicht sehr lange. Anfang 1913 wurde auf der Papenburger Meyer-Werft der größte und seltsamste Bausatz der deutschen Kolonialgeschichte getauft, dann wieder demontiert und in rund 5000 Kisten nach Ostafrika verschifft. Dort sollte der 67 Meter lange Doppelschraubendampfer «Graf Goetzen» von drei Emsländer Schiffbauern zusammengenietet werden, um dem Kaiserreich die Seeherrschaft auf dem Tanganjikasee zu sichern. Und so geschah es.

Es war ein Wahnsinnsprojekt, doch es funktionierte hervorragend. Allerdings nicht sehr lange. Anfang 1913 wurde auf der Papenburger Meyer-Werft der größte und seltsamste Bausatz der deutschen Kolonialgeschichte getauft, dann wieder demontiert und in rund 5000 Kisten nach Ostafrika verschifft. Dort sollte der 67 Meter lange Doppelschraubendampfer «Graf Goetzen» von drei Emsländer Schiffbauern zusammengenietet werden, um dem Kaiserreich die Seeherrschaft auf dem Tanganjikasee zu sichern. Und so geschah es. Doch während die Deutschen mit einheimischen Hilfskräften unter der Sonne Afrikas schraubten und nieteten und in Europa der Erste Weltkrieg zu wüten begann, schleppten die Briten via Kapstadt zwei Schnellboote auf dem tausende Meilen langen Landweg heran. Weder auf dem Meer noch auf irgendeinem See wollte Britannien seine Vorherrschaft antasten lassen. Was dann in historisch sehr freier Bearbeitung dank Katherine Hepburn und Humphrey Bogart als «African Queen» zum Kinoklassiker wurde, hat Alex Capus jetzt zu einem Roman inspiriert. Der 1961 in Frankreich geborene Schriftsteller hat einen Sinn für historisch-exotische Vorlagen, und die Geschichte der «Graf Goetzen» hat alles, um selbst lesefaule Modellbauer in eine Buchhandlung zu locken. Beim Lesen der sehr plastisch und mit Humor erzählten Story des im Buch gutbürgerlich «Götzen» genannten Schiffs und seiner Wiedererbauer kommt freilich ein gewisses Unbehagen auf. Man sieht nämlich nicht, wo die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit liegen: Haben sich die drei Papenburger, die ja nicht als ambitionierte Kolonialherren, sondern als Zeitarbeiter nach Afrika kamen, wirklich so unbefangen gegenüber den Einheimischen gegeben, wie Capus sie darstellt? Oder liefern sie ihm nur die positiven Gegenbilder zum drakonischen deutschen Militärregiment? Gab es zwischen dieser Meisterleistung deutscher Logistik und Ingenieurskunst und der deutschen Autoritätsbedürftigkeit möglicherweise einen Zusammenhang? Gerade die Innenwelt seiner Helden ist die eigentliche Spielwiese eines Autors, der nach historischer Vorlage schreibt, doch wenn es sich bei den Protagonisten um die Hauptfiguren einer wahren Geschichte handelt, droht die Gefahr, dass die Wirklichkeit zu stark in den Roman hineinregiert. Der Gegenspieler der Deutschen, Navy Commander Spicer Simson, war tatsächlich ein skurriler Brite, der seine Schnellboote  «Mimi» und «Toutou» genannt hatte. Dass er ein gekapertes Boot später als «Her Majesty’s Ship Fifi» in britische Dienste genommen haben soll, verschweigt der Roman aber ebenso wie das weitere Schicksal der am Roman-Ende versenkten «Graf Goetzen», die als «Liemba» später wackere Zivildienste leisten sollte. Als Roman entfaltet die Geschichte kein literarisches Eigenleben, sondern bewegt sich, durchaus munter, im Schlepptau ihrer realen Vorlage. Hätte Capus auf die Form des guten alten Dokumentarromans zurückgegriffen, dann hätte sein Buch von der Reibung zwischen Fakten und Fiktionen profitieren können, ohne dabei an Spannung einzubüßen. Und hätte er die Geschichte in einem Sachbuch erzählt, dann hätte er auch berichten können, wie sie weiterging und was mit ihren Protagonisten geschah. So aber stellt man nach unterhaltsamer Lektüre fest, dass das Buch die Neugier und das Interesse, die es weckt, nicht zu befriedigen vermag.  

 

Alex Capus
Eine Frage der Zeit
Knaus, München 2007. 304 S., 19,95 €

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