
- Wirtschafts- oder Bürgerrechtsliberal? Die falsche Flügeldebatte der FDP
Die FDP ringt um ihren zukünftigen Kurs. Dabei geht die Einteilung in rechte Wirtschafts- und linke Bürgerrechtsliberale am Kern der Sache vorbei. Eine ganzheitlich liberale Partei sollte ihr Misstrauen gegen staatliche Eingriffe sowohl in der Wirtschafts- als auch in der Innen- und Rechtspolitik bewahren.
Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag ringt die FDP um ihren künftigen Kurs. In vielen Zeitungsartikeln ist dieser Tage von zwei Parteiflügeln die Rede, die um Einfluss und Deutungshoheit konkurrieren: Ein rechter, der als wirtschaftsliberal betitelt wird, und ein linker, bürgerrechtsliberaler.
Diese Kategorisierung ist Unfug. Das zeigt schon das Beispiel von Wolfgang Kubicki, der als Galionsfigur des Wirtschaftsflügels dargestellt wird. Dabei hat er sich auf diesem Politikgebiet gar nicht besonders hervorgetan – im Bundestag gehörte er weder dem Wirtschafts- noch dem Finanzausschuss an. Profiliert hat sich der kantige Haudegen aus Schleswig-Holstein vielmehr mit innen- und rechtspolitischen Themen – beispielsweise im Einsatz gegen überzogene Maßnahmen während der Corona-Pandemie.
Ein klassisch bürgerrechtsliberales Anliegen, denn nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik wurden Grundrechte massiver eingeschränkt als zwischen 2020 und 2022. Obrigkeitsdenken und Untertanengeist feierten fröhliche Urständ. Während der jüngst verstorbene Gerhart Baum, ein verdienstvoller Vertreter des linksliberalen Flügels, damals forderte, die FDP müsse ihr „Misstrauen gegenüber staatlichen Eingriffen überwinden“, blieb Kubickis Kompass klar. Es kämpfte gegen anhaltende Lockdowns und verhinderte die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht.
Meinungsfreiheit ist die Grundlage jeder Freiheit überhaupt
Ähnlich engagiert zeigt sich Kubicki im Kampf für die Meinungsfreiheit – ein Thema, dem er 2020 ein eigenes Buch widmete. Dieses Grundrecht steht aktuell massiv unter Druck. Umfragen zeigen: Die Hälfte der Menschen im Land hat das Gefühl, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können. Von den Grünen bis hin zur CDU erklingt der Ruf nach einer immer schärferen Regulierung des öffentlichen Diskurses, speziell in den Sozialen Netzwerken. Wahrheitswächter und Trusted Flagger nehmen auf Geheiß des Gesetzgebers Meinungsäußerungen ins Visier – auch diesseits der Strafbarkeitsgrenze. Politiker und Gerichte rücken Bürgern auf Grundlage des 2021 verschärften Strafrechtsparagrafen 188 zu Leibe, welcher Personen des politischen Lebens in besonderer Weise vor Ehrdelikten schützt: So musste ein Bauingenieur letztes Jahr eine 30-tägige Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, weil er Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig als „Märchenerzählerin“ bezeichnet hatte. Vor wenigen Tagen verurteilte das Amtsgericht Bamberg einen Journalisten zu sieben Monaten auf Bewährung. Das Vergehen: ein polemisches Meme über Innenministerin Nancy Faeser.
Das Bundesverfassungsgericht hat 1959 im sogenannten Lüth-Urteil die Bedeutung der Meinungsfreiheit unterstrichen: Sie sei die „Grundlage jeder Freiheit überhaupt“. Die Leidenschaft, die ein Wolfgang Kubicki bei der Verteidigung dieses Grundrechtes an den Tag legt, stünde der Partei insgesamt gut zu Gesicht.
Liberale Gesellschaftspolitik ist weder rückwärtsgewandt noch woke
Diese Beispiele zeigen: Die Einteilung in rechte Wirtschafts- und linke Bürgerrechtsliberale geht am Kern der Sache vorbei, sie wird der Meinungs- und Lagerbildung innerhalb der FDP nicht gerecht. Der Einsatz für bürgerliche Freiheitsrechte ist so wenig links, wie der Einsatz für Freihandel oder Bürokratieabbau rechts ist. Eine ganzheitlich liberale Partei sollte ihr Misstrauen gegen staatliche Eingriffe sowohl in der Wirtschafts- wie auch in der Innen- und Rechtspolitik bewahren. Sie muss sich gewahr sein, dass sie dabei keine natürlichen Verbündeten hat: Die Union tönt zwar in der Opposition wie Ludwig Erhard, macht in der Regierung aber doch wieder Merkel-Politik. Und die Grünen, einst als antiautoritäre Freigeister gestartet, stehen nach ihrem erfolgreichen Marsch durch die Institutionen zuverlässig an der Seite einer strengen Obrigkeit, die die Bürger in ihre Schranken weist.
Auch in gesellschaftspolitischen Fragen muss die FDP eigenständige Positionen vertreten, die sie von Linken genauso abgrenzen wie von Rechten. Der von beiden Rändern befeuerte Kulturkampf droht die Mitte zu zerreiben. Ihn zu ignorieren, ist keine Lösung. Liberale Gesellschaftspolitik ist weder rückwärtsgewandt noch woke. Sie folgt dem alten Grundsatz von Friedrich II.: Jeder soll nach seiner Façon selig werden. In ihrem Mittelpunkt steht die freie Entfaltung des Einzelnen und das gleichberechtigte Miteinander mündiger Bürger.
Woke hingegen sortieren Menschen anhand von Merkmalen wie Hautfarbe oder Geschlecht in Schubladen ein und hierarchisieren diese nach dem vermeintlichen Marginalisierungsgrad: Je männlicher, desto Täter – je dunkler, desto Opfer. Anstatt real existierende Ungerechtigkeiten zu beseitigen, wird die westliche, bürgerliche Gesellschaft per se als strukturell diskriminierend diffamiert. Die identitätspolitische Ideologie dieser Bewegung steht im krassen Widerspruch zum Universalismus der Aufklärung, ihr jakobinischer Eifer ist ebenso illiberal wie ihre Intoleranz gegenüber Andersdenkenden.
Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ist ein Kernelement freiheitlicher Demokratien
War linke Gesellschaftspolitik früher von einer permissiven Haltung geprägt, zielt sie heute eher auf die Einschränkung von Freiheitsräumen ab. Statt Sex, Drugs und Rock’n’Roll gibt es jetzt Werbeverbote für Süßigkeiten und eine politisch korrekte Sprachpolizei. Bezeichnenderweise sind es nicht mehr konservative Kräfte, die heutzutage gegen die freizügige Darstellung weiblicher Körper zu Felde ziehen, sondern selbsternannte Progressive: Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg werden Werbeplakate wegen angeblichem Sexismus verboten – als Indiz dafür gilt unter anderem, wenn abgebildete Frauen „körperbetont bekleidet sind und ohne Anlass lächeln“.
Wie der Markt, so entwickelt sich auch die Gesellschaft am besten in spontaner Ordnung, nicht durch staatliche Lenkung. Der große liberale Philosoph Karl Popper warnte vor dem Versuch, eine „ideale Gesellschaft“ am Reißbrett zu planen und politisch zu verwirklichen. Während Konservative den gesellschaftlichen Wandel fürchten und Linke versuchen, ihn von oben herab zu erzwingen, plädierte Popper für eine offene Gesellschaft, die sich pluralistisch und evolutionär entwickelt. Ohnehin ist die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ein Kernelement freiheitlicher Demokratien, auf das Liberale bestehen sollten. „Das Private ist politisch“, lautet ein linkes Credo. Guido Westerwelle pflegte dem zu entgegnen: „Das Private ist privat.“
Die FDP muss die Partei des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Liberalismus sein. Sie darf sich nicht scheuen, streitbare Positionen zu vertreten und quer zum Zeitgeist zu stehen. Sie muss nicht linker oder rechter werden, sondern konsequent für die Freiheit eintreten – in allen Bereichen. Eine solche FDP wird auch in Zukunft dringend gebraucht.
Martin Hagen ist Geschäftsführer der Denkfabrik R21.
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Ich gebe Ihnen fast vollständig recht in Ihren Ausführungen. Allerdings hat der bürgerrechtsliberale Flügel der FDP gerade die woke und illiberale Ampelpolitik mitgetragen.
Der wirtschaftsliberale Flüger dürfte kein Problem mit einer freiheitlichen Gesellschaftspolitik haben. Dies dürften eher die Julis in Niedersachsen haben.
Einteilung. Meinte die FDP bislang vor allem die Freiheit des Geldes, hat vielen die Freiheit des Geistes gefehlt. Dass deren selbstverständliche Unteilbarkeit zum Problem wird, ist deutsch typisch. Immer von einem Extrem ins andere, immer das "Kind mit dem Bade ausschütten". So wird das nichts. Personal, das die Flügel Vereinen könnte, scheint auch nicht vorhanden.
aber jeder Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten zustimmt bzw. sich nicht entschieden dagegen stellt, braucht k e i n einziger Wähler in Deutschland.
Für jeden aufmerksamen Wähler deutlich erkennbar kämpft seit über 10 Jahren bereits die AfD für den wirtschaftlichen und politischen Liberalismus, so daß für die FDP nur der gesellschaftliche Liberalismus übrigbliebe. Dieser ist aber schon durch die Grünen, Linken und die SPD im Parlament bestens vertreten.
Kurz:
Die FDP hat sich durch ihre Politik in den vergangenen 20 Jahren selbst überflüssig gemacht.
Entscheidend wird nicht sein, ob die FDP
gebraucht wird, sondern, ob sie gewählt wird.
Umfaller und Wackelpudding haben wir doch
schon von fast allen Färbungen.
Wer fest steht, der wird obsiegen?
MfG
Stimmt, ohne wenn und aber !
Und deswegen muß ich sagen, Respekt Herr Linnemann.
Anders als die Boy Grup der FDP, die den ganzen woken links grünen Mist der in der Fortschrittskoalition verzapft wurde, mitgetragen hat, lehnt Linnemann als einziger der sich der sozialer Marktwirtschaft und dem Konservartiven verpflichtet fühlt, einen Ministerposten in der rot (grün) dominierten SchuldenGroko ab.
Tja, und nun ? Hat Linnemann vielleicht die Zeichen der Zeit verstanden und entwickelt die Union zur Bündnisspartnerschaft mit der AfD ? bei der nächsten anstehenden BT Wahl ? Er hat das Zeug dazu und als General die Möglichkeiten. Bezeichnend ist das schon, wenn er Merz einen Korb gibt.
Er stärkt damit noch mehr die Position der SPD und der Grünen die nicht am aber mit Sicherheit unterm Kabinettstisch sitzen.. Kalkül seiner Strategie ?
Abwarten. Unklug ist seine Entscheidung nicht, wenn er dem Neuanfang misstraut und dadurch nicht verschlissen wird. Er ist jung & klug !
MfG a d Erfurter Rep.
Das sehe ich genau so wie Sie, Herr Frank.
MfG
Alles richtig, und den Kern, den eine liberale, freiheitliche Partei ausmachen sollte, auch gut zusammengefasst, nur wer in der FDP, der Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit hat, repräsentiert – außer Haudegen Kubicki – solche Positionen heutzutage denn noch? Und Kubicki wird wohl auch nur deshalb vom MSM/ÖRR noch angeheuert, weil man mit ihm entsprechend polarisieren und Quote machen kann. „Gemäßigte“ liberale Charaktere wie eine Linda Teuteberg oder ein Gerhard Papke kommen im öffentlichen Diskurs kaum vor. Dafür aber dann eine MASZ ….
Und wenn man sich dazu noch den Nachwuchs, sprich die JuLis anschaut, dann lässt man alle Hoffnung fahren.
Die FDP ist raus. Sie hat sich sehenden Auges selbst abgeschossen und ist immer noch uneinsichtig, auch wenn jetzt lauthals Wunden geleckt werden. Deshalb nehme ich solche Artikel noch zur Kenntnis, aber über die FDP noch weitergehende Gedanken mache ich mir nicht mehr. Nach meiner Überzeugung kommen die nicht mehr zurück. Und sollte ich mich irren, dann kann man auch wieder über diese Partei reden. Und nein, die FDP noch liberal zu nennen ist nostalgisch. Die sind genauso wie die UNION links-grün verstrahlt und entkernt worden.
Es war im Jahr 2009, als viele CDU-Wähler von der Merkel-CDU zur FDP flohen, in der Hoffnung, dass dort wenigstens noch liberale Vernunft herrscht. Die FDP bekam 14,6 Prozent. Doch die FDP enttäuschte in der Regierung nur. Die FDP enttäuschte auch in der Ampel in radikaler Weise.
Jetzt will Martin Hagen die FDP nach dem Hoffnungsbild der Wähler von 2009 aufmöbeln. Doch das ging schon 2009 schief. Wie soll denn eine Partei, die so konsequent versagt hat, noch Erneuerungskräfte in sich haben? Diese FDP ist verdient aus dem Bundestag geflogen.
Die FDP muss sterben, damit in einer neuen liberalen Partei ein neuer liberaler Geist wehen kann.