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Homo-Ehe - Frankreichs Protestler schützen die Demokratie

Kisslers Konter: Die französischen Demonstranten gegen die „Homo-Ehe“ werden in Deutschland oft verunglimpft. Dabei leisten sie der Demokratie einen großen Dienst.

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Mit der Demokratie verhält es sich – frei nach Karl Valentin – wie mit der Kunst: Sie ist schön, macht aber viel Arbeit. Und weil der Mensch es gerne bequem hat, schätzt er die Meinungsfreiheit besonders dann, wenn es sich um seine eigene Meinung handelt. Er lobt die Zivilcourage derer, die für seine Interessen eintreten. Er hebt die Hand zum Applaus, wenn andere seine Ansprüche durchsetzen.

Das alles hat mit Demokratie nur am Rande zu tun. Demokratie ist keine Werkstatt zur Optimierung des eigenen Lebensstils oder zur Gratifikation des eigenen Rechtfertigungsverlangens. Demokratie macht Arbeit, sie kann schmerzen und sie verlangt Toleranz – die praktizierte Bereitschaft, auch das zu ertragen, was dem eigenen Weltbild widerspricht. Um die Demokratie macht sich nicht der verdient, der am lautesten krakeelt, sondern der, der das Krakeelen der anderen erduldet. Demokratie ist angewandte Duldungsbereitschaft. [[nid:54634]]

Insofern ist es ein ermutigendes Zeichen einer vitalen Demokratie, wenn in diesen Tagen Hunderttausende in Frankreich ihr zivilbürgerliches Urrecht wahrnehmen und auf der Straße gegen die völlige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe demonstrieren. Der typisch deutsche Reflex, darin einen schlimmen Aufmarsch Ewiggestriger zu erblicken, zeugt vom ebenso typisch deutschen Unbehagen an der Demokratie. Auf dem Boden von Gesetz und Verfassung hat jede politische Ansicht das absolut gleiche Recht auf öffentliche Präsenz. Latent undemokratisch ist es, wenn legitime öffentliche Meinungsäußerungen diskreditiert und deren Repräsentanten geschmäht  werden, als dürfe es da nur eine Meinung geben, als sei die Republik in genau dieser Hinsicht außer Kraft gesetzt. Dabei müsste es sich von selbst verstehen: Man wird kein besserer oder schlechterer Staatsbürger, ob man sich nun leidenschaftlich für oder gegen die „Ehe für alle“  einsetzt. Wohl aber verabschiedet sich aus der Gesellschaft der Gleichen, wer auf die Durchsetzung einer Einheitsmeinung drängt.

Entgeistert blickt der deutsche Michel auf die Nachfahren eines Revolutionsvolkes, das sein bitter erkauftes Freiheitsrecht sich nicht austreiben lässt. Während hierzulande oft der Grundsatz gilt, Toleranz sei der Kniefall vor dem Pendelschlag der je gegenwärtigen Stimmung, bleiben die Franzosen störrisch. Kommunisten, Chauvinisten, Traditionalisten und Progressisten drängen gleichermaßen auf das Forum, das Frankreich heißt. Der Widerspruch findet eine Gestalt – und bei Lichte betrachtet, ist Demokratie immer die Form, die Widersprüche sagbar macht.

Der öffentliche Streit wider die „Ehe für alle“ hat – auch darüber mag der deutsche Michel nicht hinwegkommen – intellektuell scharfe Debattenbeiträge hervorgebracht.  Eine bunte Koalition stellt die legitime anthropologische Frage, ob es einer Gesellschaft bekomme, wenn sie ihren zentralen natürlichen Baustein, die Familie, frei zur Disposition stellt. Die Philosophin und Feministin Sylviane Agacinski etwa, Gattin des ehemaligen sozialistischen Premiers Lionel Jospin, warnte in „Le Monde“ vor dem Konstrukt der „gleichgeschlechtlichen Elternschaft“. Es gebe immer genau einen Vater und genau eine Mutter, selbst wenn ein Part verheimlicht werde, was bei den Kindern oft zu „seelischen Verwüstungen“ führe. Auch Leihmutterschaft sei Mutterschaft, niemand habe „zwei Mütter“ oder „zwei Väter“. Die Psychoanalytiker Monette Vacquin und Jean-Pierre Winter wiederum lehnen die „Neutralisierung der Geschlechtlichkeit und die Aufhebung von Herkunft“ ab,  warnen vor „unabsehbaren psychischen Folgen für alle“ und geben zu bedenken: „ In allen Bereichen fordern Gleichstellungsfanatiker heute die Parität von Männern und Frauen. Der Geschlechtsunterschied wird so massiv politisiert wie nie zuvor in der europäischen Geschichte. Und ausgerechnet bei der Ehe und bei Eltern soll er keine Rolle mehr spielen?“[[nid:54634]]

Es ist unerheblich, ob die Argumente Agacinskis, Vacquins und Winters den gegenteiligen überlegen sind. Es handelt sich um irrtumsanfällige, aber legitime Ansichten. Jeder Gedanke wächst bekanntlich am Widerstand, insofern sollten die Befürworter der „Homo-Ehe“ das allergrößte Interesse haben, dass es eine Debatte gibt wie in Frankreich und nicht eine Angst- und Schweigekultur wie in Deutschland. Hand aufs Herz: Waren es nicht zivilbürgerliche Sternstunden, als Menschen zuhauf für oder gegen die Wiederbewaffnung votierten, sich um die Schöpfung sorgten oder einer widerspenstigen Politik vor Augen führten, dass Deutschland doch ein Einwanderungsland ist?

Demokratie braucht öffentlichen Streit, braucht die Rechten und die Linken, die Bewahrer und die Erneuerer, braucht Leidenschaft und das rückhaltlos offene Wort. Darum ist der französische Zwist über die anthropologische Frage kein Grund zur Sorge, sondern für jeden Demokraten Anlass zur Freude.

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