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(picture alliance) Erbitterte Konkurrenten: Philipp Rösler und Christian Lindner

Philipp Rösler und Christian Lindner - Ziemlich beste Feinde

Das Märchen von zwei Parteifreunden, die einst auszogen, um gemeinsam die FDP zu retten – und die darüber zu erbitterten Konkurrenten wurden

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus der Mai-Ausgabe des Cicero zum Thema "Republik der Rechthaber - Moral-Standort Deutschland".

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Die Auferstehung des gerade erst Zurückgetretenen nimmt ihren Anfang in Overath bei Köln. Es ist ein lauer Märzabend, und Christian Lindner lässt sich von seinem Wahlkreis als Kandidat für die Landtagswahlen aufstellen, als formeller Start seiner Spitzenkandidatur in Nordrhein-Westfalen. Er sitzt breitbeinig und zufrieden auf dem Podium, unter ihm werfen 40 Kreisvertreter 40 Stimmzettel in eine Dose, auf allen 40 wird sein Name stehen, natürlich, und die aufgeregte Dame mit dem Blumenstrauß tippelt schon auf ihn zu, bevor die Stimmen gezählt sind. „Alles neu macht der Mai“, verspricht das Poster am Bühnenrand. So beginnt das liberale Ostermärchen von Lindner, dem auserkorenen Erlöser der FDP. Und wie in jedem Märchen gibt es nicht nur den Helden, sondern auch den, der am Ende zu fallen hat, die alte Schrumpelhexe: Philipp Rösler. Das Ungerechte an dieser Geschichte ist nur, dass sie einmal ganz anders begonnen hatte: mit zwei Brüdern, die gemeinsam ausgezogen waren, den Drachen zu schlagen. Aber so kam es nicht.

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Es ist die Genervtheit von der inhaltlichen Verflachung der Westerwelle?FDP, die den jungen Rösler, FDP-Chef in Niedersachsen, und den jüngeren Lindner, Generalsekretär der NRW?FDP, von Möllemann spöttisch „Bambi“ getauft, verbindet. Entschlossen, dem Liberalismus zu frischer Blüte zu verhelfen, planen sie 2008 den Entwurf eines neuen, freidemokratischen Kursbuchs. Westerwelle pfeift sie zurück, eine Grundsatzdebatte kann er sich wegen anstehender Wahlkämpfe nicht leisten. Erst im Mai 2009 geben Rösler und Lindner deshalb ihr Buch: „Freiheit: gefühlt, gedacht, gelebt“ heraus – ein Plädoyer für eine thematische Öffnung der FDP. Sie stellen es in der Berliner „Böse-Buben-Bar“ vor. Den Verdacht eines Journalisten, das Buch sei ein Angriff auf Westerwelle, weist Lindner weit von sich. Im Gegenteil, erklärt er: Sie seien die Prätorianergarde des Parteivorsitzenden.

Der Sold folgt nach den Bundestagswahlen: Lindner wird zum Generalsekretär der Bundespartei gekürt, Rösler zum Gesundheitsminister. Doch knapp ein Jahr später meutert die Wache bereits: Im Dezember 2010 einigen sich Lindner, Rösler und ihr Mitstreiter Daniel Bahr am Esstisch von FDP-Fraktionsvize Patrick ­Döring darauf, dass Westerwelle fallen muss. Im Januar darauf fordern Lindner, Rösler und Bahr mit ihrem „Jetzt erst recht“-Neujahrsappell in der FAZ „Erneuerungsprozesse“ in der FDP. Und als die Liberalen im März in Baden-Württemberg aus der Regierung fliegen und in Rheinland-Pfalz ganz aus dem Parlament kippen, fordert Ex-Parteichef Wolfgang ­Gerhardt die jungen Verschwörer auf, „sich jetzt zu zeigen“.

Sie brauchen eine Woche, um aus der Deckung zu kommen. Bis sie geklärt haben, wer von ihnen den Thron des zu Stürzenden besteigen soll. Die alte Schule um Genscher und Kinkel wünscht sich Lindner, doch der sieht seine Zeit noch nicht gekommen. Stattdessen reden er und Bahr auf den braven Rösler ein, der immerhin schon Familie und Regierungserfahrung, ergo ein Mindestmaß an Seniorität aufzuweisen habe. Rösler gibt schließlich nach. Zum Dolchstoß ist der Thronanwärter selbst nicht anwesend: Während Lindner und Bahr Westerwelle zum entscheidenden Gespräch in dessen Wohnung treffen, muss Rösler zu Hause die Kinder hüten. Er wird per Telefon zugeschaltet. Westerwelle findet das „jämmerlich“. Rösler braucht zwei Tage, bis er den Parteivorsitz für sich beansprucht. Und ganze vier Wochen, bis er sich traut, auch nach dem Wirtschaftsministerium zu greifen.

Dieser Hang zum Zaudern nimmt den Putschisten den Schwung, noch bevor sie in Fahrt gekommen sind. Drei Wochen nach Röslers Amtsantritt, nach Koalitionsgesprächen zur Atomwende, knirscht es zum ersten Mal: Um Aktion zu beweisen, berichtet Lindner in Abstimmung mit Rösler der Presse, die FDP hätte die Union im Falle eines Atomausstiegs vor Schadensersatzklagen der Energiekonzerne gewarnt. Doch der neue Fraktionsvorsitzende Brüderle dementiert: Der „Politikwissenschaftler“ Lindner sei wohl zu einer eigenen Rechtsauffassung gelangt. Und Rösler – statt seinem gedemütigten Generalsekretär beizuspringen – schweigt. Das Spiel wiederholt sich, als Lindner fordert, die acht stillgelegten Atommeiler komplett vom Netz zu nehmen, oder nach seinen Bemühungen, die FDP auf den Mindestlohn-Kurs der Union zu bringen: Er stimmt sich mit Rösler ab, hält den Kopf hin und wird dann von seinem Parteivorsitzenden im Regen stehen gelassen.

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Rösler wiederum wäre zur Festigung seiner Hausmacht selbst auf einen bissigen Generalsekretär angewiesen, der ihn bedingungslos freibellt. Stattdessen muss er zwischen dem – in seinen intellektuellen Ambitionen frustrierten – Lindner und Brüderle hin und her taktieren. Letzterer ist längst zum mächtigsten Mann in der Partei avanciert, pocht auf seine „Brot und Butter“-Themen und polemisiert regelmäßig gegen Lindners „Boygroup“ und deren „Säuselliberalismus“. Und Rösler, der zusammen mit Lindner für einen neuen, sozialen Liberalismus angetreten war, als Wirtschaftsminister nun aber lieber den Wachstumsbegriff neu definieren will, hält den Generalsekretär zunehmend aus seinen Vizekanzlerangelegenheiten heraus.

Wann genau Lindner beschloss, den ehemals gemeinsamen Kampf aufzugeben, weiß nur er. Möglicherweise schon mit der bedrohlichen Ankündigung des Mitgliederentscheids zur Eurorettung. Vielleicht auch erst, als deshalb das große Werk seiner Amtszeit, das Grundsatzprogramm der FDP, auf dem Parteitag im November 2011 aus dem Programm fliegt. Spätestens aber, als Rösler den Entscheid noch vor Auszählung der Stimmen für gescheitert erklärt, hat Lindner genug. Am 14. Dezember, exakt zwei Jahre nach seinem Amtsantritt, wirft er das Handtuch.

Der Parteichef, urplötzlich ohne Kopilot, ist erschüttert. Der Rücktritt hat für Rösler – wie es sein eiligst berufener neuer Generalsekretär Patrick Döring erklärt – „menschlich sicher ein Maß an Härte“, wie er sie „in seinem Leben noch nicht hatte“. Und die sitzen gelassene Parteispitze schimpft Lindner hinterher wie die verlassene Frau ihrem untreuen Liebhaber: „Brandbeschleunigend“ sei dessen Rücktritt gewesen, „illoyal“ und „Fahnenflucht“, Lindner sei offenbar „nicht kampagnenfähig“.

Nicht, dass es Rösler nun besser ginge. Auf dem Stuttgarter Dreikönigstreffen redet der Parteichef sich um Kopf und Kragen, während im Saarland Annegret Kramp-Karrenbauer die FDP aus der Regierung wirft. Auch Röslers Gauck-Coup geht nach hinten los, weil er nicht der FDP gutgeschrieben wird, sondern der zunächst zögernden, dann aber einwilligenden Kanzlerin. Und dann, als es schon nicht mehr schlimmer kommen kann, schlägt Lindner wieder auf – nur diesmal nicht an Röslers Seite, nicht wirklich.

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Als sich am 14. März gegen 13 Uhr der Landtag in NRW auflöst, befindet sich Lindner noch im Dunklen, im wahrsten Sinne des Wortes: Er liegt für eine Augen?OP in Berlin unterm Laser. Doch schon am nächsten Tag, während sich der nordrhein-westfälische FDP-Vorstand im Düsseldorfer NH-Hotel sammelt, wird der eingeflogene Lindner in einem Hinterzimmer von Gerhard Papke, dem Fraktionschef der Liberalen in Düsseldorf, und Landeschef Daniel Bahr bekniet, als Spitzenkandidat für die Neuwahlen ins Rennen zu gehen. Lindner sagt zu, unter der Bedingung, auch Bahrs Landesvorsitz zu bekommen. Er kriegt ihn und tritt an.

Im Hotel ist inzwischen auch Rösler aufgetaucht. Eilig hatte er eine USA-Reise abgesagt. Es sollte offenbar so aussehen, als ordne er die Verhältnisse in seiner Partei. Stattdessen muss er gemeinsam mit dem Fußvolk eine Stunde verlegen auf das Trio warten, das so beweist, dass der Parteichef weder offiziell geladen noch ausdrücklich erwünscht, sondern überflüssig ist. Rösler, der eigentlich Bahr als Spitzenkandidat haben wollte, muss nun ausgerechnet Lindner, den eben noch Fahnenflüchtigen, als seinen „besten Mann“ loben, muss ihn beklatschen als Hoffnungsträger, der nicht nur die FDP, sondern auch seinen eigenen Kopf retten soll. Lindner dagegen lässt wenig Zweifel, was Rösler für ihn ist. „Ein willkommener Gast.“ Mehr nicht.

Die öffentliche Hackordnung ist damit klar: Lindner der Traumprinz, der 60 Tage Zeit hat, um die FDP aus ihrem Todesschlaf zu küssen und vor den Deppen aus Berlin zu verteidigen, besonders ihrem Chef. „Eine durchaus andere Akzentuierung“ nähme er in NRW vor. Keinen „Schnickschnack“ gäbe es mit ihm, stattdessen: Schulden runter, vernünftige Bildungspolitik, den Industriestandort NRW stärken. Davon könne die Bundespartei sich gerne „inspirieren lassen“. Und Rösler? Als der sich unglücklich zu den Schlecker-Frauen äußert, sagt Lindner: „Ich formuliere anders.“ Und während Rösler für die erhöhte Pendlerpauschale und gegen Westerwelle wettert, erklärt Lindner, Vertrauen gewinne man „nicht durch Lautstärke zurück“. Rösler kann machen, was er will, er bleibt der Buhmann.

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Als das ZDF?Morgenmagazin in einer Straßenumfrage hämisch nach einer Alternativbeschäftigung für Rösler fragt, fallen den Passanten nur noch schlechte Witze ein: Politik auf einer einsamen Insel soll er machen, den Piraten beitreten oder bei Schlecker anfangen. Und auch in der Partei ist es einsam geworden um Rösler. Dass man einen Aprilscherz der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, nach dem Carsten Maschmeyer demnächst für die FDP antreten werde, umgehend schriftlich dementiert, lässt vermuten, dass man Rösler inzwischen fast alles zutraut.

Das Ende der Geschichte ist vorgegeben, so oder so: Glorie für Lindner, Schande für Rösler. Fliegt die FDP in NRW aus dem Landtag, wird man Rösler haftbar machen, absägen und durch Rainer Brüderle ersetzen. Lindner dagegen wird der Märtyrer bleiben, der sich selbstlos in die aussichtslose Schlacht warf. Gelingt dagegen der Wiedereinzug, dürfte Lindners Ruhm gewaltig, Röslers Schmach jedoch kaum geringer sein. Ohne anstehenden Parteitag fehlt dann zwar ein Anlass, ihn direkt zu stürzen. Doch statt zu liefern wie versprochen, wäre er selbst geliefert, ein Parteivorsitzender von Lindners Gnaden – und damit jederzeit auf Abruf. Wenn Nordrhein-Westfalen am 13. Mai wählt, wird Rösler auf den Tag genau ein Jahr Parteichef gewesen und Lindners Märchen längst zu Röslers Spuk geworden sein. 

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