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Bio-Eier falsch deklariert - Zerbrochenes Vertrauen

Über Jahre wurden in Deutschland massenhaft falsch deklarierte Eier verkauft. Wieso ist der Betrug nicht früher aufgefallen?

Autoreninfo

Dagmar Dehmer ist Politikredakteurin des Tagesspiegels in Berlin und befasst sich schwerpunktmäßig mit Umweltthemen und dem Klimawandel

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Hätte sich nicht ein Bauer in Niedersachsen über seinen Kükenlieferanten geärgert, wäre der Skandal um falsch deklarierte Bio- und Freilandeier wohl nie aufgedeckt worden. Jetzt wird nach und nach das Ausmaß eines groß angelegten Betrugs sichtbar. Das Vertrauen in Bio-Siegel ist erschüttert.

Welche Dimension hat der Skandal?

Es begann unspektakulär: In einem Zivilprozess habe ein Bauer ausgesagt, dass er zu viele Hühner für seinen Stall gekauft habe und dass das allgemein üblich sei, sagte der Leiter der Oldenburger Staatsanwalt, Roland Herrmann, der Nachrichtenagentur dpa. Der Richter habe das Landesamt für Verbraucherschutz informiert, das wiederum die Staatsanwaltschaft eingeschaltet habe.

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt seit Herbst 2011 wegen Betrugsverdachts gegen 100 Betriebe in Niedersachsen. Bis der „Spiegel“ den Betrug öffentlich machte, sagte die Staatsanwaltschaft gar nichts. Und auch jetzt ist sie schmallippig.

Über den in den Medien genannten Großbetrieb Wiesengold Landei GmbH hinaus wissen auch die Öko-Landbauverbände nicht, gegen wen da ermittelt wird. Wiesengold-Chef Heinrich Thiemann betont, sein Betrieb gehöre zu Naturland. Naturland wiederum beteuert, der Verband vertrete lediglich 38 von insgesamt 279 Hennenhaltern, die mehr als 3000 Hennen halten. Im Falle Wiesengold sind das 24 000 Hennen, wie er in einem „Interview“ auf seiner Firmenhomepage sagt. Die Bio-Landbauverbände Demeter und Bioland sehen sich nicht betroffen. Beide sagen, sie verträten nur kleinere Bio-Betriebe. Gerald Welde von Bioland sagt: „Die Bio-Eiproduktion ist vollständig industrialisiert.“ Davon setze sich sein Verband ab. Allerdings vertritt auch Bioland Betriebe, die bis zu 6000 Legehennen halten. Wer weniger Hennen hält, beliefert eher die Naturkostläden, die regionalen Märkte oder vermarktet seine Eier direkt auf dem Hof. Die Discounter und Supermärkte, die 70 Prozent der Bio-Eier verkaufen, werden dagegen von Großproduzenten beliefert. Und die haben, berichtet Welde, alle Haltungsformen im Angebot.

Nachdem die Käfighaltung Ende 2010 in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen verboten worden war, mussten die Hühnerbarone ihre Produktion umstellen. In Niedersachsen gibt es nach Angaben des zuständigen Landesamts für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz (Laves) 1080 Eier-Produzenten. 211 werden als Öko-Ställe geführt, 495 als Freiland- und 495 als Bodenhaltung. Dabei können eben auch lediglich Betriebsteile nach der EU-Öko-Verordnung zertifiziert werden.

Hat das Kontrollsystem versagt?

Ganz offensichtlich hat das Kontrollsystem versagt. Die Öko-Kontrollstellen, die für Niedersachsen zugelassen sind, haben nach Angaben des Laves jedenfalls keine Diskrepanzen an die Behörden gemeldet. Und auch der Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen (Kat), der 5500 Produzenten kontrolliert, kann sich den Betrug kaum erklären. Kat-Geschäftsführer Caspar von der Crone weist darauf hin, dass für eine solche Falschdeklaration sowohl die Kükenbrütereien als auch die Hennenhalter selbst kooperieren müssen. Denn die Lieferanten der Hennen müssen zwei Lieferscheine ausstellen, und der Hennenhalter selbst muss zudem bei der Meldung der vermarkteten Eier schummeln. Deshalb will Kat nun auch noch die Lieferungen der Futtermittelhersteller überprüfen. Dann werde es zumindest schwerer. Zählen könnten die Kontrolleure die Zehntausende von Hühnern jedenfalls nicht. „Wenn Sie in einen Stall reingehen, sehen Sie das nicht“, sagt er. Ein Hennenhalter aus Baden-Württemberg, der anonym bleiben möchte, ist regelrecht "geschockt". "Das muss doch auffallen", sagt er. Schließlich komme das Veterinäramt mindestens einmal im Jahr zur Kontrolle, und auch die amtliche Lebensmittelkontrolle prüfe, ob ein Betrieb sauber arbeite.

Für die Ökobetriebe ist das Zertifizierungswesen offenbar ein ziemlich internationales Geschäft. Die für Niedersachsen zugelassenen Öko-Kontrollstellen sind überwiegend weltweit aktive Unternehmen, die sich überwiegend nicht zu der Frage äußern wollen, ob ihnen in Niedersachsen schon einmal Diskrepanzen zwischen der Zahl der vermarkteten Bio-Eier und der Stallgröße aufgefallen sind. Einige der Zertifizierungsstellen haben keine Eierfarmen auf der Kundenliste, wie beispielsweise der Tüv Nord. Andere haben "kein Interesse", wie beispielsweise Agreco.

Seite 2: Wieso die deutsche Verbraucherpolitik immer wieder versagt

Welchen Wert haben Bio-Siegel noch?

Die Bio-Siegel werden sich von dem Vertrauensverlust wohl einige Zeit nicht mehr erholen. Davon ist Ulrich Jasper von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) überzeugt. Er meint, dass wegen der stetig gestiegenen Nachfrage nach Bio-Eiern womöglich nicht so genau hingeschaut worden sei. Dass auch gegen Bio-Hennenhalter ermittelt wird, sei in der Szene aber schon seit ein paar Monaten bekannt gewesen. Die Kasseler Professorin für Tierhaltung, Ute Knierim, macht vor allem den hohen wirtschaftlichen Druck auf die Hennenhalter für den Skandal verantwortlich. Sie sagt aber auch, dass die Haltungsverordnungen für die Bio-Hennen verschärft werden sollten. Ihr kommt es dabei vor allem darauf an, dass die Hennen tatsächlich auch ins Freie kommen. Denn meistens bleiben sie im Stall. Einigen Produzenten dürfte das sogar recht sein.

Um die Hennen ins Freie zu locken, hat Iris Weiland einen mobilen Hennenstall entwickelt, der jede Woche verschoben werden kann, damit die Hennen immer eine grüne Wiese vorfinden und zudem in der Nähe des mobilen Stalls auch Schutz finden. Das System lässt sich für bis zu 1200 Hennen umsetzen. Weiland war selbst Bioland-Bäuerin und hat beobachtet, dass ihre 300 Hennen nach etwa drei Jahren, die sie den Auslauf rund um den Stall genutzt hatten, immer mehr Probleme mit Parasiten bekamen. Und weiter als 20 oder 30 Meter hätten sie sich nie vom Stall entfernt. Deshalb wollte sie dafür eine Lösung entwickeln.

Dass es nahezu unmöglich ist, die Nachfrage nach Bio-Eiern nur mit einer mittelständischen, bäuerlichen Produktion zu befriedigen zeigen die nackten Zahlen des Bundesverbands für ökologische Lebensmittelwirtschaft. (Bölw). Allein in den Jahren von 2010 auf 2011 stieg die Produktion von Bio-Eiern um 25 Prozent. Rund 2,9 Millionen Hennen wurden Ende 2011 als Öko-Hennen gehalten. Das entspricht etwa 7,3 Prozent aller Legehennen in Deutschland. 40 Prozent der Bio-Eier wurden importiert, sagt Bölw-Sprecherin Joyce Moewius. Die Eierpreise sind vor allem nach dem Verbot der Hühnerbatterien stark gestiegen, berichtet Ulrich Jasper. In dieser Zeit seien auch viele bäuerliche Unternehmen wieder in die Eierproduktion eingestiegen. Der Umsatz mit Bio-Eiern lag 2011 bei 141 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der Umsatz mit Boden- oder Freilandhaltungs-Eiern lag bei 848 Millionen Euro.

Was sagt der Handel?

Der Rewe-Konzern – Rewe, Nahkauf und Penny – nehme die Vorwürfe „sehr ernst“ und beobachte die Situation „intensiv“, sagte ein Sprecher. Die aktuell verkauften Eier entsprächen „den gesetzlichen Vorgaben“. Bei „bestätigten Verdachtsmomenten“ werde die Rewe-Gruppe „entsprechend reagieren und die Eier im Zweifelsfall aus dem Verkauf nehmen“. Man stehe in ständigem Austausch mit Lieferanten und Bio-Kontrollstellen, sei aber auf Informationen der ermittelnden Behörden angewiesen. Aktuell sehe man keine Veränderungen im Kaufverhalten der Kunden. Kaisers Tengelmann sieht ebenfalls „keinen Grund, an der bestehenden Deklaration zu zweifeln“. Das Unternehmen habe aber mit all seinen Lieferanten Kontakt aufgenommen. Kaisers Tengelmann betont, dass seine Eier vom Kat kontrolliert würden.

Wieso versagt die deutsche Verbraucherpolitik bei Lebensmitteln immer wieder?

„Schreibtischkontrollen reichen nicht aus. Die Kontrolleure müssen in die Ställe gehen und Tiere zählen“, sagte die Agrarexpertin der FDP-Bundestagsfraktion Christel Happach-Kasan. Die Grünen-Politikerin Renate Künast pflichtete ihr im ARD-Morgenmagazin bei: „Wichtig ist, dass vorne die Kontrollen ordentlich funktionieren. Das haben sie hier, auch die staatlichen, nicht getan.“ Kontrolleure prüften in den Betrieben zwar Futter und Haltung der Tiere, nicht aber die Zahl der Hühner. „Wir müssen einen Weg finden zu zählen.“ Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) spielte den Ball am Montag vom Krisentreffen der Landwirtschaftsminister wegen des Pferdefleisch-Skandals von Brüssel aus an die Länder zurück. Für die Kontrollen seien die Länder zuständig, und das gehe nicht nur "vom Schreibtisch aus".

Dass es so weit kommt, dass Zähler in die Stelle geschickt werden, ist aber eher unrealistisch. Ganz praktisch: Mehrere zehntausend Hühner lassen sich schlecht zählen. Außerdem ist die Lebensmittelkontrolle beispielsweise in Niedersachsen bei den Kommunen angesiedelt. Sie müssten kontrollieren, ob die Halter die Eier richtig ausgezeichnet haben. Das kostet Geld. Deshalb fordert der SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber auch mehr Kooperation zwischen Bund und Ländern.

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