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Zuwanderung - Der Ruf nach Hochqualifizierten ist unsozial

Kolumne: Zwischen den Zeilen. Während die CSU versucht, den reaktionären Stammtisch in die demokratische Mitte zu tragen, reduziert der politische Gegner die Debatte auf die notwendige Zuwanderung durch Hochqualifizierte

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Es ist der wohl schrecklichste Satz, den man während seiner Schulzeit zu hören bekommt: „Aber nein, liebe Kinder, es gibt keine dummen Fragen.“ Quatsch mit Soße! Natürlich gibt es sie. So sicher, wie es den in deutschen Saunas breitbeinig lauernden Nackedeifetischisten gibt (meistens kahlköpfig und sich unter schwerem Schnaufen mit Salz einreibend).

Die in der Pädagogik obligatorische  Dumme-Fragen-Formel sorgt nicht nur dafür, dass die lauten, auf Quantität setzenden Menschen das Wort ergreifen und die vielleicht etwas schüchternen, nachdenklichen die Lust verlieren. Sondern vor allem verhindert sie, dass Kinder, bevor sie fragen, erst einmal in aller Ruhe zum Denken angehalten werden. Um dann vielleicht selber auf die Antwort kommen. Es erschwert die Reflexion über das eigene Denken und hemmt die Heranwachsenden bei der Entwicklung einer inneren Strategie, Fragen lieber über den eigenen Intellekt zu lösen. Anstatt sich auf andere – erst die Mitschüler und später die Schwarmintelligenz – zu verlassen.

Erst Denken und dann Poltern hätte man sich auch bei der CSU gewünscht. Ihr Slogan „Wer betrügt, fliegt“, erinnert doch sehr an die gute alte NPD-Rhetorik „Kriminelle Ausländer raus“. Untertitel: „Damit Opa sich auch morgen noch auf die Straße trauen kann… .“ Wer komplexe sozialpolitische Themen derart verkürzt, darf sich nicht wundern, wenn einem der Gegenwind ähnlich verkürzt ins Gesicht bläst. Besonders possierlich wird es, wenn sich dann die CSU-Granten, wie gerade in sämtlichen Talkshows zu bewundern, darüber beklagen, wie sehr doch ihre inhaltliche Auseinandersetzung mit Zuwanderung immer wieder aus dem Zusammenhang gerissen würde. Wer Realität derart verunstaltet, hat das Internetministerium nun wahrlich verdient.

Schlimm nur: Die CSU hat wohl sehr genau darüber nachgedacht, was sie da und wie sie es formuliert. Schließlich stehen Kommunal- und Europawahlen vor der Tür. Die Parolen kommen an, bei Umfragen legt die CSU weiter zu. Mal wieder operiert die CSU gemäß dem Strauß’schen Leitspruch, wonach es rechts der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe. Aufopfernd altruistisch versucht sie also, die Demokratie nach rechts abzusichern. Man könnte aber auch einmal blöd fragen, ob das nicht eher den gegenteiligen Effekt hat. Ob dadurch nicht die politische Mitte langfristig radikalisiert wird. Eben weil die CSU Wahl für Wahl die Radikalen in die Mitte trägt. Eben weil eine demokratische und bei den Wähler hervorragend verwurzelte Partei wie die CSU dies sagt und damit Ressentiment beladenes Stammtischgeflüster erst salonfähig macht.

Man muss aber auch festhalten: Der politische Gegner macht es der CSU auch wirklich einfach. Eben weil viele so tun, als könne man Migration auf die Hochqualifizierten beschränken. Und das real existierende Problem sozialer Brennpunkte in vielen deutschen Städten einfach ausklammern.

Interessant ist hierbei: Einige Beschränkungen in Sachen Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen sind längst aufgehoben. Hochschulabsolventen oder Auszubildende brauchen seit längerem keine gesonderte „Arbeitserlaubnis-EU“ mehr, wenn sie eine Tätigkeit aufnehmen möchten.

Die Qualifizierten sind also willkommen, die weniger Qualifizierten eher weniger. Ein solches, allein auf die wirtschaftliche Leistung bezogenes Einwanderungsprinzip ist aber zumindest mal doppelt unsozial. Einmal, weil es die Privilegierten nur noch zusätzlich privilegiert. Zum Zweiten, weil es die Herkunftsländer ihrer Spitzenkräfte beraubt. Und auf lange Sicht wirtschaftlich schwächere Länder in Europa weiter schwächt. Wer Europa so denkt, hat Europa nicht verstanden.

Und eigentlich ist dem CSU-Satz doch uneingeschränkt zuzustimmen. Sofern er nicht auf eine bestimmte Ethnie abzielt. Nehmen wir die Christsozialen beim Wort und schmeißen sie also raus, die Betrüger. Jetzt muss nur noch eine Strafkolonie gefunden werden, die sich bereit erklärt, all die bösen Bundesbürger aufzunehmen. Viel Glück dabei.

 

 

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