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Wende im Streit um Hitlers Hetzschrift - Seehofer stoppt „Mein Kampf“

Horst Seehofer will Hitlers „Mein Kampf“ nun doch unter Verschluss halten – obwohl Münchner Historiker im Auftrag des Freistaats an einer kommentierten Edition arbeiten. Und obwohl die Hetzschrift übers Internet längst unkommentiert erhältlich ist

Autoreninfo

Georg Löwisch war bis 2015 Textchef bei Cicero. Am liebsten schreibt er Reportagen und Porträts. Zu Cicero kam er von der taz, wo er das Wochenendmagazin sonntaz gründete. Dort kehrte er im Herbst 2015 als Chefredakteur zurück.

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Im Streit um den Umgang mit Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ gibt es eine überraschende Wendung. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer will nun verhindern, dass eine von Historikern kommentierte Edition herausgegeben wird. Dabei hat der Freistaat die Arbeit eines Forscherteams an eben dieser Edition finanziert.

Der Reihe nach: Hitler hat den ersten Teil seiner Hetzschrift erstmals 1925, den zweiten Teil 1926 veröffentlicht. Zwischen 1933 und 1945 wurde es in einer Millionenauflage gedruckt. Es war die Bibel der Nazis, mal großformatig in Goldeinband, mal kleiner in der sogenannten Gesangbuchvariante. Nach Hitlers Tod fielen die Rechte des Buches an den Freistaat Bayern. Der verbot seither, dass das Buch nachgedruckt werden kann.

Aber die Urheberrechte laufen Ende 2015 aus. Bayerns Regierung machte sich Gedanken darüber, was danach geschieht. Schließlich wurde entschieden, beim Münchner Institut für Zeitgeschichte eine kommentierte Edition in Auftrag zu geben. An einem runden Tisch Anfang 2012 stimmte unter anderem auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, dem Plan zu.

„Wir müssen uns über das Buch auseinandersetzen“, sagte der bayerische Finanzminister, Markus Söder, dann im November 2012 in Cicero „Es muss entmystifiziert werden.“ Für eine Veröffentlichung plädierte auch der Historikers Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte. „Mein Kampf“ sei eine wichtige Quelle. In ihr zeige sich Hitlers Programmatik. „Zumindest eine kritisch kommentierte Edition hätte man schon sehr viel früher erlauben sollen.“ Das Ziel müsse sein, dass „Mein Kampf“ nur mit aufklärendem Kommentar zu haben sei – und nicht in irgendwelchen Internetquellen.

[[{"fid":"59996","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":349,"width":255,"style":"width: 120px; height: 164px; margin: 4px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]In der Novemberausgabe 2012 beschäftigte sich der Cicero mit dem Streit um Hitlers Propagandaschrift „Mein Kampf“. Das Heft ist im Online Shop erhältlich.

 

 

Dagegen sprach sich Knobloch, die auch Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses ist, im November im Cicero erstmals entschieden gegen jede Veröffentlichung aus. Alles, was sie bisher zu dem Thema gesagt habe, sei „obsolet“, sagte sie. „Es muss rechtlich geprüft werden, ob es möglich ist, die Veröffentlichung über den Straftatbestand der Volksverhetzung zu verhindern. Ich werde da sicher nicht lockerlassen.“

Cicero machte damals den Streit um das Buch zum Titelthema und positionierte sich: für eine Veröffentlichung. Hitlers autobiografische Ausführungen sind peinlich und schwülstig, die Aussagen wirr. Erst durch das Verbot wird das Buch aufgeladen und zur Trophäe für Nazis. „Hitlers letzte Bombe“, lautete der Cicero-Titel. Später sagte der Münchner Forscher Christian Hartmann, der an der historischen Edition arbeitet, der Wochenzeitschrift Die Zeit: „Wir sind gewissermaßen der Kampfmittelräumdienst. Wir drehen den Zünder raus.“

Jetzt hat es sich Seehofer anders überlegt. Am Dienstag erklärte die Chefin seiner Staatskanzlei, Christine Haderthauer, nach einer Kabinettssitzung, „Mein Kampf“ werde nicht veröffentlicht. Falls Verlage es künftig veröffentlichen wollten, werde die Regierung Strafanzeige erstatten. Das dürfte nicht so einfach werden, wie eine Cicero-Recherche vor einem Jahr ergab.

„Unsere Auffassung ist: Auftrag gestoppt“, sagte Haderthauer mit Blick auf die Arbeit der Historiker. Bayerns Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle erklärte am Mittwoch, der Auftrag an das Institut für Zeitgeschichte werden zurückgezogen. Gespräche mit Holocaustopfern hätten gezeigt, dass jeder Nachdruck großen Schmerz bei ihnen und ihren Angehörigen auslöse.

Seehofer sagte am Rande einer Landtagssitzung, er könne doch nicht beim Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NPD beantragen und anschließend das Staatswappen für die Verbreitung von „Mein Kampf“ hergeben.

Seehofer hat damit Söder und die Historiker brüskiert.

Die Wissenschaft indes holt bereits zum Gegenschlag aus: Das Institut für Zeitgeschichte will nun quasi im Alleingang Hitlers Schrift publizieren. Der Direktor des Instituts, Andreas Wirsching, erklärte am Mittwoch, man verstehe sich als unabhängige Forschungseinrichtung und wolle die Arbeit an einer wissenschaftlichen Edition von "Mein Kampf" in eigener Verantwortung fortsetzen. Ein deutlicher Affront gegen den Freistaat.

Der Streit zwischen Politik und Wissenschaft geht also in eine neue Runde.

Unterdessen kann man Hitlers Hetzschrift recht einfach via Internet bestellen – leider unkommentiert.

 

 

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