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(picture alliance) 41 Jahre später ist der Panther nicht mehr schwarz, sondern rosa.

Terrorzellen - Was RAF und NSU verbindet

Braune Armee Fraktion? Den rechtsextremen ­Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und die linksradikale RAF trennen Welten. Gleichzeitig verbindet sie mehr, als man glauben möchte

Als im Mai 1970 junge Linksradikale in Westberlin den Bohemien und Strafgefangenen Andreas Baader mit Waffengewalt befreiten, hatten sie für ihre Gruppe noch keinen Namen. In der anarchistischen Zeitung Agit 883 veröffentlichten sie eine Erklärung, in der es hieß: „Die BaaderBefreiungsaktion haben wir nicht den intellektuellen Schwätzern, den Hosenscheißern, den Alles-Besser-Wissern zu erklären, sondern den potenziell revolutionären Teilen des Volkes.“ Über dem Text kauerte ein Raubtier, die Zähne bleckend. Auf seinem lang gestreckten Körper stand: „Die Rote Armee aufbauen.“ Es war ein Panther.[gallery:Rechte Gewalt- und Mordserie erschüttert Deutschland]

Der Panther ist auch das Wappentier der Zwickauer Nazi-Mörder. Die Comicfigur Paulchen Panther läuft durch ihre Videos, schießt einmal einen Polizisten in den Kopf, zeigt ein anderes Mal ein Schild: „Taten statt Warten“. Selbst das RAF-Logo mit dem roten, fünfzackigen Stern und der Maschinenpistole MP5 von Heckler und Koch taucht auf der Bekenner-DVD auf.

Dabei liegen Welten zwischen den RAF-Kadern der 1970er Jahre und den NSUTerroristen der 2000er Jahre. Auf dem Weg von der extremistischen Ideologie zum brutalen Mord gibt es aber mehr Parallelen, als man glauben möchte.

Beate Zschäpe und Uwe Mundlos kamen – wie seinerzeit Gudrun Ensslin und Andreas Baader – aus radikalen außerparlamentarischen Bewegungen. So wie die westliche Bundesrepublik ab 1967 von der Studenten- und Jugendbewegung erschüttert wurde, formierte sich in der ehemaligen DDR in den neunziger Jahren eine virulente rechtsextreme Bewegung.

Die 68er des Westens waren zwar kulturell ausgesprochen erfolgreich, doch mit ihrem Traum von einer sozialistischen Revolution scheiterten sie auf ganzer Linie. Die Rechtsextremen in Ostdeutschland konnten vielerorts die kulturelle Hegemonie unter den Jugendlichen erringen und mit ihrem Rassismus in die Mitte der Gesellschaft vordringen, doch sie stießen – immerhin – auf den Widerstand linker Antifaschisten.

Dass die saturierte und entpolitisierte Gesellschaft in Deutschland gegen Alarmismus und Fundamentalismus weitgehend immun ist, haben Radikale aller Couleur auch früher schon lernen müssen. Irgendwann waren die Freunde revolutionärer Veränderungen von den „Latschdemos“ frustriert. „Jetzt sind wir wieder ein paar Kilometer durch die Stadt gelaufen, das bringt doch alles nichts“, hatte Andreas Baader sich bei seinen Genossen beklagt.[gallery:Rechte Gewalt- und Mordserie erschüttert Deutschland]

Zusammen mit seiner Geliebten Gudrun Ensslin und zwei Genossen zündete Baader dann in Frankfurt am Main zwei Kaufhäuser an. Nachts. Niemand sollte zu Schaden kommen, und niemand kam zu Schaden, doch das Landgericht Frankfurt verurteilte die Kaufhausbrandstifter zu drei Jahren Zuchthaus. Als sie die Ladung zum Strafantritt erwarteten, setzten sich Baader und Ensslin nach Paris ab.

Uwe Böhnhardt hatte im April 1996 eine Puppe mit einem Davidstern und zwei Bombenattrappen von einer Brücke bei Jena gehängt. Niemand sollte zu Schaden kommen, und niemand kam zu Schaden. Der Neonazi war zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Ende Januar 1998 fand die Polizei in einer Garage, die Beate Zschäpe für ihre Kameraden Böhnhardt und Mundlos gemietet hatte, vier Rohrbomben und 1,4 Kilogramm Sprengstoff, TNT. Statt in den Knast ging das Trio in den Untergrund.

Die Zwickauer Zelle dürfte eines der Standardwerke über die RAF gelesen haben; schon um die grundlegenden Techniken des Terrors zu studieren. „Terrorismus ist keine Ideologie“, hat der Historiker Walter Laqueur festgestellt, „sondern eine Strategie des Aufstands, die von Leuten der verschiedensten politischen Richtungen angewandt werden kann.“

Auch wenn RAF und NSU sich ideologisch fundamental unterscheiden, die Gesetze des Terrors kennen beide. Eines von ihnen lautet: Damit eine Zelle im Untergrund unentdeckt operieren kann, bedarf sie aktiver Unterstützer. Bei der RAF sorgte vor allem Ulrike Meinhof dafür, dass Pfarrer, Journalisten und Professoren halfen. Sympathisanten, die zu Illegalen der RAF Kontakt hielten, sammelten in linken Polit-Wohngemeinschaften Personalausweise, Führerscheine und Reisepässe ein. Das Zwickauer Trio bekam ebenfalls von Sympathisanten Dokumente: Personalausweise, Führerscheine, Bahn-Cards. Darüber hinaus mieteten Helfer Wohnungen und Fahrzeuge für sie. Andere produzierten die Bekenner-DVD mit dem Panther.

Im Vergleich zur RAF verfügten die Nazi-Terroristen allerdings über einen entscheidenden strategischen Vorteil: Sie wurden nicht von der Polizei gesucht. Kein Fahnder hatte ihre Namen auf der Liste. In den Polizeirevieren der Republik prangten keine Steckbriefe mit ihren Fotos. Die Mitglieder der Zwickauer Truppe konnten eigentlich nur bei Banküberfällen und Morden auffliegen oder wenn sie sich mit Waffen hätten erwischen lassen.[gallery:Rechte Gewalt- und Mordserie erschüttert Deutschland]

Zur Finanzierung des teuren Lebens in der Illegalität griffen beide Terrorgruppen zum Bankraub, für den brasilianischen Guerilla-Kopf Carlos Marighella „die populärste Art des Überfalls“ und zugleich ein „Vorexamen“ für Stadtguerilleros. Die Nazis flüchteten erst einmal mit Fahrrädern – eine Fluchtmethode, die eine RAF-Frauengruppe bereits 1977 erfolgreich angewandt hatte.

Gemeinsam ist RAF und NSU die ungeheure Anmaßung, sich zum Herrn über Leben und Tod aufzuschwingen, als Ankläger, Richter und Henker in einem aufzutreten, Angst und Schrecken zu verbreiten; seit der Französischen Revolution als „Terreur“ bekannt. Die Ziele der Angriffe unterscheiden sich allerdings radikal. Der NSU bestimmte sie nach Rasse, die RAF nach Klasse. Die RAF griff die Spitzen des kapitalistischen Systems an: den Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto; den ExSSOffizier und Arbeitgeber-Chef Hanns Martin Schleyer; den Ex-NSDAP-Mann und Generalbundesanwalt Siegfried Buback.

Die Zwickauer schlugen ganz unten zu, bei den armen Einwanderern, sie suchten ihre Opfer in abgeschabten Internet-Cafés an gesichtslosen Ausfallstraßen. Darin ähneln sie den Islamisten. Auch die wenigen in Deutschland operierenden Soldaten des Dschihad planten egalitäres Morden. Allerdings wäre die ironische Kommentierung der eigenen Taten – wie auf der Pink-Panther-DVD – für jeden von religiösem Ernst und Eifer beseelten Islamisten ein Frevel.

Die Islamisten wollen einen Gottesstaat, die RAF träumte von der Diktatur des Proletariats, die Nazi-Terroristen propagieren ein reinrassiges Arierreich. Und alle drei Gruppen eint der Hass auf Juden und Israel. Selbst die RAF-Sprecherin Ulrike Meinhof, die vor Gericht als Beruf „Antifaschistin“ angab, erklärte im Prozess gegen Horst Mahler: „Ohne dass wir das deutsche Volk vom Faschismus freisprechen – denn die Leute haben ja wirklich nicht gewusst, was in den KZs vor sich ging –, können wir es nicht für unseren revolutionären Kampf mobilisieren.“

Neben der Wahl der Opfer unterscheiden sich RAF und NSU gründlich in puncto Kommunikation. Der NSU schwieg zu seinen Morden. Erst Jahre später wurde ein Bekennervideo produziert. Die Kader der RAF hingegen entwickelten ihren Terrorismus als kommunikativen Akt in der Tradition der „Propaganda der Tat“. Ihre Botschaften waren elitär, sie selbst abgehobene Intellektuelle.[gallery:Rechte Gewalt- und Mordserie erschüttert Deutschland]

Mit Gudrun Ensslin oder auch Brigitte Mohnhaupt, die beide aus gutbürgerlichen Familien kamen, kann Beate Zschäpe nicht ansatzweise mithalten. Der rechte Terror hat auch nie Verständnis bei prominenten Intellektuellen gefunden, so wie die RAF, die von Heinrich Böll zumindest ernst genommen wurde, oder deren Kopf Andreas Baader von Jean-Paul Sartre im Stammheimer Gefängnis besucht wurde.

Dafür war der NSU beim Töten deutlich skrupelloser und effektiver. Die beiden Männer der Zwickauer Zelle ermordeten in sieben Jahren mindestens zehn Menschen. Rund 60 RAF-Mitglieder brachten in 28 Jahren 34 Menschen um.

Es gibt beim Terrorismus jenseits der politischen Ziele eine nihilistische, existenzialistische Dimension: den Tod in Kauf nehmen. Sich opfern. In einem Rausch, in tiefer Verzweiflung und mit loderndem Hass setzen die bewaffneten Existenzialisten alles aufs Spiel, auch das eigene Leben.

Die Anführer der ersten Generation der RAF – Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Raspe – erschossen sich am 18.Oktober 1977 im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim, nachdem ein GSG-9-Kommando in Mogadischu das zu ihrer Freipressung entführte Lufthansa-Flugzeug gestürmt hatte. Die Perspektive, 20 oder mehr Jahre in der extremen Fremdbestimmung eines Hochsicherheitstrakts zu verbringen, war ihnen unerträglich. Sie nahmen sich das letzte Stück Selbstbestimmung, über den eigenen Körper und das eigene Leben. Ein finaler Akt der Rebellion. Zugleich versuchten sie, ihren Suizid als Mord ihrer Feinde, der Imperialisten, zu inszenieren. Auch die beiden Männer der Zwickauer Zelle dürften den kollektiven Selbstmord schon lange vor ihrer Verhaftung beschlossen haben. Als die Polizei anrückte, entzogen sie sich einem Prozess und lebenslanger Haft. Sie entsicherten ihre Pistolen, setzten sie sich an den Kopf und drückten ab.

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