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Entlassung Schavans - Warum Merkels Entscheidung ein Fehler sein könnte

Letztlich war es kühler Machtinstinkt, weshalb Angela Merkel den Rücktritt ihrer Bildungsministerin akzeptierte. Doch die Entscheidung der Kanzlerin könnte sich als Fehler entpuppen

Autoreninfo

Helmut Däuble, Jahrgang 1961, lehrt als Akademischer Oberrat Politikwissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg

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Es war naheliegend, dass Annette Schavan den Hut nehmen würde. Sie wusste, dass sie im Falle ihres Bleibens für die Union im Wahlkampf eine Belastung bedeuten würde.

Jeder Auftritt als Bundesbildungsministerin hätte erneut die Frage aufgeworfen, ob jemand, dem eine Universität bewusste Täuschungsabsichten bescheinigt, als Vorbild taugt, um wissenschaftliche Redlichkeit an Hochschulen zu predigen. Und dazu wäre die Dauerdiskussion gekommen, ob Angela Merkel nicht mehr genügend Führungskompetenz besitzt, um eine zur Bürde gewordene Ministerin aus dem Kabinettsboot zu werfen. Es war also klar, dass die Kanzlerin Schavans Rücktritt akzeptieren musste. Aber war das wirklich so eine einfache Angelegenheit und hatte sie tatsächlich keine andere, gar bessere Wahl?

Um dies zu überprüfen, muss man sich anschauen, worauf Merkels bisheriger Erfolg beruht. Sie wägt nüchtern ab und trifft notwendige Entscheidungen – zumindest nach außen hin – eiskalt. Notwendige Entscheidungen sind für sie solche, die den Machterhalt sichern und die zugleich ihrem Verständnis von unbedingtem Gehorsam gegenüber Vernunft und Sachgemäßheit entsprechen.

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Zum einen ist sie also ganz und gar Parteigängerin von Machiavelli, der mantenere lo stato, also die Erhaltung der (Staats-)Macht, zum zentralen Ziel jedes Herrschers und zur vorrangigen Staatsräson erklärt hat. Zum anderen folgt sie dem lutherischen Glaubensgrundsatz des Hier-stehe-ich-und-kann-nicht-anders, dass nämlich als richtig Erkanntes und damit in ihren Augen Vernünftiges um jeden Preis zu verfolgen ist.

Am Beispiel des kurzen Prozesses, den sie mit Röttgen machte, als dieser sich weigerte, von sich aus zurückzutreten, lässt sich die machiavellistische Skrupellosigkeit der Kanzlerin nachweisen, maximale Grausamkeit dann walten zu lassen, wenn ein Kabinettsmitglied ihrer Einschätzung nach die Wiederwahlchancen der Union reduziert. Für die lutherische Unbeirrbarkeit steht die erstaunliche Kehrtwende in der Atompolitik. Nach Fukushima hat die Kanzlerin nur kurze Zeit benötigt, um ihre alten Überzeugungen radikal über Bord zu werfen und die zivile Nutzung von Kernenergie als zu gefährlich zu erachten.

Überträgt man diese beiden essentiellen Felder Merkel‘scher Überzeugungen auf die Causa Schavan, müssten sich für die Kanzlerin zwei zentrale Fragen ergeben haben: Reduziert ein Verbleib der Ministerin die Erfolgsaussichten der Union tatsächlich? Und ist die Düsseldorfer Entscheidung wirklich nicht in der Sache falsch und damit unvernünftig?

Merkels Einschätzung zur letzteren Frage, ob Schavan eine arglistige und gerissene Flunkerin und wissenschaftliche Hochstaplerin gewesen ist, lässt sich nur indirekt erschließen. Hat sie in diesem Urteil einen Fehlschluss gesehen, dem sie in keinem Fall folgen wird? Offene Hinweise fehlen hier. Aber nach allem, was man dem Vernehmen nach erfahren konnte, hat Merkel diese Entscheidung für offenkundig verkehrt und für schlimmstenfalls politisch motiviert gehalten. Natürlich würde sie dies niemals öffentlich zugeben.

Seite 2: Beide waren Streberinnen, das schweißt zusammen

Der Merkel‘sche Pragmatismus, die Kirche im Dorf zu lassen, lässt allerdings schlussfolgern, dass sie in diesem Fall eine eindeutige Position eingenommen hat: Ihre Ministerin diente ihr über so viele Jahre und Jahrzehnte kenntnisreich und loyal, dass verjährte Zitierverstöße pure Lappalien sind. Dass obendrein beide den Typus der klugen Streberin personifizieren, schweißt zusätzlich zusammen.

Insbesondere die spezifisch Merkel‘sche Vorstellung von modernem Paternalismus, nämlich kluge Loyalität wertzuschätzen, ist einer ihrer zentralen Leitsätze: Wer sich ihr immer ergeben, zuverlässig, treu und kompetent gezeigt hat, der hat auch ihren unbedingten Schutz verdient. Von daher alleine betrachtet wäre ein massives Stützen der Ministerin und ein eindeutiges Einfordern, sie möge Rückgrat zeigen und bleiben, die einzig denkbare Konsequenz gewesen.

Doch genau das hat Merkel eben nicht getan. Also muss die Ursache im anderen, dem machiavellistischen Axiom ihrer Überzeugungen zu finden sein. Merkel muss zum Schluss gekommen sein, dass eine noch so kompetente und loyale Ministerin („im Grunde die anerkannteste und profilierteste Bildungspolitikerin unseres Landes“) nicht tragbar ist, wenn diese zum Risikofaktor mutiert und die Chance auf einen Machterhalt der Union dadurch beeinträchtigt wird. Und welche Konsequenz sich daraus ableitet, muss nicht ausgeführt werden: die Demission.

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Dass diese beiden Grundüberzeugungen – um nicht zu sagen: diese beiden Seelen in Merkels Brust – hart um die richtige der beiden konträren Konsequenzen gerungen haben, darf angenommen werden. Wie schwer die Entscheidung der Kanzlerin gefallen sein muss, das lässt sich unschwer erahnen und war bei der Verabschiedung tief in ihr Gesicht eingeschrieben: alle Kaltschnäuzigkeit, die ihr bei Röttgens Rauswurf noch an der Nasenspitze abzulesen war, war weggeblasen.

Aber hätte Angela Merkel bei der Analyse der Erfolgsaussichten denn auch zu einem anderen Ergebnis kommen können? Hätte es sich – bei höherem Risiko für die Union – nicht doch auszahlen können, zu Schavan zu halten?

Schaut man sich an, wie die Medien oder die Opposition sich des Falles in den letzten Tagen annahmen, gab es zwar durchaus Rücktrittsforderungen, aber im Vergleich zu Guttenberg oder zu Wulff ist das, was bisher in dieser Hinsicht passierte, weniger einem Tsunami denn einem Sturm im Wasserglas vergleichbar. Die mediale und oppositionelle Beißhemmung war generell und omnipräsent.

Wer sich auch nur ein wenig umhörte, konnte problemlos erkennen, wie die Plagiatsvorwürfe in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurden: als ein Streit unter Wissenschaftlern, einem Disput von Gelehrten im Wolkenkuckucksheim. Medien und Oppositionspolitiker haben durchaus ein Gespür für diesen hartnäckigen und breiten Konsens, dass es Wichtigeres gibt, als sich um des Kaisers Bart zu streiten. Und welches Publikationsorgan oder welcher politische Kontrahent begibt sich auf einen aussichtlosen Kreuzzug? Selbst die Linkspartei hatte sich erstaunlicherweise und ostentativ zurückgehalten.

Seite 3: Warum die Angriffsstrategie Merkel einst die Macht sicherte

Dazu kam das vehemente, zugleich aber ruhig und sachlich vorgetragene Statement von Schavan selbst, sie hätte niemals abgeschrieben noch sonst irgendwie getäuscht. Von daher gab es weder einen massiven Druck der Straße noch der medialen Öffentlichkeit. Weder hat man, noch hätte man der Kanzlerin die Verantwortung für die Aberkennung des Doktortitels in die Schuhe geschoben. Sie hätte davon sogar massiv profitieren können als eine Frau in einer obersten Chefposition, die einer anderen in ähnlich privilegierter Stellung hilft, ihre ungerechtfertige Notlage zu überwinden. Doch hat Merkel wohl für einen Verbleib Schavans gar nicht gekämpft. Wieso eigentlich nicht?

Vermutlich liegt das an der Unwilligkeit Merkels, die Alternative dann auch hart durchzuspielen. Denn was wäre die praktische politische Konsequenz daraus gewesen? Ihr Machtinstinkt hätte ja durchaus entscheiden können, jetzt alles auf eine Karte zu setzen und against all odds eine Angriffsstrategie pro Schavan zu fahren.

Das hat sie schon einmal erfolgreich praktiziert, als sie Helmut Kohl frontal im Jahr 2000 anging, er solle Ross und Reiter bei der Spendenaffäre nennen oder seinen Ehrenvorsitz niederlegen. Damals ging ihre Strategie auf: Aus dem Mädchen wurde die Vorsitzende, die niemand mehr unterschätzte.

Jetzt steht Angela Merkel auf dem Zenit ihrer Macht. Sie ist die mächtigste Frau Europas und hätte den Zeitpunkt für gekommen sehen können, an dem sie sich nicht mehr von der Fakultät einer Universität in ihre Kabinettspolitik hineinreden lässt. Sie wäre durchaus in der Lage gewesen, eine Entscheidung zu treffen, die einen point of no return überschreitet: Mich bekommt ihr nicht mehr als die Kanzlerin, die ich einmal war. Ich habe einen Lern- und Emanzipationsprozess durchgemacht. Vergesst Mutti, das ist schon seit Röttgen Schnee von gestern, nehmt mich ab jetzt als das wahr, was ich schon lange geworden bin, nämlich die Personifikation von aktiver Führung und Autorität in dieser Demokratie. Ich zeige das dadurch, dass ich mich mit aller Kraft vor Schavan stelle und für ihren Verbleib politisch bürge.

Wir hätten dann bei der Verteidigung von Schavan eine Entschlossenheit von Merkel erleben dürfen, die wir zuletzt bei der Sparguthabenabsicherung und der Energiewende beobachteten. Eine klare Kante pro Schavan hätte die mediale und oppositionelle Meute im Zaum gehalten, nur durch eindeutige Rückendeckung, nur durch diese Bazooka-Lösung hätte die Chance bestanden, alle Anwürfe gegen ihre Ministerin still zu stellen. Und ein solches Standing hätte sich letzten Endes sogar in Wählerstimmen ummünzen lassen können.

Doch je intensiver man sich vorstellt, wie Merkel dazu hätte handeln und sein müssen, desto klarer wird: Angela Merkel ist nicht (mehr) von diesem Schlag Politiker(in). Sie hat nüchtern abgewogen und die vermeintlich risikofreiere Variante gewählt. Jetzt, da sie ganz oben ist, lässt sie – egal wie schwer ihr Herz dabei sein mag – Schavan einfach ziehen in der Hoffnung, der politische Betrieb kommt damit möglichst schnell wieder in ruhiges Fahrwasser. Ihr Risikoappetit, den sie in jüngeren Jahren hatte, ist ihr gänzlich abhanden gekommen. Vielleicht ist das eine gute Entwicklung für die mächtigste Frau in der größten Demokratie Europas.

Aber wer alle fünf Sinne beisammen hat, konnte sehen, dass mit dieser Entscheidung Merkels, die lutherische Hier-stehe-ich-Haltung, die ein mutiges Jetzt-erst-recht notwendig gemacht hätte, dem reinen Sicherheitsdenken und der Machtabsicherung zum Opfer fiel. Wenn in die Jahre kommende Alpha-Tierchen als richtig Erkanntes allerdings nicht mehr entgegen der Mehrheitsmeinung durchsetzen können, dann sind sie mittelfristig zum Abschuss frei gegeben.

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