
- Ein Blick hinter die Kulissen eines digitalen Wahlhelfers
Wahlen in Deutschland haben ein Ritual: Plakate, TV-Duelle – und Millionen von Klicks auf dem Wahl-O-Mat. Dieses Tool hat sich als der politische Persönlichkeitstest für eine ganze Generation etabliert. Doch wie neutral ist dieser Wahlturbo wirklich?
Der Wahl-O-Mat ist eine elektronische Spielwiese sowohl für den unentschlossen als auch den bereits fest entschiedenen Wähler: Ein paar Klicks, eine bunte Auswertung, und schon fühlt sich der digital ermächtigte Demokrat wie ein staatsmännischer Vordenker.
Der Wahl-O-Mat verspricht eine Orientierungshilfe im politischen Labyrinth. Hier wird man nicht mit unangenehmen Details belästigt, sondern elegant in die Schublade des ideologischen Ikea-Regals einsortiert – einfach, praktisch, aber oft wackelig.
Ich bin kein Wähler mehr – ich bin eine Cluster-Variable in einem Algorithmus. Politik ist jedoch selten einfach. Wer sich tiefer mit den Parteien auseinandersetzt, merkt schnell, dass viele Positionen kontextabhängig sind. Ein einfacher „Stimme zu“- oder „Stimme nicht zu“-Klick wird der Komplexität vieler Fragen oft nicht gerecht.
Zwischen Komplexität und Vereinfachung
Ein weiteres Problem: die Auswahl der Thesen. Diese werden in einem mehrstufigen Verfahren durch ein Redaktionsteam bestehend aus jungen Wählern und Experten festgelegt. Der Gedanke, junge Menschen an der demokratischen Meinungsbildung zu beteiligen, ist lobenswert. Doch bedeutet das nicht auch, dass die Auswahl der Fragen zwangsläufig von einer bestimmten Alterskohorte dominiert wird, die andere gesellschaftliche Gruppen nur bedingt repräsentiert?
Die ausgewählten Fragen sollen kontrovers sein und eine klare Differenzierung zwischen den Parteien ermöglichen. Doch was passiert, wenn sich Parteien in den zentralen politischen Fragen einig sind? Themen, zu denen es wenig Streit gibt, kommen im Wahl-O-Mat gar nicht erst vor. Doch gerade diese Fragen sind oft die entscheidenden: Steuerpolitik, Bildung oder gar Austritt aus dem Euro oder der Nato – viele würden erwarten, dass solche Kernthemen im Wahl-O-Mat eine größere Rolle spielen. Stattdessen finden sich oft Thesen, die sich gut für politische Talkshows eignen.
Was der Wahl-O-Mat nicht fragt, ist genauso entscheidend, wie das, was er fragt. Wer die Fragen auswählt, steuert die Antworten. Und wer die Antworten steuert, lenkt die Debatte. Der Wahl-O-Mat folgt weniger der politischen Realität als dem Algorithmus der Aufmerksamkeitsökonomie. Wo kein Streit, da kein Klick.
Paternalismus, Bürokratie und Verteuerung: Ein Wahl-O-Mat-Experiment
Was passiert, wenn man den Wahl-O-Mat mit Hilfe von KI (hier ChatGPT) konsequent in Richtung eines maximal paternalistischen, bürokratisch überregulierten und finanziell ruinösen Staates beantwortet? Kurz gesagt: ein dystopischer Verwaltungsalbtraum mit Pflichtabgabe für diskursive Gedankenabweichungen, Tempolimit für Fahrradfahrer – und einer CO₂-Steuer auf den eigenen Atem. Klingt fast wie ein Zustandsbericht des Landes kurz vor der Bundestagswahl.
Zum Glück haben wir KI-Agenten, die bald nicht nur für uns klicken, sondern auch gleich für uns wählen – oder besser noch: direkt regieren. Irgendwo im Silicon Valley plant sicher schon jemand die erste Kanzler-API. Einmal trainiert auf dem gesammelten Weltwissen (oder wahlweise den moralischen Leitlinien ihrer Entwickler), könnten sie gleich für uns wählen.
Die KI entschied sich in meinem Test konsequent für mehr Regeln, mehr Eingriffe und natürlich mehr Steuern. Am Ende dieser staatsverliebten Rechenübung kam heraus, dass sich unser „ideales“ Wahlprogramm mit fast 80 Prozent Übereinstimmung am besten mit SPD und Grünen deckt. Überraschung! CDU und FDP lagen noch im Mittelfeld, während die AfD mit nur 21 Prozent Übereinstimmung tabellarisch am Ende liegt – ein Umstand, der sicherlich nur an einer falschen Prompt-Formulierung lag, oder?
Das Experiment zeigt deutlich, dass politische Programme nicht in einfache Multiple-Choice-Formate gepresst werden können. Die Antworten führen schnell zu extremen Szenarien. Insbesondere wenn man alle 28 Parteien auf dem „Wahlzettel“ des Wahl-O-Mat einbezieht, begünstigt dies Kleinstparteien. Beispielsweise würde die Tierschutzpartei in dem hier gewählten Szenario immer noch mit einer Übereinstimmung von 75 Prozent weit oben landen. Wie bitte?
Kritik, aber nicht ohne Lob
Trotz aller Kritik darf man eines nicht vergessen: Der Wahl-O-Mat bringt Millionen von Menschen dazu, sich zumindest oberflächlich mit Politik auseinanderzusetzen. In einer Zeit, in der viele Bürger das Gefühl haben, ihre Stimme mache ohnehin keinen Unterschied, ist das immerhin ein niedrigschwelliger Einstieg in politische Debatten – auch wenn er oft nicht über das Niveau eines Buzzfeed-Persönlichkeitstests hinauskommt. Und für manche reicht das ja. Wer nicht wählen geht, kann sich trotzdem mit einem Instagram-Statement moralisch absichern.
Doch wer wirklich wissen will, welche Partei zu ihm passt, kommt um eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Parteiprogrammen, Reden und politischen Entscheidungen nicht herum.
Vom Opportunisten zum Gestressten – Oder: Bin ich jetzt AfD-Wähler?
Das Pendant in den USA wird vom Pew Research Center betrieben. Auch diesen Test habe ich immer mal wieder durchgeklickt, um meine politische Verortung zu überprüfen. Und wenig überraschend: Auch hier ist das Ergebnis nicht viel mehr als eine algorithmische Schublade.
2020 war ich laut Pew noch ein Opportunistic Democrat – ein pragmatischer und politischer Flaneur. Vier Jahre später bin ich zum Stressed Sideliner degradiert. Inhaltlich genau in der demokratischen Mitte, aber gemeinsam nur mit 15 Prozent des Elektorats. Ich stehe am Spielfeldrand und frage mich, ob das Spiel überhaupt noch in die richtige Richtung läuft. Offenbar hat sich nicht nur die Welt, sondern auch mein eigenes Profil radikalisiert – oder vielleicht einfach nur der Algorithmus.
In Deutschland klickt man sich durch 38 weichgespülte Thesen und hat satte 28 Parteien zur Auswahl. Manche Ergebnisse überraschen, andere nicht. In meinem zugegebenermaßen extremen Experiment bestätigt das Tool genau das, was ich ohnehin erwartet habe – eine perfekte Bestätigungstendenz mit algorithmischer Absolution. Ob Wahl-O-Mat oder Pew Research: Algorithmen stecken uns in Schubladen und bestätigen mir, was ich längst fühle: Ich bin genervt und womöglich politisch obdachlos.
Vielleicht steckt in dieser Versimplifizierung sogar mehr Wahrheit, als uns lieb ist. Vielleicht zeigt sie nur auf, was wir sonst verdrängen: dass es in der Politik längst nicht mehr um echte Lösungen geht, sondern um asymmetrische Mobilisierung, Identität und Teamzugehörigkeit. Haltung schlägt Inhalt. Wer gewissenhaft die richtigen Kreuze setzt, darf sich danach einbilden, eine politische Entscheidung getroffen zu haben. Statt echter Sachpolitik gibt es das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen – wo auch immer das laut Redaktionskomitee gerade ist. Es wird Zeit, dass Politik wieder als demokratische Verantwortung verstanden wird und nicht als Identitätsbaustein.
Aber Moment mal … Was passiert eigentlich, wenn ich das Experiment umdrehe? Wenn ich Paternalismus, Bürokratie-Wahn und Regulierungslust konsequent verneine – lande ich dann sachlogisch bei der AfD? Ist das der geheime Code, den der Algorithmus nicht aussprechen will?
Oh Gott. Schnell noch mal klicken. Oder besser noch: ChatGPT fragen, ob das wirklich meine Meinung oder ein Rechenfehler ist.
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Ich empfinde Themenauswahlen und Vorformulierungen seit längerem schon als einseitig und zugunsten Linksgrün "optimiert". Z.B. Gendern, Klima und ähnlich illustre Themen werden auf mehrere "Thesen" verteilt, sind gewissermaßen überwichtig, dazu muss man immer mal aufpassen mit den Verneinungen. Sind das tricky Fallen, nachdem komplexe Verhältnisse zuvor vereinfacht worden waren? Was auch keine Rolle spielt ist die Persönlichkeit, sind die Fähigkeiten eines Kandidaten und der Rückhalt, der Zusammenhalt im Parteiapparat, genauso wenig wie die Realisierungschancen im weiteren, in Koalitionen etc. Es ist ein oberflächliches Instrument, gleichwohl schon von den "Guten" vereinnahmt, passt in gewisser Weise zur infantil gewordenen Politik einerseits und der 1-er-Abischwemme andererseits...
Habe früher öfter den Wahl-O-Mat bedient, hatte aber noch nie solche Ergebnisse.
Die Partei, die bei mir an der Spitze lag, von der habe ich noch nie etwas gehört.
Beruhigend dann, SPD und Grüne gleichauf, aber nachdem ich kurz bei "Jung & Naiv" reinschaute, mit Sahra Wagenknecht, freue ich mich sehr, dass auch das BSW ganz oben dabei war.
Aber wie gesagt, diese Kleinstpartei kann eigentlich nicht von Bedeutung sein, also war das Ergebnis in meinem Fall nicht wirklich zutreffend?
Aber ähnlich wie beim Buch von Friedrich Krüger
"Das Ende dieser Welt"
ein leichter Gänsehaut-Effekt
denn bisher wurden alle Geschichten/Filme
von der Realität 666x übertrumpft & in den Schatten der Finsternis gestellt
statt zum Wohle, der Demut & der Liebe
Egal ob LT- oder BT- Wahl landet meine Partei dich ich wählen werde immer an erster Stelle..
Haut genau hin, da der Abstand zum zweiten Platz doch recht beträchtlich ist. 😂😂😂
Mit besten Grüßen aus der Erfurter Republik
mir aber eben den Spaß gemacht:
AfD 74,4%
CDU/CSU 60%
Grüne 18,6%
Paßt schon, wobei die Fragen durchaus tendenziös sind, ich frage mich warum sowas gefragt wird:
„Der Bund soll Projekte gegen Rechtsextremismus verstärkt fördern.“
Wenn, dann soll der Bund gegen Extremismus jeglicher Couleur vorgehen, warum nur gegen Rechtsextremismus? Soll wohl dem Jung-/Erstwähler signalisieren, es gäbe nur diesen, das wiederum wäre maximal einseitig. Zudem lenkt es jeden der gegen Extremismus per se ist, was wohl die Mehrzahl der Bevölkerung betrifft, in die grünlinke Ecke und somit zu den eigentlichen Extremisten.
Schon perfide!
Welcher Weise Links-Grün in hasserfüllter Hilflosigkeit versuchen wird, die Wahlen zu manipulieren. Geht es doch um nichts weniger als um die Rettung d e r Demokratie, die ihre Macht sichert. Schon der Wahl-O-Mat sucht den Wähler in eine Richtung zu schieben, die ihm neu oder überraschend erscheint. Sicher gibt es verantwortungsbewusste Instanzen, die noch - bevor es fasr spät ist - der Demokratie einen Dienst erweisen, indem sie Wahl annullieren. Jedenfalls dann, wenn die AfD zuviel Stimmen einheimsen sollte. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es sollte angesichts der schon getätigten Ausgaben ein Leichtes sein, "Omas gegen Rechts" mit Waffen auszustatten.
müsste ich womögöich AfD wählen. Glücklicherweise geht es aber um Personen, denen ich vertrauen kann, Und da kommen die NPD-Wiedergänger bestimmt nicht in Frage.
Die sogenannte Entscheidungshilfe suggeriert, dass man annähernd die Partei wählen könne, die des Wählers Vorstellungen entspräche. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung in Sachen Politik zeigt ein völlig anderes Bild, als der Wahlomat vorgaukelt. Demnächst eine Religionsentscheidungsapp, welche Religion zu einem passt. Kurze Parolen, klare Bilder, bleibender Erinnungseffekt in TV und Video - das sind die Marker der Wahlentscheidung. Wer 38 lange Fragen beantwortet oder Parteiprogramme wälzt, ist am Ende nicht schlauer, als ohne Wahlomat.
Bekommt das betreute Denken frei Haus geliefert. Guten Appetit. Und wenn man danach nicht gekotzt hat. Ok ich lasse das jetzt lieber mal 🧌😱🫨🙄
Wer seine Stimme nach dem Ergebnis eines Wahl-o-Mat verteilt hat für mich die Kontrolle über sein Leben verloren. Und glaubt irgendjemand ernsthaft, man würde nicht registriert, wenn man einen Wahl-o-Mat anklickt? Ich weiß, alles nur Verschwörungstheorie.