
- Steckt in jedem von uns ein Verschwörungstheoretiker?
In der Pandemie boomen Verschwörungstheorien. Neuerdings wird sogar behauptet, die Regierung wolle Kinder mit der Maskenpflicht töten. In den USA ranken sich noch absurdere Mythen um Corona und Donald Trump. Sind ihre Anhänger harmlose Spinner oder eine Gefahr für die Demokratie?
Michael Butter ist Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen. Bei Suhrkamp ist sein neues Buch erschienen: „Nichts ist, wie es scheint. Über Verschwörungstheorien.“
Herr Butter, in Berlin sind nach der letzten Anti-Corona-Demo der Querdenker Brandsätze ins Robert-Koch-Institut geschleudert worden. Demonstranten legten sich quer vor Polizeiwagen und nötigten Fahrgäste in der U-Bahn, ihre Masken abzunehmen. Hat sich die Szene der Verschwörungstheoretiker radikalisiert?
Jein. Einerseits sind nur noch die übrig geblieben, die besonders radikal sind. Andererseits haben die das Gefühl, es geht ihnen immer mehr an den Kragen. Es wird über neue Maßnahmen diskutiert. Die Zahlen steigen – aus ihrer Sicht aber nur angeblich, weil das ja sowieso alles Lug und Trug ist.
Das Virus Covid-19 ist unberechenbar. Das macht es für Wissenschaftler und Politiker so schwer, valide Prognosen zu treffen. Was bedeutet das für Verschwörungstheoretiker?
Das bietet ihnen ein attraktives Gegen-Narrativ. Verschwörungstheorien sind besonders beliebt bei Menschen, die Probleme mit Unsicherheit und Ambivalenz haben. Und so eine Zeit erleben wir ja gerade. Eine Verschwörungstheorie bietet eine vermeintliche Sicherheit. Sie suggeriert den Leuten, die Regierung stecke hinter der Pandemie. Das ist für viele leichter zu ertragen als die Tatsache, dass niemand dieses Virus kontrollieren kann.
Der Preis dafür ist ziemlich hoch. Das Virus treibt einen Keil in Familien. Im schlimmsten Fall werden die Betroffenen sozial isoliert. Schreckt das gar nicht ab?
Das ist natürlich eine Herausforderung. Allerdings sind die wenigsten Verschwörungstheoretiker erst durch Corona zu Verschwörungstheoretikern geworden. Die große Mehrheit hat schon vorher an Verschwörungstheorien geglaubt, aber nichts gesagt, weil sie nicht anecken wollten. Corona zwingt sie jetzt aber dazu, sich zu positionieren.
Warum?