Ukraine zeichnet Springer-Journalisten aus - „Lieber Ulf“: Orden für Hofberichterstattung

Immer dabei sein, nicht dazugehören – das war einmal die Maxime guten Journalismus. Doch die Zeiten sind vorbei. Journalismus wird zunehmend zum Aktivismus. Und das nicht nur auf linker Seite. Springer-Journalisten wurden gestern mit einem Verdienstorden der Ukraine ausgezeichnet.

Neben Paul Ronzheimer und Julian Röpcke einer der drei Ausgezeichneten: „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Ein zu Tode zitiertes Bonmot des Journalismus findet sich auf der Rückseite der Autobiografie von Hanns Joachim Friedrichs, kurz Hajo. Für die Jüngeren unter den Lesern: Der war einmal Sprecher der „Tagesthemen“ zu einer Zeit, als es weniger darum ging, Haltung zu zeigen, sondern Unabhängigkeit und fachliche Kompetenz. Das Bonmot lautet: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er Distanz zum Gegenstand seiner Betrachtung hält; dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er immer dabei ist, aber nie dazugehört.“

So ähnlich hatte das Hajo Friedrichs tatsächlich in einem Interview mit dem Spiegel kurz vor seinem Tod formuliert und ergänzt: „… nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein“. Man möchte es eigentlich über den Eingang jeder Journalistenschule meißeln.

Denn Hajo Friedrichs Motto ist aus der Mode gekommen. Begonnen hat es mit dem Haltungsjournalismus. Der hielt ab der Jahrtausendwende Einzug in deutsche Redaktionsstuben. Erst eher unauffällig, mit den Jahren aber immer deutlicher begannen sich auch Presseorgane als politische Akteure zu verstehen, die bis dato zwar einem politischen Lager zuzuordnen waren (das sind die meisten), sich aber dennoch um eine gewisse Objektivität und Sachlichkeit bemühten. Avantgarde dieses neuen Haltungsjournalismus war ausgerechnet jener öffentlich-rechtliche Rundfunk, für den besagter Hajo Friedrichs bis 1991 die „Tagesthemen“ sprach.

Einseitigkeit und undifferenzierte Parteinahme sind das neue Ideal

Spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015 gehört es endgültig zum guten Ton, sich auch noch trotzig zum Haltungsjournalismus zu bekennen – zumindest dort, wo man eher links fühlt oder denkt. Guter Journalismus sei ohne Haltung nicht zu haben, lautete nun die schneidige Formel. Journalistische Seriosität brauche auch moralische Integrität. Angesichts von Populismus, Klimakrise, Fremdenfeindlichkeit und Aluhutträgern dürfe man sich nicht mehr darauf beschränken, Neuigkeiten zu melden, sondern müsse einordnen und bewerten. Das Objektivitäts- und Neutralitätsgebot müsse infrage gestellt werden, denn Ausgewogenheit bedeute, den Falschen eine Plattform zu bieten. So in etwa die Argumentation der bekennenden Gesinnungsjournalisten.

Bis zum 24. Februar dieses Jahres konnte man die deutsche Medienlandschaft einigermaßen klar gliedern. Auf der einen Seite standen die Medien des engagierten Haltungsjournalismus, auf der anderen jene, die diesem skeptisch gegenüberstanden und auf eine möglichst nüchterne Betrachtungsweise setzen.

 

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Doch mit dem russischen Angriff auf die Ukraine endete auch das. Von heut auf morgen war branchenübergreifen Haltung gefragt. Auch Medien, die sich zuvor dezidiert für Differenziertheit, Pluralismus und kritische Distanz stark gemacht hatten, schlossen nun wacker die Reihen. Immer dabei sein, nie dazugehören? Cool bleiben, ohne kalt zu sein? Eher Fehlanzeige.

Als Sturmgeschütz des neuen Haltungsjournalismus bewährte sich insbesondere das Medienhaus Springer, allen voran die Welt. Was man dort noch kurz zuvor linken Medien vorgeworfen hatte, also Einseitigkeit und undifferenzierte Parteinahme, schien nun das neue Ideal.

Die Transformation des Journalismus zum Politaktivismus hat eine neue Ebene erreicht

Nun ist das Haus Springer ein privates Medienunternehmen und kann sich positionieren wie es will. In einer freien Medienlandschaft ist das zu begrüßen. Dennoch sollte es für seriöse private Medienunternehmen auch Grenzen der Parteinahme geben, die aus dem Gedanken der Professionalität erwachsen. Ob diese Grenzen in den letzten Monaten immer beachtet wurden, darüber kann man streiten.

Allerdings haben sich die Parteilichkeit und das martialische Säbelrasseln an der Axel-Springer-Straße durchaus gelohnt. Gestern wurde bekannt gegeben, dass Aufgrund eines Erlasses des ukrainischen Präsidenten Selenskyj drei Journalisten des Hauses Springer, zusammen mit anderen internationalen Kollegen, mit dem Verdienstorden dritter Klasse der Ukraine ausgezeichnet wurden. Ex-Botschafter Melnyk twitterte auch sofort begeistert an Welt-Chef Ulf Poschardt: „Mein herzlicher Glückwunsch zu dieser Würdigung! Du persönlich und all Deinen Kollegen bei der @welt haben einen gewichtigen Beitrag geleistet, damit die #Ampel meine Heimat – auch mit Waffen – unterstützt.“

Ein aparter Vorgang. Ein fremdes Land zeichnet Journalisten dafür aus, dass sie dazu beigetragen haben, die Regierung ihres eigenen Landes zu bedrängen und Stimmung für die eigene Sache gemacht zu haben. Peinlicher geht es kaum. Abgesehen davon, dass Ordensverleihungen an praktizierende Journalisten durch ein fremdes Land an sich problematisch sind.

Eigentlich – „nicht gemein machen mit einer Sache“ – gibt es in einer solchen Situation nur eine mögliche Reaktion: die Orden ablehnen. Umgehend. Aber bei Springer sieht man das anscheinend anders. Dort ist man stolz und bedankt sich überschwänglich. Die Transformation des Journalismus zum Politaktivismus hat eine neue Ebene erreicht. Nun auch noch dekoriert mit Lametta einer ausländischen Macht als Dank für wirkungsvolle Propaganda. Was wohl Hajo Friedrichs sagen würde?

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