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() Kerstin Kaiser
Spitzelkandidatin IM "Kathrin"

Sie verriet ihre Kommilitonen, gab intimste Details an die Staatssicherheit weiter und bettelte darum, weiterhin Spitzel sein zu dürfen. In diesem Herbst will Kerstin Kaiser Ministerpräsidentin von Brandenburg werden.

Als vor 20 Jahren die DDR zusammenbrach, hätte niemand gedacht, dass die Staatspartei SED heute noch die Geschicke der Bundesrepublik mitbestimmen würde. Die personelle, programmatische, organisatorische und finanzielle Kontinuität von der SED zur Partei DIE LINKE dokumentiert der Historiker Hubertus Knabe in seinem neuen Buch. Im Juni 2006 versuchte der Ehrenvorsitzende Modrow, auch die letzten Festlegungen zur Ausgrenzung früherer Stasi-Mitarbeiter abzuschaffen. Im Bundesvorstand der Linkspartei forderte er, auf die Offenlegung früherer Stasi-Kontakte ganz zu verzichten. Nach zweistündiger Diskussion hinter verschlossenen Türen entschied sich die Mehrheit jedoch, an dem alten Beschluss festzuhalten- ein „Kniefall vor den Medien“, wie Sarah Wagenknecht, anschließend kritisierte. In einer Entschließung bekräftigte der Parteivorstand damals, dass niemand wegen seiner Biografie diskriminiert werden dürfte. Auch die Forderung, die Möglichkeit von Stasi-Überprüfungen in Deutschland zu verlängern, lehnte er ab. So kommt es, dass vor allem im Osten Deutschlands ehemalige Stasi- Mitarbeiter bei der LINKEN überall in hohen Führungspositionen sitzen. Die Dokumente ihrer Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst füllen zahllose Aktenordner, doch weder die Partei noch die Öffentlichkeit stören sich daran. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg im September 2009 tritt DIE LINKE sogar ganz offiziell mit einer früheren Stasi-Informantin als Spitzenkandidatin an. Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Potsdamer Landtag, Kerstin Kaiser, lieferte nach ihrer Anwerbung 1979 während ihres Slawistik-Studiums in Leningrad als IM „Kathrin“ reihenweise „Einschätzungen“ über ihre Kommilitonen. Der Staatssicherheitsdienst erfuhr nicht nur, wer Westsender hörte, Kontakte zu westlichen Studenten unterhielt, „keinen gefestigten Klassenstandpunkt“ oder eine „fragwürdige Einstellung zur Partei“ hatte, sondern auch, wer sich durch „Schwatzhaftigkeit“ auszeichnete, „mehrmals in Klausuren“ abschrieb, Nickis „auf bloßer Haut“ trug oder „sexuell sehr stark bedürftig“ sei. Von der Stasi erhielt sie Dutzende Spitzelaufträge, die sie alle mit Elan ausführte. Auf der Basis eigens erstellter Notizen diktierte sie dem Führungsoffizier bei jedem Treffen mehrere Personenbeschreibungen aufs Tonband. „Der IM erschien zum Treff vorbereitet und erfüllte im Wesentlichen die gegebenen Aufträge“, heißt es lapidar in ihrer Abschlussbeurteilung. Sie selbst schrieb bei ihrer Verpflichtung: „Die Unterstützung des MfS bei der Lösung ihrer [sic!] operativen Aufgaben erfolgt meinerseits auf freiwilliger Basis.“ Wider besseren Wissens beschönigte sie ihre Denunziationen 2001 mit den Worten: „Ich habe nicht in einer Spitzelrolle gelebt und nur berichtet, was öffentlich war.“ Nur einmal war sie offenbar in Zweifel geraten, nachdem ihr frisch vermählter Mann von seinen schlechten Erfahrungen mit der Stasi erzählt hatte. Beim darauffolgenden Treff brach sie in Tränen aus und erklärte fast hellseherisch, „dass [ihr] später die Zusammenarbeit mit dem MfS zum Nachteil gereichen könne“. Doch schon im nächsten Satz bestand sie „auf einer weiteren Zusammenarbeit mit dem MfS in Leningrad und wünschte, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft nicht auf ein totes Gleis gestellt wird“. Zum Abschluss ihrer Spitzeltätigkeit bekam sie von ihrem Führungsoffizier noch eine „Schmuckdose“ im Wert von 20 Rubeln – dann kehrte sie in die DDR zurück, wo sie Mitarbeiterin der Parteischule beim ZK der SED „Karl Liebknecht“ wurde. Auch nach dem Untergang der DDR hielt Kaiser der entmachteten Diktaturpartei die Stange. Statt sich im Hintergrund zu halten, drängte sie bald in die erste Reihe. 1991 wurde sie stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende, drei Jahre später ließ sie sich in den Bundestag wählen. Dann wurde ihre Stasi-Vergangenheit bekannt, sodass sie sich gezwungen sah, auf ihr Mandat zu verzichten. „Es war noch nicht die Zeit für differenzierte öffentliche Diskussionen über dieses Thema“, sagt sie heute. Trotzdem verschweigt sie den Beinahe-Einzug in den Bundestag auf ihrer Homepage. Die Zeit des Rückzugs währte freilich nicht lange. Nachdem sie vorübergehend bei der brandenburgischen PDS-Fraktion als Mitarbeiterin Unterschlupf gefunden hatte, entsandte die Partei sie nach einer fünfjährigen Schamfrist 1998 in den Potsdamer Landtag. Gegen den Protest der CDU wurde sie dort 2001 mit den Stimmen der SPD in die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) gewählt, die die Aufsicht über den Verfassungsschutz führt. Nach der nächsten Wahl wurde sie auch Mitglied des Landtagspräsidiums, 2005, nach Biskys Wechsel in den Bundestag, zudem Fraktionsvorsitzende. Nun soll sie 2009 die Kandidatenliste der Linken anführen und, wenn es nach deren Willen geht, sogar Ministerpräsidentin werden. Ihre Kandidatur gab sie auf Bitten von Parteichef Oskar Lafontaine beim Landesparteitag im Januar 2008 allerdings erst einen Tag später als geplant bekannt; der Parteichef fürchtete negative Auswirkungen auf die zeitgleich stattfindenden Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen. Es sei „gut beobachtet“, sagte Lafontaine am Tag nach dem Doppelsieg der Linken, dass man Gegnern nicht noch die Munition liefere. „Das werden wir auch weiterhin so tun.“ Der Text ist ein Auszug aus dem Buch „Honeckers Erben“ von Hubertus Knabe, das im Propyläen Verlag erscheint. Foto: Picture Alliance

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