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Soli-Debatte - Es braucht jetzt einen „Aufbau Gesamtdeutschland“

Wolfgang Schäuble will den Soli abschaffen und ihn auf die Steuern aufschlagen. Keine schlechte Idee, denn auch im Westen verrotten langsam die Straßen. Doch die Koalition darf sich darauf nicht ausruhen: Es muss nun einen „Aufbau Gesamtdeutschland“ geben

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Dem Osten geht es gar nicht so schlecht wie immer angenommen. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) zeigte in einer Studie vor zwei Wochen, dass man genauer hinsehen muss: Berücksichtigt man nicht die Einkommen, sondern die Kaufkraft der Menschen, dann sind nicht alle neuen Bundesländer die Verlierer, sondern eher Deutschlands Großstädte. Das Wohlstandsgefälle zwischen Stadt und Land sei immens. Die Ökonomen führten das vor allem auf die stark steigenden Mieten in den Metropolen zurück.

Wer etwa die Industriebrachen und Schlaglöcher Nordrhein-Westfalens kennt, ahnt es: Auf den Soli-finanzierten „Aufbau Ost“ muss nun ein „Aufbau Gesamtdeutschland“ folgen. Mit Zuweisungen in den Osten „en bloc“ ist den wirklich armen Regionen nicht geholfen.

Denn in der IW-Studie schnitten einige ostdeutsche Länder erstaunlich gut ab. Brandenburg kann beim Kaufkraft-Vergleich nahezu mit Hamburg aufschließen. Thüringen erreichte sogar die drittniedrigste Armutsquote aller deutschen Länder.

Finanzausgleich 25 Jahre nach der deutschen Einheit neu verhandelt


Nun könnte man der IW-Studie eine politische Agenda unterstellen: Schließlich fordert das Institut bereits seit 2008 die Streichung des Solidaritätszuschlages, mit dem die deutsche Einheit finanziert wurde.

Die sehr unterschiedlichen Mietpreise und Lebenshaltungskosten erklären aber auch die von der „Bild“-Zeitung errechneten Unterschiede bei der Höhe der Hartz-IV-Sätze in Deutschland. Demnach erhält ein Arbeitsloser im thüringischen Sonneberg fast 302 Euro weniger Stütze vom Amt als ein ALG-II-Empfänger in Bonn.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schloss sich den Wünschen des IW laut der Passauer Neuen Presse an. Er regte an, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen und stattdessen auf andere Steuern aufzuschlagen. Diskutiert werden demnach etwa die Einkommen-, Körperschafts- und Kapitalertragsteuer. 2019 läuft die jetzige Soli-Regelung aus. 25 Jahre nach der deutschen Einheit verhandeln Bund und Länder über einen neuen Finanzausgleich.

Der Bund nehme derzeit rund 14 Milliarden Euro jährlich durch den Solidaritätszuschlag ein, vermeldete die Zeitung unter Berufung auf Teilnehmer der Bund-Länder-Gespräche. Bis 2020 sollen es demnach sogar 18 Milliarden Euro sein. Den „Soli“, einen 5,5-prozentigen Aufschlag auf die Steuern, zahlen alle steuerpflichtigen Bürger in Deutschland, Ost wie West, seit 1991.

Marode Infrastruktur in ganz Deutschland


Der Vorteil von Schäubles Idee: Die Bundesländer hätten auch etwas von den Steuereinnahmen. Bislang geht der Solidaritätszuschlag alleine an den Bund. Und der bereichert sich mitunter einfach an den Einnahmen. 2014 hat der Bund nach Angaben des nordrhein-westfälischen Finanzministers Norbert Walter-Borjans (SPD) nur 7,5 Milliarden an die Ost-Länder abgeführt. Rund die Hälfte des „Soli“ habe er also einfach einbehalten. Schäuble will mit seiner Idee also auch die Bundesländer locken. Nur wenn er sie überzeugen kann, wird er auch ihre Zustimmung zum Reformpaket im Bundesrat erhalten.

Schäubles Vorschlag hätte für einige Bundesländer aber auch einen Nachteil. Jene mit wenig Industrie und sehr hohen Arbeitslosenzahlen würden dadurch doppelt benachteiligt. Diese Länder würden die „Soli“-Überweisungen des Bundes verlieren, könnten die Verluste aber auch nicht durch eigene Steuereinnahmen ausgleichen. Ein großer Verlierer dieser Regelung wäre etwa das strukturschwache Mecklenburg-Vorpommern. Das Bundesland ist nicht nur bei den Einkommen, sondern auch in der Kaufpreis-Statistik des IW das ärmste.

Deswegen dürfen Zuweisungen wie der Länderfinanzausgleich, mit dem starke Bundesländer schwächere unterstützen, auf keinen Fall angetastet werden. Denn es braucht eine brennpunktorientierte Förderung. Und bundesweit: Straßenbau, Breitbandinitiative, Wirtschaftsförderung, Energiewende.

Doch dazu äußerte sich Schäuble bei der Bundestags-Haushaltsdebatte am Dienstag nicht weiter. Stattdessen bekräftigte der Finanzminister, an der „schwarzen Null“ festzuhalten. Erstmals seit 1969 will der Bund im nächsten Jahr ohne Neuverschuldung auskommen. Schäuble sagte mit Blick auf den Sparkurs in der Eurokrise, es sei wichtig, „Vertrauen“ in den Standort Deutschland zu erhalten.

Doch da kann er hoffen, wie er will: Mit einer maroden Infrastruktur wird Deutschland dieses Vertrauen ganz schnell wieder verspielen.

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