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Sexismus - Dem #aufschrei zuhören!

„Untervögelt“, seien sie, „Furien“, „Schlampen“. Was sich die Initiatorinnen des Aufschrei anhören müssen, ist happig. Ein Grund mehr, das Thema differenziert zu betrachten

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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In der Drogerie beim Kauf der Kindersonnenbrillen für den anstehenden Skiurlaub musste ich schon einen großen Batzen an Vorurteilen unterdrücken, um den Verkäufer trotz aller Zweifel zu fragen, ob er mir bei der richtigen Auswahl helfen könne. Wie erwartet, hatte der junge Mann keine Ahnung – und ich sah mein klischeebeladenes Geschlechterbild bestätigt. Hätte ich die gleiche Szene mit umgekehrter Geschlechterverteilung im Baumarkt beschrieben, nicht auszudenken, was ich mir nun in den Kommentaren unter diesem Text anhören müsste.

Soweit, so schwierig.

Die Sexismus-Debatte, die das Land seit einigen Wochen im Griff hat, ist noch längst nicht beendet. Sie köchelt weiter vor sich hin, vor einigen Tagen rief ein Interview des Bundespräsidenten Joachim Gauck die Begründerinnen des #aufschrei wieder auf den Plan. Sexismus sei ein gesellschaftliches Thema, das „unzählige Menschen“ beträfe, schrieben sie. Gauck hätte mit den Worten, er könne kein „gravierendes und flächendeckendes“ Fehlverhalten von Männern gegenüber Frauen erkennen, fehlenden Respekt beweisen.

Außerdem habe man keinesfalls eine Kollektivschuld aussprechen wollen, erklären sich die Frauen weiter. Das ist angesichts ihrer Aussage, die Masse der Einzelerlebnisse verdeutliche, „dass es sich bei Sexismus und sexuellen Übergriffen um ein kollektives Phänomen handelt“, zumindest merkwürdig. An den Haaren herbei gezogen ist auch ihr Schluss, Gauck habe die semantische Verbindung zwischen der rachsüchtigen Furie, wie sie im Deutschen des 18. Jahrhunderts aus dem lateinischen Furor von Wut und Zorn destilliert wurde, bewusst hergestellt.

Im Interview mit dem Cicero stellte sich Anna-Katharina Meßmer, Aufschrei-Initiatorin, nun den Vorwürfen. Sie gibt einen Einblick in die Lebensrealität dieser jungen Feministinnen, der dazu anhält, nicht allzu schnell zu urteilen. Meßmer und ihre Mitstreiterinnen werden im Netz mit den Worten beschimpft, sie seien „Huren, Fotzen und Schlampen, frigide und untervögelt“. Das sind andere Töne als jene, die der klassische Tageszeitungsfeuilletonist sich von seinen Lesern anhören muss. Wer sich so etwas statt sachlicher Kritik anhört, dem ist eine gewisse Aufregung durchaus zuzugestehen. Vielleicht auch, dass ihm ein Gefühl für Ironie abhandenkommt, dass Zwischentöne überhört, Humorvolles nicht wahrgenommen wird.

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Die Herausforderung der Beobachter, also auch der Medien, besteht darin, zu differenzieren. Es ist ein Anfang gemacht, der Aufschrei hat Schleusen geöffnet. Nun gilt es, die verschiedenen Ströme in die richtigen Bahnen zu lenken. Im Aufschrei-Feed findet sich etwa die Schelte auf den Waschmaschineninstallateur, der seiner Kundin riet, „beim Kauf des Abwasserschlauches einen Mann mitzunehmen, der wüsste dann schon“ und eine Patientin moniert, „dass Ärzte noch immer salbungsvoll mit Herr Doktor angesprochen werden, während die Arzthelferin als Schwester Julia“ durchgehe.  Einige Tweets weitergescrollt, schildert eine vergewaltigte Frau ihre Erfahrungen: „Noch lebe ich. Doch lebe ich wirklich? Es ist nur noch ein jämmerlicher Bruchteil dessen, was ich mal war und was ich mal hätte sein können. Da draußen gibt es Bestien. Das weiß ich jetzt. Bestien, die jede Verwundung zu ihrem Vorteil ausnutzen werden.“

Die Aufschrei-Debatte ist gut. Sie ist wichtig, sie ist relevant. Wir müssen nur aufpassen, dass nicht alle des Kaisers neue Kleider loben und übersehen, wenn er tatsächlich einmal nackig auf die Straße tritt. Denn die Wucht, mit der der Aufschrei über das Land fährt, hat offensichtlich für einige auch etwas Beängstigendes, etwas nebulös Bedrohliches. Weil sie Bestehendes kritisiert. Und das fällt nur selten von Anfang an auf dankbaren Boden. So geschehen auch in der Debatte um rassistische Ausdrücke in Kinderbüchern, die entgegen aller Vernunft auch von einem großen Teil der Nation partout nicht revidiert werden sollen.

Und so wird auch die Sexismusdebatte immer wieder auf eine Metaebene gelenkt, anstatt sich erst einmal wertfrei anzuhören, was die Betreffenden zu sagen haben. Das aber wäre der Job von Journalisten. Auch wenn Differenzierung weniger eingängig ist, das Ganze schwerer und komplizierter macht. Wischen wir uns also den Schaum vom Mund. Machen wir unsere Arbeit.

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