- Wie Union und SPD das Grundgesetz unter sich ausmachten
Das Grundgesetz widmet als erste deutsche Verfassung den Parteien einen eigenen Artikel. War so schon 1949 der Weg zum Parteienstaat vorgezeichnet? Ein Blick in die Entstehungsgeschichte der deutschen Verfassung, die von Anfang an ein großkoalitionärer Kompromiss gewesen ist.
Der demokratische Parteienstaat steht in der Kritik. Immer wieder ist in der Vergangenheit darüber spekuliert worden, ob diese Form der parteizentrierten Willensbildung überhaupt noch zeitgemäß oder möglicherweise nicht sogar mitverantwortlich für die immer wieder diagnostizierte Politikverdrossenheit ist. Der einstige Verfassungsrichter Gerhardt Leibholz lobte noch die „rationalisierte Erscheinungsform der plebiszitären Demokratie“. Doch Proporzdenken, Elitenkritik, Mitnahmementalität und ein zumindest unterstelltes Parteienkartell haben mittlerweile zu einer weitverbreiteten Skepsis gegenüber der Parteiendemokratie geführt – und das nicht nur in Deutschland. Verlieren die Parteien am Ende das Volk? Und wie könnten Alternativen zu dem seit über 75 Jahren existierenden Modell aussehen? In einer losen Serie fragt Cicero in den kommenden Wochen nach den Ursprüngen, den Beschränkungen und der Zukunft des demokratischen Parteienstaats. Den Auftakt macht der Historiker René Schlott mit einem Rückblick auf die Ursprünge der Parteiendemokratie. Er stellt die Frage, inwieweit der Nukleus der aktuellen Krise bereits in der Zusammensetzung des Parlamentarischen Rats 1948/49 angelegt ist.
Als sich der Parlamentarische Rat im September 1948 konstituierte, versammelten sich im Bonner Museum König 65 Abgeordnete von sieben politischen Parteien. Vier davon existieren auch noch ein Dreivierteljahrhundert später: CDU, CSU, SPD und FDP. Die drei anderen sind längst Geschichte: das Zentrum, die Deutsche Partei und die KPD, die 1956 als zweite und letzte Partei in der bundesrepublikanischen Geschichte vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde.
Die genaue Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung orientierte sich seinerzeit an den Wahlergebnissen der letzten Landtagswahlen in den damals elf westdeutschen Ländern. Die genaue Personalauswahl oblag aber den jeweiligen Parteiführungen. Die Landtage stimmten ohne Debatte über die Vorschlagslisten ab, wie der wohl beste Kenner der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, der Historiker Michael F. Feldkamp, in seinem letzten Buch „Adenauer, die Alliierten und das Grundgesetz“ schreibt.
Am Ende des Abstimmungsmarathons in den Landtagen, der zwischen dem 6. und 31. August 1948 stattfand, sollten im Parlamentarischen Rat die beiden Parteien mit einer komfortablen Mehrheit ausgestattet werden, die bis heute die Geschicke des Landes, derzeit in ihrer fünften gemeinsamen Koalitionsregierung, bestimmen: Union und SPD erhielten damals jeweils 27 Sitze, so dass beide zusammen über 84 Prozent aller Abgeordneten stellten und damit über weit mehr als die Zweidrittelmehrheit verfügten, die für eine Zustimmung zum Grundgesetz notwendig war. Die vier kleineren Parteien teilten die übrigen elf Sitze unter sich auf, wobei die FDP mit 5 Mandaten die Stärkste der Kleinen war, deren Stimmen am Ende aber ohnehin nicht ins Gewicht fielen. Denn die Sitzverteilung mit zwei dominierenden Parteien im Parlamentarischen Rat bedeutete, dass Union und SPD auf Gedeih und Verderb zur Entscheidungs- und Kompromissfindung verurteilt waren, weil keine der großen Parteien allein mit einer oder mehreren der kleineren Parteien auch nur in die Nähe einer Zweidrittelmehrheit kam.
Die zentrale Rolle des SPD-Politikers Carlo Schmid
Der Historiker Feldkamp weist darauf hin, dass bei konsequenter Anwendung des Verhältniswahlrechts der CDU/CSU zwei Sitze mehr zugestanden hätten als der SPD, und die Union damit eigentlich stärkste Fraktion im Parlamentarischen Rat gewesen wäre. Auch FDP (plus zwei Sitze) und KPD (plus vier Sitze) hätten von einer solchen Sitzverteilung profitiert. An der Mehrheitssituation, die nur eine mögliche „Verfassungskoalition“ zuließ, hätte sich aber nichts geändert. Die benachteiligte CDU/CSU erhielt damals zum Trost das Recht auf das Amt des Präsidenten des Parlamentarischen Rates, in das die Abgeordneten in ihrer ersten Sitzung Konrad Adenauer wählten. Die SPD ging davon aus, dass das Präsidentenamt ohnehin nur eine repräsentative Funktion hat, und erhofft sich entscheidenderen Einfluss auf den Verfassungsprozess durch die Übernahme des Vorsitzes im Hauptausschuss, für den schließlich der SPD-Mann Carlo Schmid gewählt wurde.
Schmid, der neben Adenauer und Theodor Heuß tatsächlich zu einem der einflussreichsten Gestalter des Grundgesetzes werden sollte, hatte schon am vorbereitenden Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee im Sommer 1948 teilgenommen. In der bayerischen See-Idylle hatten die versammelten Herren als Lehre aus der unmittelbar zurückliegenden Geschichte und aus dem deutschen Zivilisationsbruch nicht nur einen umfangreichen Grundrechtekatalog für die neue Verfassung vorgeschlagen, sondern erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte auch die Aufnahme eines Artikels, der sich der Rolle der politischen Parteien widmete.
Carlo Schmid sprach laut Protokoll die Parteienfrage bei den Beratungen in Bonn erneut an: „Schließlich müssen wir uns auch den Kopf darüber zerbrechen, welche Rolle den Parteien im System des Grundgesetzes zukommen soll. Auch diese Frage, die bisher kaum noch behandelt ist, gehört in den Rahmen unserer Arbeit. Soll man die Parteien in dem Grundgesetz überhaupt erwähnen? Ich würde es bedauern, täte man es nicht. […] Ich halte es für einen grundlegenden Fehler der meisten unserer Verfassungen, daß sie so tun, als seien die Parteien Erscheinungen nur so am Rande, nicht aber ausschlaggebende Faktoren unserer staatlichen Wirklichkeit. Wenn sie das aber sind und wenn sie mit Mitteln des Rechts zu definieren sind, dann sollten wir auch im Grundgesetz einiges über sie sagen.“
In den ersten Grundgesetzentwürfen sollten dieser Parteienartikel, der bereits das Verbot von Parteien vorsah, noch mit der Nummer 47 quasi unter ferner liefen im Abschnitt zum Bundestag aufgenommen werden. Zeitweilig war darüber diskutiert worden, eine zusätzliche Bestimmung aufzunehmen, die einen Einparteienstaat ausschloss: „muss sicher gesichert sein, dass sich mindestens zwei voneinander unabhängige Parteien mit eigenen Programmen und Kandidaten bewerben“. Später verständigte man sich darauf, dass die Verwendung des Plurals „Parteien“ bereits signalisiere, dass stets mehr als eine Partei existiere.
Der Parteienartikel rückte weiter nach vorn
Im Laufe der Diskussionen im Parlamentarischen Rat rückte der Parteienartikel, der auch inhaltliche und sprachliche Änderungen und Ergänzungen erfuhr, in den Verfassungsentwürfen weiter nach vorne und erhielt damit eine wesentlich stärkere Gewichtung. Am Ende wurde der Grundsatz „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“ als Artikel 21 ins Grundgesetz aufgenommen, noch vor der Bestimmung der Nationalflagge in Artikel 22. Der Parteienartikel folgt bis heute und trotz vieler anderer Änderungen des Grundgesetzes nahezu wortwörtlich in der 1949 verabschiedeten Form direkt auf den bedeutenden Artikel 20, der die fundamentalen Staatsprinzipien der Demokratie, der Republik, des Föderalismus, des Sozial- und des Rechtstaats bündelt.
Am Parteienartikel lässt sich aber sehr gut die Diskrepanz ablesen, die zwischen einer bloßen Verfassungsnorm und der gelebten Verfassungswirklichkeit besteht. Die bundesdeutschen Parteien waren zwar „wesentliche Stabilitätsvoraussetzungen für das neue parlamentarische Regierungssystem“ (Michael F. Feldkamp), „wirken“ aber heute nicht mehr nur an der politischen Willensbildung mit, nein sie dominieren sie. Und sie dominieren nicht nur die politische Willensbildung, sondern auch in Rundfunkräten, Redaktionen und Gerichten, in den Führungsetagen von Ministerien und Behörden und in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen, bis hin zur „parteipolitischen Besetzung von Grundschuldirektorenposten“, wie der Berliner Staatsrechtler Christoph Möllers beklagt. Ein Abgeordneter der CSU begründete schon 1949 seine Ablehnung des Grundgesetzentwurfes unter anderem damit, dass dieser nur einen mangelnden Schutz gegen unheilvolle Entwicklungen des Parteienwesens vorsehe.
Union und SPD setzen sich mit Staat und Demokratie gleich
In der Tat ist aus der damals angedachten lebendigen Parteiendemokratie längst ein verknöcherter, reformunfähiger Parteienstaat geworden. Und die beiden bei der Verabschiedung des Grundgesetzes noch großen Parteien sind längst zu kleinen Parteien geworden, die ihren übergreifenden Volksparteicharakter verloren haben, sich aber mit aller Macht und mithilfe vieler von ihnen durchsetzter Institutionen weiter an ihre Privilegien klammern und sich mehr und mehr als „staatsnahe Kartellparteien“ gebärden, wie die FAZ kürzlich mit Verweis auf die Parteienforscher Peter Mair und Richard S. Katz konstatierte.
Sie setzen sich einfach mit Staat und Demokratie gleich und verstehen sich nicht mehr nur als Teil des großen Ganzen. Vertreter dieser Parteien beanspruchen mehr und mehr eine Art Repräsentationsmonopol, bevormunden den im Grundgesetz festgelegten Souverän, das Volk, und maßen sich an dessen Wahlentscheidungen als „undemokratisch“ oder mit noch drastischeren Worten zu kommentieren. Man wird das Gefühl nicht los, dass der Parteienartikel bei einer Revision des Grundgesetzes heutzutage nicht mehr nur von Platz 47 auf Platz 21 vorrücken, sondern gleich an die erste Stelle der Verfassung gesetzt würde. Es ist an der Zeit die Parteien, alle Parteien, an ihren verfassungsrechtlichen Auftrag zu erinnern, der sich aus ihrer historisch einmaligen exponierten Stellung im Grundgesetz ergibt.
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Doch nun zum Thema …..,
Nach dem Beitritt war für mich jedenfalls das Parteiensystem der BRD völlig o.k. Man konnte sich offen und vorbehaltlos über die verschiedenen Ausrichtungen der Parteien unterhalten auch darüber streiten.
Das die SED Erben sich trotz mehrerer „Häutungen“ noch immer zu Parteienlandschaft der BRD gehören, ist für mich zumindest nicht nachvollziehbar…..da mein Bedarf an Linken
(hinzugekommen Grünen)
Spinnereien mein Bedart gedeckt ist.
Zum Ende der ersten Legislatur Merkels begann der von Ihr eingeleitete Prozess der völligen Entkernung der Union mit einem Ruck nach links.
Dabei einhergehen mit einer programmatischen u n d personellen Leere der Union die ihren ersten Höhepunkt die in der Flutung der Sozialsysteme durch „Asylanten“ zu sehen ist. Durch die Gleichschaltung aller Parteien + fast 100% d Medien wurde die Debatten im BT durch Merkels „alternativloser Politik zu Grabe getragen. Regierung & Opposition verschmolzen zu einer unfähigen Allianz die das Land verwaltete und von den Früchten der Agenda 2010 zehrte.
Die einzige Ausnahme, die AfD deren Patentante
Merkel mit ihrer Politik war. Mit der Flüchtlingspolitik u d inneren Sicherheit fand diese Partei den Weg zu tatsächlich konträrer Opposition zu allen restlichen deutschen Parteien zu dem sich später fast alle Politikfelder
gesellten: von Wirtschaft, bis Bildung ….
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik
Danke für Ihren Kommentar.
Danke für Ihren Kommentar.
Auch wenn es niemand im ehemaligen "Westen" hören mag, aber die Parteien Demokratie ist genau so eine volksentmachtende Parteiendiktatur wie die einstige "Diktatur des Proletariats", gebündelt in der SED und den "Blockflöten", in der DDR! Das Volk darf alle vier Jahre an die Wahlurne treten, aber egal was gewählt wird, Volkes Wille geschieht nicht! Ein Klüngel von Lobbypolitikern nennt sich selber Elite und macht dann vier Jahre was er möchte. Keine Volksentscheide, kein Vetorecht! Das einzige Mittel die Parteien in ihrem Tun zu bremsen, der Generalstreik, ist in Deutschland per Gesetzt verboten! Was ist daran demokratisch? Wo hat das Volk hier überhaupt noch ein Mitspracherecht? Der Souverän ist kalt gestellt! Ob Ampel oder GroKo, die machen was sie wollen und die Industrie-Lobbyvereine ihnen vorgeben! Das neue Wahlgesetz der Ampel, schließt die DIREKT gewählten Volksvertreter aus!? Unterschrieben vom selbsternannten Verteidiger der Demokratie aus dem Schloss Bellevue!
ehemaligen DDR…..
Allerdings mit einem meinerseits „naiven“ Einwand :
NOCH darf man davon ausgehen, das die Wahlen in der jetzigen BRD NICHT manipuliert werden, im Gegensatz zum Wähler selbst, der bei „konträrer politischen Meinung“ als Rechter, im schlimmsten Fall als Nazi“ nur beschimpft“ wird. Und das uns eine GroKo regieren kann, ist dem „Wählerwillen
Im Westteil des Landes“ geschuldet; einfach durch die zahlenmäßige unpolitische, sich mit den alten Gegebenheiten abfindenden, Mehrheit gegenüber dem Osten…… deren Ursachen eben die unterschiedlichen Sozialisierungen nach 45 mit der Bildung zweier deutscher Staaten mit links sozialistischer Diktatur und eben der freiheitlicher Ausrichtung haben.
Einfach gesagt, der Osten ist schlicht „sensibler“ bei der Eliminierung immer mehr rechtsstaatlicher Prinzipien, der Gleichschaltung von Politik & Medien und der Artikulierung der freien Meinung……
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik
Erinnerung,
denken sie mal an die Waschmittel Werbung in den 90ern, wo West Frau der Frau Ost erklärte wie sie Wäsche zu waschen hatte.
Damit ist alles gesagt, denn so funktioniert die Politik in Deutschland.
Die Krone hat Friedrich Merz aufgesetzt, indem er den Tag der deutschen Einheit in Saarbrücken abgehalten hat.
In Leipzig oder Dresden wäre es angebracht gewesen, denn dort ging das Volk unter Lebensgefahr
auf die Straße, in Saarbrücken kein einziger Rucksackfranzose.
Ich gebe Ihnen recht, ganz so dreist wie die "Genossen" geht man bei den Wahlen noch nicht vor! Aber! Die Brachialmediale-Einflussnahme ist gewaltig! Und Sie werden ja mitbekommen haben, dass sowohl bei der Wahl der Ampel, als auch der letzten Wahl Unstimmigkeiten aufgetreten sind!? Auch gegen die letzte Wahl wurde Klage eingereicht! Und wenn Sie jetzt Ihren Blick zu uns nach Berlin richten, die Wahl zum Abgeordnetenhaus musste komplett wiederholt werden, kurioser Weise der "spannendere" Teil, die Wahl zum deutschen Bundestag wurde nur in Teilen wiederholt, so das die Ampel auf gar keinen Fall abgewählt werden konnte! Ich gehe fest davon aus, dass das der Wahlausgang gewesen wäre! Da es naturgemäß sehr schwer ist, zu diesem Thema, an genaue Fakten und Zahlen zu kommen, möchte ich die Worte "Wahlmanipulation" oder gar "Wahlbetrug" vermeiden. Aber ich glaube wir müssen sehr wachsam sein, was unsere Demokratie betrifft! Nach allen Seiten! Mit freundlichen Grüßen aus Berlin
Nach meinem Gefühl sind es nicht nur die Parteien. Ja, Parteien und besonders Parteispitzen können manchmal zuviel durchsetzen, auch weil viele Posten in unseren Institutionen letztlich über die Parteien besetzt werden. Aber dann haben Parteien auch wieder Angst vor den Reaktionen von Medien, Unis, Kirchen etc. Viel indirekte Macht läuft an Unis zusammen, weil aus dem Geist, der dort herrscht, sich alle anderen rekrutieren.
Insgesamt ist es also vielleicht doch bunter verteilt? Was ich mehr sehe ist, dass trotz vieler Gruppen die beitragen, doch alle (vielleicht über den Geist an den Unis?) immer weniger kritisch sind und zu demokratischen Entscheidungen stehen, sondern feste Werte betonen: EU, Migration, Willensnation, Menschenrechte sehr weitgehend (und die Pflichten der anderen dazu?), Verfassung, Klima ... besonders auch, dass all das in den Alltag runterdekliniert wird, ohne es diskutieren zu wollen. Aber das sind nicht nur die Parteien, das ist breit verankert.
Wenn das unsere Demokratie sein soll, dann gute Nacht Deutschland.
Muß ich gesetzt solcher Tatsachen, dann eigentlich noch wählen gehen, oder haben wir faktisch die DDR 2.0 zurück, wo sich der Wille des Volkes sowieso erübrigt ???
meinen Auftrag völlig gegen meine Interessen wahrnimmt und ausführt, und das gravierend zu meinem Schaden, kann ich im normalen Leben den Auftrag sofort entziehen, und nicht erst in vier Jahren.
Man kann darüber debattieren, ob und wie es besser hätte laufen können mit der Entstehung des GG. Wir dürfen nie vergessen, dass alles von den Alliierten vorgegeben war und mit Argusaugen beobachtet und gelenkt wurde. Ich werde deshalb den Vätern und Müttern des GG nichts vorwerfen. Sie haben das beste in ihrer Zeit damals versucht aus der Situation zu machen. Nein, meine Kritik setzt ganz woanders an. Warum keine Verfassung nach Art. 146 GG, nach der Wiedervereinigung? Warum wollte man keine Verfassung vom Volk bestimmt haben? Man hätte ja vieles übernehmen können. Warum weigert man sich bis heute, intensiv politisch das öffentlich zu diskutieren? Man hat die Mängel gewusst, man hatte damals schon Angst vor dem Volk, vor den Erfahrungen unserer Landsleute aus dem Osten, die auch in unserem GG einiges hätten erkannt, was für unsere Demokratie gefährlich hätte werden können. Allein der Status der Parteien hätte geändert werden müssen. Und jetzt erklärt uns der Staat seine *Demokratie*
Im Nachwort zu seiner Autbiographie (S. 853 ff) schreibt auch zum Thema. Inhalt und Sprache sind wunderbar, deshalb will ich es auf 4 Kommentare verteilen.
"Die Handhabung der Praktiken, nach denen sich die Auswahl der Kandidaten der Parteien für die Parlamente vollzieht, macht mir Sorge.
Wird dadurch nicht der clevere Auswerter von Meinungen und der durch seine Fähigkeit zu werbendem Umgang mit der »Basis« gekennzeichnete Manager mehr gefördert als der schwerblütigere, durch unbeholfeneren Fleiß und Verstand ebenso wie durch wortscheue Redlichkeit und Hingabe an die Sache von Gleichgesinnten als »ihr Mann« akzeptierte Bürger?
Ich fürchte, daß Gestalten [wie] Wilhelm Kaisen, Fritz Ulrich, Herbert Weichmann, Paul Löbe, Jakob Kaiser, Thomas Dehler, Erich Ollenhaue, Fritz Erler [zu selten werden können]. Von ihnen war keiner in die Politik gegangen, weil ihn die Chance reizte, Macht zu gewinnen oder Karriere machen zu können; ..."
"sie kamen, weil sie darunter litten, daß die Welt, in der ihresgleichen lebte, mangelhafter eingerichtet war, als es in Anbetracht der Möglichkeiten, es besser zu machen, der Fall sein könnte, wenn nur die Menschen mehr guten Willen, mehr Verstand, mehr mitmenschliches Fühlen walten ließen.
Sie gingen in die Politik, um Wandel zu schaffen, auf daß Idee und Wirklichkeit des Menschen sich decken können.
Vielleicht wird dies wiederkommen, wenn es eines Tages mehr das Leiden an den Verwüstungen sein wird, die von der sich immer weiter steigemden Automatisierung unserer Lebensverhältnisse in die Beziehungen von Mensch zu Mensch getragen werden, was die Menschen zu politischen Aktivitäten aufruft, als die Lust, am ständigen Wachstum des technischen »Fortschritts« teilzuhaben.
Technischer Fortschritt wird nicht aufgehalten werden können und soll nicht aufgehalten werden. Er wird es möglich machen, die Zeit zu verkürzen, die allzu oft in seelenloser Arbeit verbraucht werden muß. "
"Doch diese arbeitsfreie Zeit wird nur dann nicht zu entleerter Zeit werden, wenn die Menschen imstande sind, mit ihr etwas anzufangen, das mehr ist als Konsum von Surrogaten, die ihnen erlauben, sich die Zeit zu vertreiben, und die den Menschen seiner Bestimmung ebenso entfremden wie die unbarmherzigen Mechanismen der Arbeitswelt unserer Tage.
Dieser Gefahr kann nicht anders gesteuert werden als durch Wachrufen und Ausformen der geistigen und seelischen Kräfte, die den Menschen fähig machen, mit seiner Welt fertig zu werden und sie in sich fruchtbar werden zu lassen.
So erscheinen mir heute mehr denn je Erziehung und Bildung als die Schicksalsprobleme unserer Zeit, zu deren Lösung viele zusammenwirken müssen: die Schule, die Kirchen ... und vor allem die Eltern. Diese haben es dabei am schwersten, denn die Elterngenerationen, auf die es heute ankommt, sind bei ihren Bemühungen, zu Erziehern und Menschenbildnern zu werden, in [vielen] Fällen ohne die Hilfe Kundiger geblieben."
"Was wird politisch getan werden können, damit die Kinder im Schoße seelisch gesunder Familien zu verantwortungsfreudigen Menschen heranwachsen können?
Was wird im Bereich der Schule getan werden müssen, damit die Kinder das Lernen lernen, zumal in einer Zeit, da viele von denen, die einen Beruf erlernt haben, damit zu rechnen haben, im Laufe ihres Arbeitslebens ihren Beruf wechseln zu müssen? Wird man begreifen, daß man das Lernen nur erlernt, wenn man sich früh daran gewöhnt, auch an unangenehme Aufgaben alle Mühe zu verwenden, die ihre Lösung von uns abfordert?
"
Vielen Dank für die Geduld für die schöne alte Sprache! -
und ansonsten nix für ungut.
Persönlichkeiten wie Carlo Schmid, Theodor Heuss, Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Schumacher, Thomas Dehler usw. werden wir in unseren Parlamenten in absehbarer Zeit nie mehr antreffen. Ihre Lebenserfahrung und Bildung wären in der Politik so nötig wie Wasser in der Wüste. Aber - wie gesagt - es gibt sie nicht mehr bzw. solche Menschen können bei den heutigen Parteien gar nicht mehr in führende Ämter gelangen. Sie sind viel zu ernsthaft, anständig,
prinzipientreu und verantwortungsbewußt dafür.
Stattdessen regieren uns Ideologen und/oder Karrieristen, die nur wenig können müssen, aber das besonders gut: 1. sich dem Mainstream anpassen (= Fähnlein in den Wind hängen) und 2. sich gut in den Medien "verkaufen"!
„Alle vier Jahre wählt [das Volk] den Bundestag....Man muss Parteimitglied sein, um bei dieser Wahl irgendwo mitwirken und um aufgestellt werden zu können. Auch wer Parteimitglied ist, hat als solches eine geringe Wirkung bei den Nominierungen. Entscheidend wählt die Parteienhierarchie und Bürokratie.“
Die Parteien wandeln ihren Sinn. Die Richtung der Wandlung ist diese: Sie waren gemeint als Organe des Volkes, das durch sie seinen Willen kundtut und umgekehrt wieder von ihnen politisch erzogen wird. Aber sie werden zu Organen des Staates, der nunmehr wieder als Obrigkeitsstaat die Untertanen beherrscht. Die Parteien, die keineswegs der Staat sein sollten, machen sich, entzogen dem Volksleben, selber zum Staat. Ursprünglich vielfach autonome Bildungen aus der unbegrenzten Freiheit des Volkes, werden sie in ihrem Bewusstsein zu den Machtträgern selber. Der Staat, das sind die Parteien. Die Staatsführung liegt in den Händen der Parteienoligarchie. Sie usurpiert den Staat.“
K. Jaspers1966
Angela Merkel baute ihre Position als Bundeskanzlerin zu Lasten des Parlaments in Richtung eines Präsidialsystems aus.
Äußeres Zeichen ist die anstehende Verdoppelung des ohnehin überdimensionierten Kanzleramts. Und zu einer Festung.
Aus Angst vor den eigenen Bürgern?
Unter ihr wurde das Parlament zu einem Abnickverein ihrer „alternativlosen“ Politik degradiert.
Und das haben die Parlamentarier ohne erkennbaren Widerstand hingenommen.
Die (Regierungs-)Parteien haben sich über das Auswahlverfahren aller(!) obersten Richter und Staatsanwälte, ja inzwischen auch der Verfassungsschutzpräsidenten in der Republik die Judikative dienstbar gemacht. (Iustitia ancilla).
Insbesondere das BVerfG hat deshalb erheblich an Reputation eingebüßt.
Mit dem Verlust der Gewaltenteilung schwindet nicht nur das Vertrauen in die Demokratie.
Sondern auch die 1949 verfasste Demokratie selbst.
"Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht" (Hans Herbert von Arnim)
