- Rückwärtsgang mit Ministerin Leichtgewicht
Ursula von der Leyen hat die richtige Richtung vorgegeben: Um Frauen stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren, muss die Kinderbetreuung ausgebaut werden. Mit dem geplanten Betreuungsgeld setzt Schwarz-Gelb neuerlich falsche Anreize.
Es scheint Lichtjahre her zu sein, seit ein ehemaliger Regierungschef, es war Gerhard Schröder, mit kraftmeierischen Worten klarstellte, was er von Familien- und Frauenpolitik hielt. „Frauenpolitik und so´n Gedöns“, so sprach der rote Kanzler damals mit unverhohlener Verachtung, es war 1998.
Seither hat sich einiges getan in der politischen Wahrnehmung. Inzwischen diskutiert die Republik über Gleichberechtigung im Job, über Kinderbetreuung, über Frauenquoten – wenn auch nicht immer zur Freude der Wirtschaft, so doch als Ausdruck gesellschaftlicher Vorwärtsgewandtheit. Ganz ernsthaft diskutiert man über den Nachholbedarf, den Deutschland keine Frage in einigen Bereichen hat, ganz ohne Gedöns. Ausgerechnet eine Konservative hat hierzu ihren Beitrag geleistet: Ursula von der Leyen holte, auch gegen die Widerstände in der eigenen Partei, familienrelevante Themen aus der Mauerblümchen-Ecke heraus und eroberte ihnen einen wichtigen Platz in der Politik. Aus dem lästigen Beiwerk hat sie eine ernsthafte Materie gezimmert.
[gallery:Szenen einer Ehe – Bilder aus dem schwarz-gelben Fotoalbum]
Von der Leyen begann ihre Offensive 2007: Die damalige Frauenministerin beklagte einen Mangel an Krippenplätzen – ein Mangel, der dazu beiträgt, dass Frauen in einem der reichsten Industriestaaten nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt eine untergeordnete Rolle spielen. Die dynamische CDU-Frau schaffte es, ihre Ideen auch in Gesetze umzusetzen: Ein Rechtsanspruch wurde formuliert: Danach soll jedes Kleinkind ab einem Jahr von 2013 an ein Anrecht besitzen, in einer Kita oder von einer Tagesmutter betreut zu werden. Eine Zeitenwende, auch wenn die vereinbarte Zielmarke von 35 Prozent nach wie vor illusorisch anmutet. Noch fehlen in Deutschland 250.000 Betreuungsplätze. Statt dem angepeilten Drittel sind gerade einmal 19 Prozent der Kinder in einer Tagesstätte untergebracht.
Umso unverständlicher mutet es an, dass die Bundesregierung nun neuerlich den Rückwärtsgang einlegen will. Auf Druck der CSU einigte sich die Koalition zuletzt verbindlich auf ein Betreuungsgeld, das bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben worden war. 100, ein Jahr später dann 150 Euro sollen künftig pro Kind in jene Familien gehen, die den Nachwuchs zu Hause belassen. Eine Transferleistung also dafür, damit sie eine andere staatliche Leistung, nämlich die professionelle Kinderbetreuung und -förderung in einer öffentliche Einrichtung nicht in Anspruch nehmen. Das allein ist ein absurder Ansatz.
Lesen Sie auf der nächsten Seite von der Mogelpackung Betreuungsgeld, die ein überholtes Familienbild befördert.
Derweil übt sich Familienministerin Kristina Schröder in euphemistischen Purzelbäumen: „Familien in Deutschland bekommen künftig mehr Unterstützung“, erklärte sie im Bundestag staatstragend. Hausfrauen würden nicht länger gegen berufstätige Mütter ausgespielt. Bei näherer Betrachtung aber wird klar: Die CSU-forcierte Prämie ist eine Mogelpackung. Sie löst nicht die Probleme von Frauen und Müttern, sondern befördert ein Verständnis von Familie, das längst als überholt gilt. Schließlich ist nicht die Gleichberechtigung von berufstätigen Frauen einerseits und Hausfrauen andererseits das dringliche gesellschaftliche Thema, sondern die Chancengleichheit von Frauen und Männern. Hier aber konterkariert das Betreuungsgeld eine zukunftsgerichtete Familienpolitik. Nach der richtigen Weichenstellung, dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, ist dies ein Schritt zurück in die Vergangenheit.
100 Euro ab 2013, 150 Euro ab 2014 in bar – das ist vor allem für Frauen aus sozial schwachen oder Migrantenfamilien ein willkommener Anreiz, es sich zu Hause samt der Kinderschar gemütlich zu machen. Gerade aber Kinder aus diesem Umfeld profitieren von möglichst frühen Betreuungsangeboten: Sie lernen besser Deutsch, sie erfahren soziales Verhalten, sie bekommen Entwicklungsmöglichkeiten, die ihnen zu Hause mitunter verwehrt bleiben. Gerade dem Ziel einer besseren Integration von Kindern mit fremden Wurzeln und aus bildungsfernem Milieu erweist das Betreuungsgeld damit einen Bärendienst.
Schröder argumentiert zudem, das Betreuungsgeld ermögliche Eltern eine Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Lebensmodellen. Ein Scheinargument: Die Wahlfreiheit, zu Hause zu bleiben, haben Mütter ohnehin. Heikel aber ist die Lage für Berufstätige, wenn die Betreuungsplätze nicht ausreichen. So aber geht die Ministerin den Christsozialen auf den Leim: Denn das Betreuungsgeld ermöglicht es der Seehofer-Truppe, den nach wie vor propagierten, ideologisch festgefahrenen Familienklassiker „Männer im Job, Frauen am Herd“ neuerlich nach vorne zu bringen. Während die CDU-Frauengruppe Sturm läuft gegen die rückwärtsgewandte Maßnahme, hat die zuständige Familienministerin der CSU-Restauration nichts entgegenzusetzen. Statt sich als Fachfrau vor allem für den Ausbau der Kitas stark zu machen, stützt sie das sinnlose CSU-Anliegen und verkauft es als bahnbrechenden Erfolg.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Schröder keinen inhaltlichen Kompass vermisst und Deutschland Schlusslicht in Sachen Gleichstellung ist.
Es ist nicht das erste Mal, dass Schröder einen inhaltlichen Kompass vermissen lässt. Schon bei anderen Gelegenheiten, etwa der angeblich grassierenden „Deutschenfeindlichkeit“ von Ausländern und der von ihr eingeführten Extremismusklausel, die laut Expertenmeinung die Arbeit gegen den Rechtsextremismus nachhaltig schwächt, trat die Jung-Ministerin mit fehlendem Sachverstand auf. Schröder ist ein Leichtgewicht in der Koalition. Viel Pfusch, dafür wenig Konzept, geschweige denn Visionen wie ihre Vorgängerin von der Leyen.
Dabei wäre in diesen Zeiten gerade das Familienministerium gefragt, notwendige gesellschaftliche Weichenstellungen in Angriff zu nehmen. Chronisch hinkt Deutschland im internationalen Vergleich bei der Chancengleichheit der Geschlechter hinterher. Gerade mal drei Prozent der Vorstände hierzulande sind Frauen, im Kreise der führenden Industrienationen nimmt das Land damit den letzten Platz ein – gleichauf mit Indien. Eine ausreichende Kinderbetreuung gilt als Schlüssel, um Frauen besser in die Arbeitswelt zu integrieren. Das Geld, das die Bundesregierung nun in zweifelhafte monetäre Beglückungsmaßnahmen steckt, wäre im Kita-Ausbau daher weitaus sinnvoller angelegt.
Bereits im Jahr 2002 hat der Europäische Rat in Barcelona verbindlich festgelegt: Jegliche Hemmnisse, die Frauen von einer Beteiligung am Erwerbsleben abhalten, müssen danach beseitigt werden. Ungenutzte Potenziale, – allen voran die der Frauen – sollen so besser genutzt werden, auch, um dem demographischen Wandel zu begegnen. Nicht zuletzt mit Blick auf den in Deutschland grassierenden Fachkräftemangel sollte sich auch die Bundesregierung diesen Zielen verpflichtet fühlen. Ihre erste Aufgabe muss es daher sein, die Situation für erwerbstätige Väter und Mütter weiter zu verbessern, indem sie das Betreuungsangebot ausweitet. Mit einer Heimchen-am-Herd-Philosophie kommt man da nicht weiter.
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