
- Ein Königreich für eine Revolution
Vier Tage lang durften die Reichsbürger vor dem Reichstag zum Sturm aufs Parlament aufrufen. Dann erst blies die Polizei ihre „Mahnwache für Heimat und Weltfrieden“ ab. Aber warum gab sie ihnen erst eine Bühne? Momentaufnahmen aus einem bizarren Paralleluniversum.
Noch ist alles friedlich. Die Augustsonne versinkt träge hinterm Bundeskanzleramt und kippt ihr mildes Licht auf die Wiese vor dem Reichstag, wo sich ein paar Dutzend Menschen auf Picknickdecken fläzen. Doch der Schein trügt.
„Deutschland wacht auf.“ Sagt Rüdiger Hoffmann. Nicht mehr lange, und der Protest gegen die Einschränkung der Freiheitsrechte werde so weite Kreise ziehen, dass „die“ endlich „rauskommen“ und das Gebäude dem Volk überlassen, sagt er. Hoffmann nickt mit dem Kopf in Richtung des Reichstagsgebäudes vis-à-vis. Man muss sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen.
Die Sache mit der „Plandemie“
Hoffmann steht auf einer Bühne vor dem Reichstag. Cargohose, graues Kurzarmhemd, eine Brille in einem freundlichen Gesicht. Er ist einer der bekanntesten Reichsbürger. Und er hat eine Mission. Er will das Volk von einem Regime befreien, von dem er behauptet, es sei von den Alliierten eingesetzt worden und habe null Legitimation. Aber langsam würden die Bürger merken, dass die Regierung sie betrogen habe, ruft er.
Die Pandemie sei in Wirklichkeit eine „Plandemie“. Irgendwer lacht. Müder Applaus von der Wiese. Ein Mann in Shorts und gelbem Tanktop, der in der Sonne mit seinem Klappstuhl verschmolzen ist, ruft: „Irgendwann reicht’s.“ Irgendwann? Der Atem der Veranstalter ist lang. „Wir bleiben bis zum 3. Oktober“, sagt Hoffmann nach seinem Auftritt am Donnerstag. Es sei eine „Mahnwache für Heimat und Weltfrieden“. Er hat sie ordnungsgemäß angemeldet, das hat die Polizei Berlin gegenüber Cicero bestätigt.
Hoffmann ist polizeibekannt
Das wirft Fragen auf. Denn Rüdiger Hoffmann und seine Initiative „staatenlos.info“ sind sowohl der Polizei als auch dem Verfassungsschutz bekannt. Hoffmann hatte nach der Wende als NPD-Kader einen Angriff auf ein Flüchtlingsheim organisiert. Es flogen Molotow-Cocktails. Das Gericht wertete das als Mordversuch. Hoffmann kam für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.
Seither ist der gelernte Finanzkaufmann wegen „einer Hafttraumatisierung“ verrentet. Und er hat viel Zeit, seinen persönlichen Rachefeldzug gegen den Rechtsstaat zu organisieren. In Berlin kennt man ihn schon. Seit 2013 versucht Hoffmann, eine Revolution anzuzetteln. Seither ruft er Menschen immer wieder dazu auf, sich „massenweise vor den Reichstag zu begeben, um die Räumung des Deutschen Bundestags durchzusetzen.“ Der Sturm seiner Gefolgschaft blieb bislang regelmäßig aus. Zuletzt 2019. Da versuchte er, die Gelbwesten-Bewegung für seine Ziele zu kapern.