
- Wie radikal ist die Linke?
Bei der erneuten Wahl zum Ministerpräsidenten in Thüringen stellt sich wieder einmal die Frage, ob die Linkspartei in Regierungsverantwortung gehört. Steht sie im Kreis der gemäßigten Parteien? Oder hat sie ähnlich wie die AfD radikale Elemente in ihren Reihen?
Die Hölle ist los. Seit den politischen Beben in Thüringen müssen wir alle darin schmoren. Es gibt kein Entrinnen und es ist sehr heiß. Das Feuer entfacht sich – unter anderem – an einer bestimmten Partei: Die Linke. Es geht um die Frage, ob sie in den Kreis der gemäßigten Parteien gehört, ob sie in Regierungsverantwortung kommen sollte, und darum, ob sie mit der AfD vergleichbar ist.
Die einen halten die Linkspartei für eine legitime, demokratische Partei. Die anderen nennen sie nur „die SED“. Ausgeglichene Stimmen? Selten. Gehen wir dem nach: Wie radikal sind die Genossen wirklich? Der Versuch einer Differenzierung.
Wuff, wuff!
Kennen Sie Attila, den Jack-Russell-Terrier? Es ist der Hund von Bodo Ramelow, ehemaliger – und vielleicht erneuter – Ministerpräsident in Thüringen. Ramelow spricht gerne über Attila. Der Vierbeiner hat sogar ein eigenes Profil auf Twitter. Doch Klein Attila ist nicht bloß ein Hund: Er ist ein Symbol. Er steht für die umfassende Bürgerlichkeit von Herrchen Ramelow, für den mittegewordenen Linkspolitiker in spe.
Es stimmt: Bodo Ramelow ist herrlich normal, zumindest für einen Politiker der Linkspartei. Würde man nicht ständig daran erinnert, welches Parteibuch der 64-Jährige trägt –– der politische Beobachter könnte ihn in der SPD vermuten. Ramelow steht für eine seltene Art in der Linkspartei: gemäßigt, pragmatisch. Die Art Politiker, mit der man auch mal dreißig, ja vierzig Prozent holen kann. Für seine Partei ein absurd hohes Ergebnis. Einer, neben dem sich die Bundesvorsitzende Katja Kipping gerne auf der Bühne feiern lässt, wenn es bei anderen Landtagswahlen nicht so lief.
„Kotzen ohne Ende“
Er ist auch einer der wenigen, die sich glaubhaft mit der SED-Vergangenheit ihrer Partei auseinandergesetzt haben. 1999 kandidiert Ramelow als Spitzenkandidat der PDS in Thüringen –– so hieß die Linke da noch. Damals war er erst seit vier Wochen Mitglied. Er gestand, dass er „kotzen muss ohne Ende“, wenn sich alte Genossen ihre DDR-Vergangenheit schönreden. Auch wenn ihm heute der Begriff des „Unrechtsstaates“ für die DDR nicht über Lippen kommen möchte, so gibt es wenige Genossen, die sich mehr mit dem Unrecht des sozialistischen Deutschlands auseinandergesetzt haben als Ramelow.
Zudem hat er in Thüringen eine nicht unerfolgreiche Regierung geführt. Auch wenn Rot-Rot-Grün die Mehrheit bei der Landtagswahl verloren hat: Ramelow genießt im grünen Herzen Deutschlands einen tadellosen Ruf, die Thüringer sind ihm gewogen. Diesen Ruf hat er sich ganz allein erarbeitet. Die Bundesebene seiner Partei wäre ihm da eher in die Quere gekommen.
Der Weg in die Mitte
Es gibt noch mehr Funktionäre der Linkspartei, die rationalem Denken den Vortritt lassen: Gregor Gysi ist so einer, der sich weit über Parteigrenzen mit einer klugen, unideologischen Art Freunde gemacht hat. Sahra Wagenknecht gehört dazu, die bekannt dafür ist, auch mal über Parteilinien hinauszudenken. Dietmar Bartsch darf sich dazuzählen, der kürzlich dafür plädierte, die Linke solle den Anspruch haben, eine Partei „für ganz normale Leute“ zu sein.
Ramelow, Gysi, Wagenknecht, Bartsch –– diese Leute stehen für den Weg der Linken in die Mitte der Gesellschaft, den die Partei in den letzten drei Jahrzehnten glaubhaft eingeschlagen hat. Es hat sich viel getan. Das gilt es anzuerkennen.
Sie waren nie allein
Jetzt kommt das große Aber: Die Pragmatiker waren in der Linkspartei nie allein. Längst haben sich die Verhältnisse gewandelt: Der Richtungskampf zugunsten der Ideologen und Postmodernen ist seit Jahren gewonnen. Spätestens mit der Wahl der Bundesvorsitzenden Katja Kipping vor acht Jahren. Kipping rang lange mit Sahra Wagenknecht, Vertreterin des Realo-Flügels der Linken und bis 2019 Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Kipping gewann, Wagenknecht gehört nunmehr zur zweiten Garde.