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Sexismus-Debatte - Rainer Brüderle rettet die FDP

Lange stritt die FDP nur über ihr Abrutschen in den Umfragewerten. Richten die Medien im Wahlkampf ihr Augenmerk nur noch auf den „spitzen Kandidaten“, hilft dies der FDP. Rainer Brüderle wird zum heldenhaften Parteiknappen

Autoreninfo

Helmut Däuble, Jahrgang 1961, lehrt als Akademischer Oberrat Politikwissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg

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Auf den ersten Blick scheint es klar zu sein: Die FDP hat einen so genannten Spitzenkandidaten, der – ähnlich wie Steinbrück, aber aus ganz anderen Gründen – kaum im Amt und schon ein Stück weit beschädigt ist. Ob er das wirklich ist und ob diese „Brüderle-Affäre“ wirklich schädlich ist für die FDP, sollte nicht voreilig entschieden werden. Die folgende, natürlich völlig frei erfundene Geschichte, könnte uns nachdenklich werden lassen.

Ein angejahrter Parteisoldat, dem der Ruf eines weinseligen, etwas altbackenen, hin und wieder leicht trotteligen, aber teddybärlieben Zeitgenossen vorauseilt, sieht das Elend seiner Partei, deren Niedergang in allen Umfragen ersichtlich ist. Er fragt sich, wie er persönlich – gerade in Zeiten, in denen er eine herausragende Rolle in seiner Partei spielen soll – gegensteuern kann. Klug und altersweise wie er ist, kommt er auf einen höllischen, aber genialen Plan. Mit Hilfe einer jungen und aufstrebenden Journalistin will dieser durchaus gewiefte Stratege seiner Partei Auftrieb geben. Der Jungschreiberin kommt es durchaus gelegen, ihren eigenen paradiesischen Namen bekannter zu machen und ihren im Abstieg begriffenen Arbeitgeber für eine geraume Zeit wieder in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit zu rücken.

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Die strebsame Pressefrau – so die Absprache – würde mehr oder minder direkt behaupten, er sei ein alter, geiler Sack, der nichts anderes zu tun hat, als ihr ins Dekolleté zu schielen und dessen anzügliche Bemerkungen genau das bestätigen, was man von solchen ansonsten freundlichen und jovialen Grauköpfen immer schon befürchtet hat, dass sie sich nämlich – ganz wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde – kurz vor Mitternacht unter Alkoholeinfluss in überdreiste Womanizer verwandelten, denen keine schlüpfrige Bemerkung peinlich genug sein kann.

Er würde dazu nichts sagen. Kein Wort. Informiert sind wenige Mitstreiter aus der eigenen Partei. Einer aus dem Norden der Republik, eine Ministerkollegin und nur wenige sonst. Selbst der Vorsitzende soll nicht eingeweiht werden. Was dann käme, wäre klar. Eine Debatte über sexuelle Belästigungen würde anheben und der Graukopf für klare Positionierungen sorgen: Die einen würden ihm vorwerfen, er wäre ein typisches Beispiel dafür, dass Männer in Machtpositionen solche Schweinereien gleichsam täglich begingen, die anderen würden ihn verteidigen und die Angelegenheit als Petitesse abtun. Die Feuilletons und Talkshows wären glücklich. Endlich wieder Lagerbildungen, endlich wieder parteiübergreifende Kontroversen, endlich wieder Leben in der Bude. Er würde konsequent schweigen und damit natürlich in Kauf nehmen, ja hoffen, dass die Debatte in Teilen zu einer Schmutzkampagne gegen ihn werden würde. Denn genau dann würde der Plan aufgehen.

Unzählige der – das weiß er genau – vielen stillen Beobachter würden sich mit ihm solidarisieren. Wie kann man ein solches, bestenfalls geringfügig unangemessenes Verhalten, das darüber hinaus auch noch verjährt ist, so überaus heftig kritisieren? Man solle die Kirche im Dorf lassen, würde seine Kollegin ausführen. Die Sache müsse man mehr als eine Art Kompliment für die Journalistin verstehen. Der Freund aus dem hohen Norden würde ihn als Opfer der Medien darstellen, das Ganze gar als Hinrichtung eines Unschuldigen. Handele es sich dabei doch um eine abgeschmackte Verschwörung von üblen Verleumdern, die nichts anderes als das Ende eines honorigen Politikers, ja der besagten Partei erreichen wollten. Und das nur, weil ein Mann sich traute, ein paar – ja, schon – derbe Schmeicheleien zu machen. Viele würden dem im Stillen zustimmen.

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Und für den Fall, dass sich diese Wortgefechte über Wochen und Monate hinzögen, wüchse sicherlich die Gruppe der lautlosen Sympathisanten. Und ja, wenn dann die Wahl im Herbst käme, wo es darauf ankommt, weil doch jetzt jeder für sich selbst kämpfen müsste, dann würden einige dieser Stummen, die sicherlich die schweigende Mehrheit ausmachten, aus reiner Sympathie für den Rechtschaffenen bzw. für dessen Partei stimmen. Ein, zwei Prozent. Mehr sollte man nicht erwarten, das könnte reichen. Aber in diesen Zeiten, so ist sich der heldenhafte Parteiknappe sicher, muss jeder alles in seinen Kräften stehende tun, um die Partei zu retten. Auch unter persönlichen Opfern. Dass seine eigene Reputation dabei dauerhaft beschädigt sein könnte, wäre ein vergleichsweise kleiner Obolus. Wenn es nur seine Partei dafür ins Parlament schafft. Kein Preis wäre dafür zu hoch: Süß ist es, für die Vaterpartei die eigene Ehre zu lassen.

Natürlich ist dem ganz und gar nicht so. Rein fiktive Verschwörungstheorie. Selbstverständlich würde Rainer Brüderle nicht auf eine solch perfide Idee kommen, eine höchst notwendige Debatte über alltägliche sexuelle Belästigung für solch niedere Ziele zu instrumentalisieren.

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Leider muss man allerdings zugestehen, dass ein solcher Plan durchaus Chancen hätte, in puncto Wählerstimmenmehrung aufzugehen. Erstaunlicherweise nämlich ist die unbeabsichtigte Nebenwirkung, die sich aus dieser Debatte ergibt, exakt diese: Sie wird der FDP behilflich sein und Auftrieb geben, zugleich und gerade deswegen aber notwendige Analysen des Schrumpfprozesses hintanstellen. Welche Analysen müssten vertieft werden und warum hilft die aktuelle Brüderle-Sexismus-Debatte der FDP?

Über die Gründe des Down-Sizing einer Partei, die noch bei der Bundestagswahl nahezu 15 Prozent erhielt, zu einer Kleinstpartei, wird heftig gestritten. Manche finden eine Erklärung darin, dass eine Klientel-Partei, die vorwiegend SUV-Fahrern, Zahnärzten und Hotelbesitzern gewogenen ist, nicht genügend „liefern“ konnte, als sie an die Regierung kam.

Andere dagegen sehen das Kernproblem in der personellen Substanzlosigkeit. Ihr Argument ist, dass Brüderle und Rösler kein geeignetes Führungspersonal für eine Partei von selbst ernannten Alpha-Tierchen hergäben. Dies wäre so offensichtlich, dass es keiner weiteren Begründung bedarf. Man müsse es nur aussprechen und alle könnten sehen: Die beiden Kaiser sind nackt. Lindner und Bahr wären da von ganz anderem Kaliber.

Dritte wiederum erklären sich den Niedergang als Folgewirkung einer Guidomobil-Spaß-Partei. Deren inhaltliche Substanz – Wachstum über alles, Vorfahrt für Leistungsträger – sei nichts anderes als ein in Zeiten des sich verschärfenden Klimawandels unsinniges, wenn nicht gar gefährlich gewordenes Paradigma. Erklärte Verächter einer solch puristischen Mehr-Netto-vom-Brutto-Partei höhnen und spotten dazu nur: Die gesunkene Anzahl der Sympathisanten einer Partei, die männliche wie weibliche Ellbogentypen zu den Leitfiguren der Gesellschaft machen will, sei ein Indiz für einen gewachsenen Zivilisationsgrad der deutschen Gesellschaft.

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Eine letzte Gruppe sieht die Ursache des Verfalls in der innerparteilichen Entwicklung der FDP. Warum, so fragen sie, habe eine in unserem Parteienspektrum dringend notwendige, breit aufgestellte liberale Partei ihren sozialliberalen Flügel, der zwar in Person von beispielsweise Burkhard Hirsch und Gerhart Baum immer noch in marginalisierter Weise vorhanden ist, so radikal abschneiden und entsorgen können? Warum habe sich der wirtschaftsliberale Teil der Partei im Laufe der vergangenen Jahrzehnte so verdrängerisch aufblähen können? Warum, kurz gesagt, sei die FDP in die Neoliberalismusfalle gegangen, die ihr jetzt in Zeiten der Krise als sinkende Zustimmung um die Ohren geschlagen werde?

Wer auch immer bei diesen Analysen Recht haben mag, sie werden durch die Debatte über Brüderles Fehl- oder Nicht-Fehlverhalten nicht intensiv genug fortgeführt werden können. Und zwar deshalb nicht, weil eine Wende in den Sonntagsumfragen zugunsten der FDP den notwendigen Druck wegnehmen würde. Und ein solcher Rückenwind könnte sich leicht aus der Brüderle-Himmelreich-Debatte ergeben: Wird das mediale Augenmerk im Vorwahlkampf der nächsten Monate nämlich nur auf den „spitzen Kandidaten“ gerichtet, hilft dies paradoxerweise der FDP: Männer und Frauen, die an seinem Verhalten nichts Anstößiges erkennen können, werden im Zweifelsfalle eher für denn gegen ihn und damit die FDP stimmen. Es wird empirisch schwer nachweisbar sein, aber es liegt auf der Hand, dass eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Wählern sich emotional auf die Seite von Brüderle schlagen wird. Und es ist anzunehmen, dass das mehr sein werden als die Kernwähler der FDP, die sich von ihm abwenden.

Sollten die Vorwürfe andauern, dann wäre es also nur konsequent, wenn diese affektive Zustimmung in steigende Umfragwerte und letztlich in mehr Wählerstimmen für die FDP mündeten. Viele Wähler würden das als einen Akt der Kompensation für eine ungerechte Verunglimpfung betrachten. Dies ließe wiederum einen Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde wahrscheinlicher werden.

Die FDP ist im Übrigen gerade dabei, diesen Zusammenhang zu verstehen. Und verständlicherweise würde keiner aus der Partei je zugeben, dass ihr kaum etwas Besseres passieren könnte. Allerdings wäre das Ergebnis ein Pyrrhus-Sieg: Es mag zwar sein, dass dieser Effekt die FDP noch einmal retten könnte, aber der Preis, den sie dafür längerfristig bezahlen müsste, wäre wohl sehr hoch. Denn die Chance zu verpassen, sich den Ursachen des Ausblutens zu stellen, wird längerfristig die Partei in ihrem Bestand in Gänze gefährden.

Gerade, wer sich also eine FDP wünscht, die längerfristig wieder stärker aufgestellt ist, am besten auf zwei Beinen, einem wirtschaftsliberalen und einem bürgerrechtlichen, der muss ihr eine Auszeit wünschen. Egal, ob dies als inner- oder außerparlamentarische Opposition geschieht. Es ist aber zu befürchten, dass die Medien, die beim Spitzenkandidaten Blut geleckt haben, ihn in den nächsten Monaten wieder und wieder als „Herrenwitz-Bruder“ angehen werden. Sie werden dabei der FDP auf den ersten Blick Aufwind verschaffen. Auf die Dauer be-, bzw. verhindern sie aber eine dringend notwendige Aufarbeitung darüber, welche Triebfedern den Abstieg verursacht haben. Keine schönen Aussichten für die FDP.

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