Duz-Kampagne des Verteidigungsministeriums. Bild: picture alliance

Regierung verwendet das „Du“ - Eine Respektlosigkeit gegenüber dem Bürger

Deutsche Staatsbürger und Flüchtlinge werden von der Regierung in Ansprachen und Kampagnen geduzt. Die Kanzlerin und ihre Minister zeigen dabei, dass sie die Kunst von Nähe und Distanz nicht mehr beherrschen. Die Leute werden verkindlicht

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Scholz, Claudia

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Ein bisschen verdutzt müssen die Teilnehmer der diesjährigen Digitalkonferenz „Republica“ in Berlin bestimmt gewesen sein, als Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles sie ganz ungeniert während einer Diskussion über Coworking-Spaces in der zweiten Person Plural ansprach: „Ich vermute mal, ihr arbeitet dann in Räumen, die ihr irgendwie angemietet habt“, sagte die Arbeitsministerin zu den Bloggern. Das „Du“ verfing jedoch nicht. Die Teilnehmer blieben gegenüber der Ministerin – wie es sich gehört –  beim „Sie“.

Rekrutierung mit Kumpelsprüchen


Nicht immer kann sich der Bürger dem Duzen der Regierung so gut entziehen wie die Blogger bei Nahles, oft stehen sie ihm willenlos gegenüber. Von gleich mehreren Ministerien müssen sich die Deutschen das „Du“ wie Kleinkinder gefallen lassen. Sigmar Gabriels neue Kampagne des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie titelt „Digitalisierung und Du“. Was so klingt wie ein Internet-Anfängerkurs für Achtjährige, ist tatsächlich eine ernst gemeinte Ansprache an alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik, nicht nur die minderjährigen. Genauso kindlich wirkt die Kampagne des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: „Du bist die Stadt“.

Auch in Ursula von der Leyens aktuellen Kampagnen ist das „Sie“ verschwunden. Der Werbespruch des Verteidigungsministeriums heißt „Mach, was wirklich zählt“, und: „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“. Ob das der antiautoritäre Erziehungsansatz der Verteidigungsministerin ist, soll hier zweitrangig sein. Vielmehr wundert man sich, warum Frau von der Leyen ihre potenziellen neuen Soldaten, an die sich ja die Werbung richtet, duzt?

Schließlich werden junge Erwachsene doch schon in der Schule von ihren Lehrern gesiezt. Und: Nach geltender Auffassung ist „Sie“ eine Anrede, auf die jeder Volljährige ein Recht beanspruchen kann. Man siezt sich im Deutschen, wenn nicht besondere Umstände vorliegen wie etwa Verwandtschaft, Verabredung des „Du“ oder Mitgliedschaft in einer Partei.

Ein „So-tun-als-wär-man-befreundet“ mit den Bürgern


Tatsächlich ist das Duzen jedoch allgegenwärtig geworden. Ganze Firmen zwingen ihre Mitarbeiter zum „Du“, auf Partys wird man von wildfremden Leuten in der zweiten Person Singular angeredet, selbst von Bausparkassen wird man geduzt. „Das Zeitgefühl der Gegenwart prämiert Lässigkeit als Haltung“, schrieb der Soziologe Tilman Allert. Die allgemeine ästhetische Devise der „Zwanglosigkeit“ und des unkomplizierten Miteinanders sei längst in praktische Formlosigkeit umgeschlagen.

Für die Minister gehört es anscheinend nun dazu, am Duz-Ritual der Gesellschaft aktiv teilzunehmen. Sie greifen ohne Bedenken den juvenilen Jargon aus der Facebook- und Startup-Welt auf, in der traditionelle Anreden und Manieren als abgestanden und altbacken wirken. Ihr „So-tun-als-wär-man-befreundet“ mit den Bürgern zeugt dabei aber nur von Stillosigkeit.

Denn auch wenn das Siezen von vielen als angestaubt wahrgenommen wird, für genauso viele ist es immer noch wichtig. Es zeugt von Respekt und produziert keine unnötige Scheinharmonie. Zu allen höheren verantwortungsvollen Tätigkeiten gehört das Siezen dazu, weil es die Würde der Teilnehmer wahrt. Da ähneln sich Management und Politik sehr. Jemanden vor die Tür zu setzen oder abzukanzeln, fällt deutlich schwerer, wenn man ihn siezt.

Die Politiker haben aber heute den Ehrgeiz, nicht die respektierten und distanzierten Lenker des Staates zu sein, sondern die besten Freunde der Bürger. Indem sie das Volk duzen, wollen sie es für ihre Sache vereinnahmen und Intimität vorgaukeln, wo keine da ist. Gingen Politiker à la Helmut Kohl und Helmut Schmidt früher auf Distanz zu Medien und Volk, glauben die heutigen Amtsinhaber auf Schmusekurs mit den Bürgern gehen zu müssen. Was sie dabei scheinbar vergessen: Der Bürger wählt sie nicht, um neue Kumpels zu gewinnen. Er möchte Regierende, die für ihn das Gemeinwesen betreffende Entscheidungen stellvertretend übernehmen. Die ihn aber gleichzeitig auch als erwachsenen Bürger respektieren und so ansprechen.

Merkel duzt die Flüchtlinge


Die wenigsten Politiker der Regierung beherrschen noch die Kunst von Nähe und Distanz. Angela Merkel war mit ihren überzutraulichen Selfies mit Flüchtlingen und Schülern dabei das denkbar schlechteste Vorbild für ihre Minister, weil sie die Grenzen von Nähe und Distanz gänzlich glatt bügelte.

Als Merkel auch noch die Flüchtlinge im Januar dieses Jahres bei einer Ansprache auf dem Landesparteitag der CDU in Mecklenburg-Vorpommern duzte, glaubte man seinen Ohren nicht zu trauen: „Wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist und wenn der IS im Irak besiegt ist, dass ihr auch wieder, mit dem Wissen, das ihr jetzt bei uns bekommen habt, in eure Heimat zurückgeht.“ So holprig wie der Satzbau waren auch die Umgangsformen der Kanzlerin gegenüber den Flüchtlingen. Schon vergangenen November hatte sie bei einem „Bürgerdialog“ in Nürnberg gemahnt, den Zufluchtsuchenden solle vom ersten Tag an deutlich gemacht werden, „ihr seid willkommen, aber das ist an Regeln gebunden”.

Das klang nicht so, als würde die Kanzlerin hier mit Erwachsenen reden, die sie respektiert. Sondern mit Kleinkindern, zu denen sie herabschaut.

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