Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture-alliance

Personalisierung im Wahlkampf - Köpfe vor Inhalt?

Merkels Bayreuth-Outfit und Steinbrücks tränenreicher Auftritt beim Parteikonvent scheinen präsenter zu sein als konkrete Inhalte und programmatische Aussagen. Stehen für die Wähler tatsächlich unpolitische Merkmale im Vordergrund, oder spiegeln uns die Medien das nur vor?

Autoreninfo

Studiert Politikwissenschaften in Hamburg und hat unter anderem für die Süddeutsche Zeitung geschrieben.

So erreichen Sie Julia Berghofer:

Sie wirkt heute noch mächtiger und unantastbarer als vor vier Jahren: Angela Merkel steht allseits im Mittelpunkt, agiert seelenruhig, ist auf ein Podest betoniert, von dem sie so leicht keiner stürzen kann. Omnipräsent ist sie, die Mutti, wie sie mit ehrfurchtsvoller Zutraulichkeit genannt wird, solide und integer. Ihre stoische Gelassenheit versinnbildlicht einen Politikstil, der bezeichnend geworden ist für die CDU,  so als würde die Partei in erster Linie von ihrer Kanzlerin leben und nicht von konkreten Inhalten.

Soweit das Bild, das durch die Medien kursiert. Peer Steinbrück, als Negativpart dieses antagonistischen Couples, bekommt man in der Regel mit missmutigem Gesichtsausdruck serviert, mit bedenklich hängenden Mundwinkeln und angriffslustig gestikulierend. Wenn er nicht gerade mit blinder Treffsicherheit den falschen Ton anschlägt, oder sich in einem dilettantischen Versuch ergeht, seine Kontrahentin zu entthronen, dann weint er. Auch das ein Bild, das sich in den Köpfen manifestiert hat und auf das sich die Medien landauf, landab mit unverhohlenem Entzücken gestürzt haben. Aber geht es wirklich nur noch um einzelne Figuren und darum, wie sie sich öffentlich präsentieren?

[[nid:55315]]

In der Wahlforschung ist man sich bei diesem Thema uneins. Ursula Münch, die Leiterin der Akademie für Politische Bidung in Tutzing, gehört zu denjenigen, die sich dem Postulat der zunehmenden Personalisierung entgegenstellen. „Es hat sich, ehrlich gesagt, nichts geändert“, sagt sie. Das Thema tauche in regelmäßigen Abständen immer dann auf, wenn wieder einmal die Frage drängt, warum sich der Wähler für die Partei X entscheidet. Dass in den letzten Jahren einzelne Kandidaten für die Wahlentscheidung ausschlaggebend geworden sind, sei jedoch eine „verzerrte Wahrnehmung“, eine medial generierte Illusion. Weder seien die Parteien zu einem Vehikel der Kandidaten verkommen, noch stünden für den Wähler die unpolitischen Merkmale der Kandidaten im Vordergrund, betont Münch.

 

 

Ähnlicher Meinung ist auch Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim. Wahlkämpfe, die auf eine zentrale Person zugeschnitten sind, habe es schon immer gegeben, sagt er. Man erinnere sich nur an Willy Brandt in den 60er und 70er Jahren oder an Konrad Adenauer, den die CDU in den 50ern in den Mittelpunkt ihrer Kampagnen rückte. Ebenso Gerhard Schröder als Paradebeispiel für  hochpersonalisierte, privat wirkende TV-Auftritte. Der Grund für diese Selbstdarstellung ist einfach: „Kandidaten verleihen dem Programm ihrer Partei Gesicht und Stimme“, erklärt Brettschneider. Das heißt aber weder, dass der Kandidat wichtiger ist als seine Partei, noch, dass unpolitische Merkmale der Kandidaten ausschlaggebend sind für die Wahl. Auch wenn man beim gemeinsamen Grillabend herrlich über Merkels Hosenanzüge debattieren oder sich über Steinbrücks Gefühlsausbruch im Fernsehen auslassen kann – spätestens in der Wahlkabine käme es nicht mehr primär auf den Sympathiefaktor an, sondern auf Integrität und Themenkompetenz.

Den Einfluss der Medien darf man dennoch nicht unterschätzen. Sie beeinflussen signifikant, welche Themen einer Partei gerade prominent sind. „Jene Themen, über die unmittelbar vor der Wahl häufig berichtet wird, werden dann auch von vielen Wählerinnen und Wählern als wichtig und relevant eingestuft“, sagt Brettschneider. Wenn also kurz vor der Bundestagswahl über Umweltthemen oder den Veggie-Day berichtet wird, nützt das den Grünen, wenn soziale Gerechtigkeit zur Debatte steht, freut sich die SPD und Wirtschaftsthemen helfen der CDU auf die Sprünge.

Thomas Poguntke von der Universität Düsseldorf schätzt die Situation etwas differenzierter ein. Zwar habe es mediale Inszenierung von Personen in der Geschichte der Bundesrepublik immer gegeben, dennoch sei die Lage heute anders. „In der Politik gab es schon immer starke Persönlichkeiten, heute ist die Parteipolitik aber noch mehr auf sie angewiesen“. Nicht die Medien oder die Wähler fordern starke Persönlichkeiten, in erster Linie glauben die Parteien selbst an ihre Zugpferde. Weil die traditionelle Parteibindung erodiert, ist es für die Parteien sicherer, nicht nur Inhalte zu präsentieren, sondern vor allem Charismatiker. Gleichzeitig, so Poguntke, dürfe man die Fähigkeiten der meisten Wähler, sich mit komplexen Themen detailliert auseinanderzusetzen, nicht überschätzen. Dominante politische Figuren dienen daher der Komplexitätsreduktion, das klappt bei der CDU momentan vorbildlich.

 

Ideal ist eine Konstellation aber erst dann, wenn der Kandidat das Programm seiner Partei glaubwürdig verkörpert, da sind sich Poguntke und Brettschneider wieder einig. Merkel steht synonym für die Ziele der CDU, die SPD dagegen ist mit dem hausinternen Zugpferd  nicht immer auf einer Wellenlänge. „Bei Steinbrück musste die SPD schnell handeln“, erklärt Poguntke das Dilemma, „als alter Schröderiander passt er nicht zum relativ linken Parteiprogramm“. Die Grünen konnten mit Joschka Fischer solch einen Coup landen, bei  dem das „Paket passt“, die Piraten wiederum sind ein Gegenbeispiel dafür, dass man sich mit schlechter Personalpolitik ganz schnell ins Abseits manövriert.  Dennoch: „Es lässt sich nicht wissenschaftlich zweifelsfrei nachweisen, ob die Wähler ihre Entscheidung heute stärker aufgrund von Personen treffen und ob  sich der Stellenwert von Themen verändert hat“, sagt Poguntke.

Kein Wunder, ist doch der moderne Wähler ohnehin vor allem eines: unberechenbar. Die hohe Volatilität ist ein weiteres Kuriosum, das sich in den letzten Jahren breit gemacht hat und gerne mit Personalisierungs- oder Entpolitisierungskonzepten in Zusammenhang gebracht wird. Hier würde theoretisch Poguntkes Rechnung aufgehen: je nachdem, welche Zugpferd gerade attraktiver erscheint, entscheidet der Wähler von Fall zu Fall und von Wahl zu Wahl. Ursula Münch hält das für zu kurz gegriffen. Dass der treue Stammwähler mittlerweile zur Ausnahmeerscheinung geworden ist, begründet sie damit, dass sich eben in allen gesellschaftlichen Bereichen das Bewusstsein einer „Multi-Options-Gesellschaft“ etabliert hat. Wir schöpfen aus einem immensen Kontingent an Möglichkeiten, können uns jeden Tag neu orientieren, in allen gesellschaftlichen Bereichen. Analog dazu das Wahlverhalten: ein Thema, das mir heute als wichtig erscheint, kann morgen schon wieder völlig irrelevant sein.

Die Uneinigkeit in der Forschung spiegelt indes das wider, was sich momentan vor unseren Augen abspielt: jede Partei probiert eine eigene Strategie, manche aus Überzeugung, manche aus dem situativen Zwang heraus. Merkel als Person hat bei den Bürgern ein gutes Standing, kann aber, sollte sich die SPD in den kommenden Wochen thematisch doch noch einordnen, durchaus an der eigenen Unentschlossenheit scheitern.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.