Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Der Fast-Food-Kandidat

Kanzlerkandidat - Peer Steinbrück und die Resterampe SPD

Noch nie in der jungen Geschichte moderner Wahlkämpfe hat eine Partei so liederlich ihren Kandidaten auf den Thron gehoben wie derzeit die SPD Peer Steinbrück. Ein Kommentar

Eine Partei ist auch eine Marke und ein Kanzlerkandidat auch ein Markenartikel. Aus diesem Blickwinkel hat die SPD in den vergangenen beiden Wochen alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Sie hat ihrem Kandidaten Peer Steinbrück den Rucksack nicht abgenommen, wo es ging, sondern ihn schwerer gemacht.

Es fing an mit einer Nominierung im Schweinsgalopp. Man muss nicht gleich wie seinerzeit Steve Jobs die Präsentation jedes neue I-Phones mit einer Art säkularer Messe begleiten. Aber es ist auch nicht dienlich, eines Freitags hoppla hopp eine Pressekonferenz einzuberufen, aus der die drei Akteure aus allen Ecken der Republik nach Berlin eilen müssen, um gewissermaßen verschwitzt, mit hängender Zunge und schief sitzenden Schlipsen zu verkünden: Der macht‘s. Der Steinbrück macht‘s. [gallery:20 Gründe, warum Peer Steinbrück Kanzler werden muss]

Genau das aber war geschehen an jenem Freitag vor zweieinhalb Wochen. Der Nachrichtendruck hatte – nicht zuletzt dank Cicero – enorm zugenommen, daraufhin schwätzte Frank-Walter Steinmeier am Donnerstagabend mit Journalisten über seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur. Der düpierte Parteichef Sigmar Gabriel blies, um das Heft des Handelns nicht ganz aus den Händen zu verlieren, kurzfristig einen Bayern-Besuch ab, düste nach Berlin, umrahmte sich mit seinen beiden Troika-Genossen und rief Steinbrück zum Kanzlerkandidaten aus. Eine Kandidatenkür als Fast-Food-Veranstaltung.

Das allein verletzte schon alle Grundregeln des Polit-Marketing. Aber es kam noch schlimmer. Erstens offenbarte Gabriel bei dieser Gelegenheit, dass er für sich schon lange entschieden hatte, nicht anzutreten. Das strafte alles Reden der Troika in den vergangenen Monaten mit einem Streich und auf offener Bühne Lügen. Denn so tapfer wie wahrheitswidrig wurde stets behauptet, dass noch nichts entschieden sei.

Zweitens deutete bei dieser Veranstaltung der zweite Redner, Steinmeier, schon an, dass er auch eigentlich gar nicht mehr Kanzler werden wolle. Dann durfte schließlich als dritter und letzter Peer Steinbrück erklären, warum er sich auf seine neue Aufgabe freue.

Der Beste soll es machen – das muss die Melodie sein, die eine Partei singt, wenn sie ihren Kanzlerkandidaten auf den Schild hebt. Bei der SPD klingt die Melodie anders. Der eine will schon lange nicht mehr, der andere will nach Rücksprache mit seiner Frau auch nicht, also macht es der letzte Verbliebene. Das ist nicht das Exzellenz-Prinzip, sondern Resterampe.

Nächste Seite: Bei dem einen Fehler blieb es nicht

Dieser kapitale Fehler, der mehr ist als ein Schönheitsfehler, mag zunächst im Affekt und unter dem Druck der Ereignisse und der Cicero-Veröffentlichung begangen worden sein. Aber es blieb nicht dabei. Frank-Walter Steinmeier, eigentlich ein besonnener Politiker, sah sich veranlasst, am Wochenende drauf in einer großen Boulevardzeitung noch einmal ganz detailliert auszubreiten, warum er nicht wollte und welche Rolle bei der Entscheidung gegen eine Kandidatur seine Familie sowie vor allem seine Frau spielten.

Natürlich rühmte Steinmeier auch brav den Kandidaten, aber stehen bleibt von diesem Auftritt in der BamS die Schlagzeile: „Warum ich nicht wollte – das exklusive Interview“.

Noch nie in der jungen Geschichte moderner Wahlkämpfe ist eine Partei so liederlich mit ihrem Kandidaten umgegangen. Und selbst der knallharte Konkurrenzkampf um die Kandidatur zwischen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder seinerzeit in den Jahren 1997 und 1998 ist nicht so schief gelaufen wie diese Kür von Steinbrück. Erst schafften es Lafontaine und Schröder, ihr Duell spannend medial zu präsentieren und zugleich spielerisch, obwohl es einen knallharten Kern hatte. Anschließend brachte Lafontaine die enorme Kraft und Disziplin auf, den Sieg des Konkurrenten zu akzeptieren und sich voll in den Dienst des Wahlkampfes zu stellen. Diese Kräfte der Selbstbeherrschung verließen ihn erst, als der Wahlsieg schon eingefahren war.

Der strukturelle Unterschied zu heute ist: Schröder und Lafontaine wollten beide unbedingt Kandidat und unbedingt Kanzler werden. Diesmal wollten zwei in Wahrheit nicht. Doch statt sich nun mit aller Kraft in den Dienst des frisch gekürten SPD-Kanzlerkandidaten zu stellen, sind bereits jetzt alle damit beschäftigt, ihre Positionen für die Zeit nach der (verlorenen) Wahl zu sichern.

Peer Steinbrück ist nicht zu beneiden.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.