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Peer Steinbrück - Die „rotzige westdeutsche Art“

Peer Steinbrück hat sich von seiner besten ungeschickten Seite gezeigt, als er die mangelnde Europa-Begeisterung von Kanzlerin Merkel mit ihrer DDR-Herkunft begründete. Darüber scheint man sich bei der SPD und den Grünen einig zu sein. Nur öffentlich zugeben will das im Wahlkampf freilich kaum jemand

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich leicht, dass Kanzlerkandidat Steinbrück Unfug geredet hat. Das sagen sie so sogar bei der SPD und den Grünen. „Schwachsinn“, „dämlich“, „peinlich“, diese Wörter fielen bei Rot-Grün während der vergangen Woche zu Hauf - nur eben nicht öffentlich. Nach außen wird laut geschwiegen oder mäßig elegant erklärt. Aber es gibt auch Verstöße gegen das unausgesprochene Stillhalteabkommen.

Steinbrück selbst hat versucht, sich zu relativieren. Er hatte der Bundeskanzlerin ja mangelnde Europa-Begeisterung vorgeworfen, welche er mit ihrer ostdeutschen Herkunft begründete. Nun sagte er zum SPD-Wahlkampfauftakt Ost, damit habe er nicht alle Ostdeutschen in einen Topf werfen wollen. Er hätte ja nur gefragt, warum die Kanzlerin nie eine leidenschaftliche Europa-Rede gehalten habe.

Worüber hat Merkel überhaupt je auffallend leidenschaftliche Reden gehalten? Oder sind Erweckungsauftritte gar nicht ihre Art? Liegt vielleicht doch alles mehr in ihrer Persönlichkeit begründet als in der DDR-„Sozialisation“?

Steinbrück wusste es offenbar besser, als es heute wirkt. Nur vier Wochen zuvor hatte die „Zeit“ ihn gefragt, ob Merkels DDR-Biografie ein Thema im Wahlkampf sei. Steinbrück hat darauf zwar weder mit Ja noch mit Nein geantwortet und auch ohne zu begründen gesagt, „man merkt ihr an, dass sie im Osten groß geworden ist“.

Dann jedoch fügte er hinzu, was ihm sicher Ärger erspart hätte, wenn er diesen Rat nur selbst befolgt hätte: „Es ist ein heikles Thema, in die Vergangenheit von jemandem einzusteigen, der ganz anderen Verhältnissen ausgesetzt war als man selbst. Ich bin sehr zurückhaltend, das zu beurteilen.“

Drei Sätze weiter sagt der Kanzleranwärter dem Blatt Helmut Schmidts: „Viele haben ihre Erfahrungen gemacht mit dieser westdeutschen, etwas rotzigen Art: `Das war doch alles Schrott bei euch, und wir wissen, wo es längs geht.´“ Das ist eine erstaunlich kluge Erkenntnis für jemanden, der vier Wochen später selbst zu holzen scheint nach rotziger westdeutscher Art.

Ost und West - das hat bisher noch in jedem Bundestags-Wahlkampf eine Rolle gespielt. Vor der Wende wurden die Systeme verglichen: „Freiheit statt Sozialismus“ war so ein typischer Slogan. Nach der Wende ging es um „blühende Landschaften“, „rote Socken“, „Jammerossis“ und „Besserwessis“. Für Kanzler und vor allem für Kanzlerkandidaten galt Ostdeutschland als heißes Pflaster. Von Lafontaine bis Stoiber haben sie sich dort die Flügel verbrannt.

Nun bekommt es auch Steinbrück Feuer zu spüren. Gregor Gysi gibt sofort den Anwalt Ostdeutschlands. Er sieht in Steinbrücks Aussage „den Beweis, dass er vom Osten keine Ahnung zu hat“. Was so nicht stimmt. Steinbrück war zwar nie DDR-Bürger, aber hat einst als „Bürger in der DDR“ gelebt. 1980 war er beschäftigt an der „Ständigen Vertretung“ der Bundesrepublik. Er hatte Residenzpflicht in Ost-Berlin, ein Jahr lang konnte er als Diplomat weitgehend ungehindert durch die ganze DDR reisen.

 

Steinbrück für einen deutsch-deutschen Ahnungslosen zu halten, ist also falsch. Es geht hierbei auch im Kern gar nicht um Ost und West. Steinbrück hat sich in etwas hineingeredet, dass ihn auf einem ganz anderen Gebiet als ignorant erscheinen lässt.

„Die Herkunft zu thematisieren, das ist mehr als peinlich“, findet Philipp Rösler – der das wegen seines Aussehens in der eigenen Partei erfahren hat, und rät, „solche Beleidigungen sollte man lieber lassen“. Doch Steinbrück bleibt dabei, auch wenn er inzwischen ganz Ostdeutschland zur Heldenregion erklärt hat. Nur eben bei Merkel müsse die Frage doch erlaubt sein…

Herkunft küchenpsychologisch zu thematisieren gilt in anderen Konstellationen als ethnisierend, was früher rassistisch hieß. Was wäre los, wenn die Kanzlerin gesagt hätte: Dass Cem Özdemir nicht leidenschaftlich genug für die Griechenland-Rettung eintritt, das mag wohl an seinen türkischen Wurzeln liegen. Da hätte es ihr auch nicht mehr geholfen, nachzuschieben: „Das werfe ich ihm doch gar nicht vor, er konnte sich seine Eltern ja nicht aussuchen.“

Die Grünen wären zu Recht empört. Steinbrück jedoch behandeln sie milde. Jürgen Trittin macht es noch ganz geschickt, indem er Merkels Europapolitik ebenfalls als schlecht bewertet, aber klar sagt, dass das nicht an ihrem früheren Leben in der DDR liege. Andere führende Grüne trauen sich nicht einmal so weit – aus Korpsgeist im Bunde mit der SPD.

Besonders quälend mag das für ostdeutsche Grüne sein wie etwa die Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Sie schont Steinbrück sichtlich. Steffi Lemke, die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, macht sogar sein Spiel ein Stück weit mit. Sie stellt ihre eigene DDR-Vergangenheit in Kontrast zu der Merkels. Lemke hat die Grünen im Osten mitgegründet, hat für Freiheit und damit für Europas Werte mutig gekämpft. Heute aber scheint sie nichts gegen Steinbrücks Ausrutscher sagen zu wollen. Weil sie sich als Wahlkampfmanagerin dem gemeinsamen Ziel Rot-Grün besonders verpflichtet fühlt.

Eine Ausnahme unter den prominenten Ost-Grünen aber gibt es. Steinbrück hat bei Werner Schulz einen empfindlichen Nerv getroffen, in einer Wunde, in der über Jahre schon Joschka Fischer bei ihm herumgebohrt hat. Schulz wehrt sich seit der Wende gegen westdeutsche Überheblichkeit an politischem Fortschrittsglauben. Tönte Fischer vom Mut der 68er, hielt Schulz für Angeberei West und giftete: „Unser 68 war Prag – da waren Mutige auf der Straße.“

Steinbrück hat nun für seine Merkel-Europa-Äußerung von Schulz, der die Grünen im EU-Parlament vertritt, im ZDF Klartext zu hören bekommen: „Ich glaube, dass jemand, der sich so äußert, nicht geeignet ist als Bundeskanzler für Gesamtdeutschland.“ Das mag etwas zu klare Kante sein. Denn auch Schulz weiß, dass Steinbrück es besser weiß.

„Neue Impulse für Ostdeutschland“ war der SPD-Wahlkampfauftakt Ost in Halle überschrieben, auf dem sich Steinbrück am Samstag bei den ostdeutschen Landsleuten wieder einzuschmeicheln versuchte. Eine „Region tüchtiger und zupackender Menschen“ sei der Osten. Benachteiligungen, sollte das wohl heißen, auch bei künftigen EU-Enthusiasmus-Analysen, hätten sie nicht verdient. Und über die Einkommen Ost und West stellte Steinbrück fest, was mancher in der SPD auch über die Umfragewerte des Kanzlerkandidaten denkt: „Der Rückstand ist skandalös stabil.“

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