Scholz bei RTL - Der Kanzler spricht mit Bürgern und sagt (fast) nichts

Olaf Scholz setzt sich mit Bürgern vor die RTL-Kamera und simuliert den zuhörenden und antwortenden Kanzler. Tatsächlich bleibt er der Fachmann fürs Scholzen: Man erfährt so gut wie nichts von ihm und seiner Politik. Außer einer seltsamen Definition von Volkspartei.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Sendung „RTL Direkt Spezial“ / dpa
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Vier Bürger sitzen mit am Tisch, gemeinsam mit dem Bundeskanzler und Moderatorin Pinar Atalay in dieser Spezialausgabe von RTL Direkt: ein Zerspanungsmechaniker und vierfacher Vater ist dabei, der kaum über die Runden kommt, eine 81-jährige pensionierte Lehrerin und Klimaaktivistin, eine Landrätin aus Nordhessen und ein Schmelzer aus Eisenhüttenstadt. Dass die Klimaschutzbewegung in deutschen Fernsehen nie fehlen darf, ist bekannt. Aber die deutsche Arbeiterschaft und traditionelle SPD-Wählerschaft war wohl seit Jahrzehnten nicht mehr medial derart überrepräsentiert. 

Dass Olaf Scholz sich ein solches Format nun schon zum zweiten Mal (der Schmelzer war schon vor einem Jahr mit von der Partie) antut, nur wenige Tage nach dem denkwürdigen Auftritt in Falkensee, wo er als Kriegstreiber laut beschimpft wurde, soll wohl ein Signal sein. Nämlich dass er die Begegnung mit seinem unzufriedenen Volk nicht scheut. Wobei die von Fernsehredaktionen eingeladenen Bürger bei RTL wie auch in anderen Formaten wohl kaum zu den wirklich wütenden, tendenziell AfD-wählenden gehören, sondern zu den sehr gemäßigt nicht ganz und gar begeisterten.

Frech steigt Atalay ein: Mit wem sie rede, fragt sie Scholz, einem „neuen Kanzler on fire“ oder „einem, der was wegscholzt“? Scholz wird später noch mehrfach für sich in Anspruch nehmen, stets alle Fragen zu beantworten. Aber schon in seinem ersten Satz tut er das wohl nicht ganz ehrlich, wenn er behauptet: „Ich weiß gar nicht, was wegscholzen ist.“ Vielleicht hätte er, um glaubwürdiger zu sein, einfach behaupten sollen, er könne sich nicht mehr daran erinnern, das Verb irgendwo einmal gelesen zu haben. Wenige Sätze später zeigt er dann jedenfalls, wie Wegscholzen funktioniert, indem er, angesprochen auf das Umfragehoch der AfD und das Tief seiner eigenen SPD, sagt: „Ich bin ganz sicher, dass die SPD wie bei der letzten Bundestagswahl auch bei der nächsten gut abschneiden wird und ein Regierungsmandat bekommt, so wie die gesamte Regierung. Aber die Voraussetzung ist, dass man gute Arbeit macht.“

Die Unzufriedenheit der Bevölkerung scheint ihn nicht zu jucken

Was dieses Adjektiv „gut“ denn für ihn bedeute, hätte man gerne näher erläutert gehört, aber Atalay zeigte lieber eine Umfrage-Grafik, wonach 64 Prozent der Befragten mit der Arbeit von Scholz nicht zufrieden sind. Hat er da nicht irgendwas falsch gemacht? Wieder scholzt Scholz, spricht von der Corona-Krise, dem sozialen Zusammenhalt, den „wir“ in dieser Krise ermöglicht haben (als ob es keine Impfkampagnen und keine Querdenker-Proteste gegeben hätte), dem Ukraine-Krieg und davon, dass die Regierung verhindert habe, dass es im Winter kalt wird. Aus dem Scholzschen übersetzt heißt das: Nein, alles richtig gemacht. „Und deshalb gilt genau die Antwort, die ich eben gegeben habe.“ Scholz ist wie der redensartliche Ochse, dem man ins Horn petzt: Es juckt ihn nicht.

Die 81-jährige Klimaaktivistin gibt sich empört über Scholz’ harsche Worte – „bekloppt“ – gegen die „Letzte Generation“ (zu der ein Enkel der Frau offenbar gehört) und stellt ihm dann die Lieblingsfrage deutscher Journalisten: „Was sind Sie bereit, für mehr Klimagerechtigkeit zu tun?“ Scholz nimmt nichts zurück. Die Klebeaktionen regten nur alle auf und brächten nichts für den Klimaschutz. Allen nach dem Mund reden will er nicht, sondern „deutlich machen, was wir tun“: Bis 2045 als eine der größten Industrienationen CO2-neutral zu werden, sei „etwas, das noch nie gemacht wurde“. Vergleichbar allenfalls mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. „Das machen wir jetzt einmal alles neu in Deutschland. Das ist ’ne große Aufgabe.“ Und darum fordert er von denjenigen, die Klimaschutz unterstützen, sich daruf einzulassen und – endlich kommt Scholz’ Lieblingsvokabel seit Regierungsantritt – „sich unterhaken“ (plus Geste mit den Armen).

Antworten, die keine sind

„Das muss man sich leisten können“, sagt der vierfache Vater neben Scholz. „Wir bauen gerade die Wirtschaft ab mit den abgeschalteten AKWs ... Mein Gefühl ist, dass die Wirtschaft eher kaputtgeht.“ Im Einspieler sagt er: „Herr Scholz, Ihr Wahlversprechen war, Arbeit muss sich wieder lohnen, wann halten Sie Ihr Versprechen?“

Scholz bedankt sich – grinsend, wie nur Scholz grinsen kann – „für die Arbeit, die Sie jeden Tag leisten“. Das klingt so, als hielte er es selbst für eine selten gewordene Heldentat. Scholz rühmt sich der Anhebung des Mindestlohns, Kindergeld, Wohngeld. Das seien Tropfen auf den heißen Stein, sagt der Vater, das Leben an sich sei so teuer geworden, dass man „sich nichts mehr leisten“ könne.

Hier wird Scholz also mit der ganz realen Verarmung konfrontiert, die die Inflation bedeutet. Und mit dem Zorn derjenigen, die arbeiten, statt den Sozialstaat zu beanspruchen: „Ich muss mir Gedanken machen, ob ich 40 Stunden in der Woche investiere, oder ob ich mir diese 40 Stunden in der Woche spare und das Bürgergeld beantrage. Das kann doch nicht sein, dass eine Familie mit drei, vier Kindern im Vergleich mit einer anderen Familie, die Bürgergeld bezieht, unterm Strich nur zwei- oder dreihundert Euro mehr hat.“

Scholz versucht zu beschwichtigen: „Auf alle Fälle ist es so, dass alle, die arbeiten, mehr Geld haben, als die, die nicht arbeiten. Und das finde ich auch richtig so.“ Erstaunlich, dass Scholz diese Feststellung und den Nachsatz für notwendig hält. Aber er sagt eben nicht, was der Fragesteller hören wollte: dass dieser Abstand größer werden müsse.

Scholz rühmt sich der „paar hundert Milliarden zusätzlicher Schulden“ für die Senkung des Energiepreises. Dass Staatsschulden ein zentraler, wenn nicht der wichtigste Inflationstreiber sind, erwähnte er nicht.

Die Landrätin fragt Scholz, wann der Bund dafür sorge, dass sie den Flüchtlingen in ihrem Landkreis endlich „eine gute Bleibeperspektive und Integration ermöglichen können“. Wieder zählt Scholz Zahlen auf, nennt die Milliardenzahlungen aus dem Bund an die Länder. Ist das eine Antwort?

Der Schmelzer stellt eine viel weiter blickende Frage als die Landrätin. Er und die Menschen, mit denen er spreche, seien sehr unzufrieden und fragten sich: „Mit den Flüchtlingen, wie weit soll das noch gehen? Irgendwo sind ja auch Grenzen. Das Geld muss ja auch erwirtschaftet werden.“ Eine Frage, die sich sicherlich Millionen Menschen in diesem Land stellen und die ohne Zweifel viel mit der Unzufriedenheit und Angst vieler Büger und den hohen Umfragewerten der AfD zu tun hat. Doch Scholz scholzt sie weg, lässt sie unbeantwortet. Sagt stattdessen: „Das macht mir Sorgen. Ich bin eigentlich überzeugt, dass wir eine stabile Demokratie haben. Aber es kommt eben gerade ganz viel zusammen.“ Die Inflation sei eine „ganz große Herausforderung“, deswegen werde man „strikt dagegen vorgehen“, sagt er, ohne zu erläutern, was man tun werde. Das dürfe „nicht außer Kontrolle geraten ... Aber wir haben den Eindruck, dass wir das auch schaffen werden.“ Die Frage, auf die das eine Antwort sein konnte, wurde nicht gestellt.

 

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Atalay fragt nicht nach, was Scholz gegen die Inflation tue, will lieber über die AfD sprechen. Wenn die SPD eine Volkspartei sei, dann sei die AfD, die in den Umfragen etwa gleichauf liege, doch auch eine Volkspartei. Nun steigt Scholz zum ersten Mal in dieser Sendung ganz kurz aus dem Scholzen aus. Zum ersten Mal sagt er etwas Unlangweiliges, indem er seine eigene Definition des Begriffes Volkspartei liefert: „Volkspartei ist eine Frage der inneren Einstellung, ob man viel zusammenführen oder eher spalten will. Dann glaube ich mal, ist die AfD mehr auf der Seite Spalten und die Probleme eher auf ein Auseinandergehen hin zu betrachten. Ich glaube, wir müssen alles tun, dass wir zusammenhalten.“

Mit bisherigen, landläufigen Definitionen einer Volkspartei hat das wenig zu tun. Die beziehen sich eher darauf, dass solche Parteien schichtenübergreifend wählbar sein wollen. Außerdem fragt man sich, wie er diesen Anspruch des Zusammenhaltens mit den zuvor gezeigten Umfrageergebnissen in Einklang bringen kann. 

Scholz simuliert den Kommunikator

Doch Scholz interessierte bei diesem Auftritt mehr, seine Botschaft des Zuhör-und-Antwort-Kanzlers anzubringen: „Auf eines können sich alle verlassen: Ich zähle nicht zu jenen, die sich wegducken, wegdrücken, sondern ich beantworte die Fragen, was wir tun können.“ Das sagt der Kanzler, nachdem er mehr als eine halbe Stunde lang kaum anderes mitzuteilen hatte als das Versprechen, gut zu arbeiten.

Der vierfache Vater nimmt den Kanzler beim Wort und fragt wieder: „Wann wird sich denn Arbeit wieder lohnen für uns?“ Scholz lässt jetzt ein wenig Ungeduld durchblicken. Dem Mann, der ganz konkret geschildert hatte, dass er seine Kinder oft enttäuschen muss und trotz 40 Stunden Arbeit nur wenig mehr verdiene, als er an Bürgergeld bekäme, will Scholz weismachen, dass er einen „gutbezahlten Beruf“ habe. In weniger verscholzten Worten bedeutet das wohl: Begnüge dich, mehr gibt es halt nicht. Für Scholz-Verhältnisse ist das eine relativ große Offenheit.

Atalay konfrontiert den Kanzler gegen Ende noch mit einer Forsa-Umfrage, wonach nur 15 Prozent finden, dass Scholz seine Politik genug erkläre. Scholz versucht, den Spieß umzudrehen gegen die Medien: „Der Teil, in dem man die Politik erklärt, ist möglicherweise der Teil der Erklärung, der nicht gesendet wird.“ Das sagt er wohlgemerkt in einer ganz um ihn herum konzipierten Sendung, die ihm jede Möglichkeit bietet, Klartext zu sprechen.

Scholz scholzte weiter und versprach nochmals: „Ich beantworte alle Fragen“ und: „Jeder hat eine Antwort verdient und kriegt sie auch.“ Als ob er dem Zerspanungstechniker und Familienvater direkt neben ihm wenige Minuten zuvor nicht gerade eine klare Antwort vorenthalten hätte.

Scholz hat an diesem Abend den Kommunikator nur simuliert. Tatsächlich ist man auch nach dieser Sendung kein bisschen schlauer darüber geworden, was Scholz denn nun eigentlich will, was also (seine) „gute Arbeit“ ist, die für Zusammenhalt sorgen soll – und für seine Wiederwahl. 

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