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Sebastian Edathy - Der ewige Inder

Bereits im Oktober 2013 wusste der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich, dass Sebastian Edathy im Rahmen von Ermittlungen im Ausland aufgetaucht war. Edathy, der bereits sein Bundestagsmandat aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt hat, ist mit dem Vorwurf konfrontiert, kinderpornografisches Material zu besitzen. Wer ist Edathy, der Ex-Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses?

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Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

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Der Vorsitzende ist müde. Er hat kaum geschlafen, nächtelang Akten gelesen. Aber Sebastian Edathy muss wach bleiben. Denn er leitet den parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der klären soll, warum eine rechtsextreme Mörderbande, die sich hochtrabend Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nannte, zehn Jahre lang unbehelligt durch die Republik fahren und Ausländer erschießen konnte. Draußen schwimmen Touristenschiffe auf der Spree am Reichstag vorbei. Die Sonne scheint, die Gäste an Bord sind fröhlich. Drinnen ist es heiß. Edathy hat das Jackett ausgezogen, als Einziger. Er hält sich dadurch wach, dass er ständig die Position ändert: mal vorgebeugt, mal zurückgelehnt, den Kopf mal links, mal rechts aufgestützt und zwischendurch in beiden Händen vergraben, als könne er nicht glauben, was er hört.

Es ist ja auch unglaublich, was Heinz Fromm, der scheidende Präsident des Kölner Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), erzählt. Nichts haben sie gewusst in seiner Behörde: nichts von den Kontakten ihrer Länderkollegen in die rechtsradikale Szene, nichts von den Berichten der V‑Leute, nichts vom NSU. Die wenigen Akten, die sie hatten, wurden auch noch geschreddert, einen Tag nachdem das Trio aufflog. Unfassbar! Es riecht nach Verschwörung, Vertuschung und Staatsaffäre, nach Vorsatz und Komplott. Edathy will das nicht ausschließen. Aber er hat einen anderen Verdacht: Die Unfähigkeit der Sicherheitsbehörden, die Morde als rassistisch motiviert einzuschätzen, könnte damit zu tun haben, dass die meisten Menschen hierzulande zwar wissen, wo Rassismus endet, nicht aber, wo er beginnt.

Zum Beispiel bei einer so harmlos klingenden Zeile über den „schwarzen Präsidenten Obama“ oder den „indischstämmigen Vorsitzenden“ Edathy. Ja, sein Vater war Inder und seine Mutter Deutsche. Aber: „Was macht mich, der ich hier geboren wurde, ‚indischstämmig‘? Was macht einen Präsidenten der USA, der Eltern unterschiedlicher Hautfarbe hatte, zu einem ‚Schwarzen‘“? Seine Antwort: „Der Mangel an Reflexion. Und die Tatsache, dass es heute immer noch nicht ungewöhnlich ist, Menschen aufgrund ihrer phänotypischen Erscheinung zu sortieren.“ Die „Banalität des Rassismus“ hat dies der Migrationsforscher Mark Terkessidis genannt.

Er kennt das, seit er denken kann. Seine Mitschüler wurden nie gefragt, wo sie herkämen – er jedoch ständig. Nie vergisst er, wie seine Mutter – er war damals sechs Jahre alt – auf einem Spielplatz von der Mutter eines anderen Kindes gefragt wurde, wo sie denn ihr süßes Kind adoptiert habe. Schon damals habe er es „irgendwie ungerecht gefunden“, wie ein Fremder behandelt zu werden. Selbst im Bundestag passiert das: Der Saaldiener, der ihn nicht in den Sitzungssaal lassen, sondern auf die Diplomatentribüne geleiten will. Die Kollegen, die ihn auf einer EU‑Konferenz in Wien mit der Bemerkung empfangen: „Oh, der Türkisch-Dolmetscher ist ja auch schon da.“ Oder der Genosse Ortwin Runde, damals Hamburger Bürgermeister, der ihn auf einer Reise in die Hamburger Partnerstadt St. Petersburg auf Englisch begrüßte: „Nice to meet you.“ Edathy entgegnete: „Wir können auch Deutsch reden, Ortwin.“ Kann so einer, der selbst so oft mit der Banalität des ganz alltäglichen Rassismus konfrontiert wurde, die schlimmsten rassistischen Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik aufklären? Ist er unbefangen und neutral genug, einen solchen Ausschuss zu leiten?

Edathy kennt die Fragen. Sie werden sich häufen, je konkreter der Ausschuss nicht nur das Versagen der Sicherheitsbehörden, sondern auch Fehlentscheidungen von Politikern untersucht. Spätestens am 28. September wird es zum Eklat kommen, wenn der hessische Ministerpräsident ­Volker Bouffier als Zeuge auftritt. Denn er wird dem Ausschuss erklären müssen, warum er sich im Jahr 2006 nach der Ermordung des Türken Halit Yozgat in Kassel damals noch als hessischer Innenminister weigerte, verdächtige V‑Leute des hessischen Verfassungsschutzes durch seine und die bayerische Polizei vernehmen zu lassen. Nach dem Motto: Quellenschutz geht immer vor – auch vor Mordaufklärung. Edathy findet das skandalös: „Da ist die Strafverfolgung eindeutig behindert worden“, erklärte er im Fernsehen. Seitdem fordern hessische CDU- und FDP-Politiker seinen Rücktritt. Ein Vorsitzender müsse sich wie ein Richter zurückhalten und dürfe nicht vorschnell urteilen.

Edathy ist aber kein Richter. Er ist noch nicht einmal Jurist, sondern Soziologe. Auch als Vorsitzender bleibt er Politiker. Und wenn es um rassistische Gewalt geht, ist er Partei. „Ich arbeite mit Leidenschaft an der Aufklärung“, sagt Edathy. „Aber ich werde mich von den Leiden der Opfer nicht überwältigen lassen.“

Das Porträt erschien in der Augustausgabe des Cicero von 2012 und wurde am 14.02.2014 aktualisiert.

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