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NSA-Affäre - Angela Merkel fühlt sich behandelt wie ein Taliban

Dass die NSA möglicherweise Merkel bespitzelt, erzürnt die deutsche und europäische Politik. Was folgt daraus?

Autoreninfo

Christian Tretbar ist stellvertretender Redaktionsleiter des Tagesspiegels Online. Er arbeitet außerdem in der Berliner Parlamentsredaktion der Zeitung.

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Es ist kurz nach ein Uhr am Freitagmorgen, als die deutsche Kanzlerin den Saal 20.4 im zweiten Stock des Brüsseler Ratsgebäudes betritt. Kurz zuvor hat ein Mitarbeiter des Bundespresseamtes wie üblich darauf hingewiesen, die Mobiltelefone während der Pressekonferenz doch bitte auszuschalten oder zumindest leise zu stellen. Der britische Kollege des „Economist“ scherzt für alle hörbar: „Sie wissen aber, dass das nichts bringt?“

Was wirklich gegen das vermutete Abhören von Handys helfen soll, will die deutsche Regierungschefin nun berichten. Sie hat eine lange Diskussion mit Europas Staatenlenkern hinter sich, die noch zwölf Stunden zuvor gar nicht auf der Tagesordnung stand ist.

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Sie hat berichtet, was sie über die Abhöraktionen wissen. „Die Kollegen waren alle entsetzt über das, was passiert ist“, sagt Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker später: „Mit einer geordneten Partnerschaft hat das nichts mehr gemein.“ Und so gedeiht in dieser Nacht das erste zarte Pflänzlein europäischer Gegenwehr – in Form einer Erklärung.

Wie gibt sich Angela Merkel?

Merkel machte in Brüssel klar, dass sie in Sachen NSA eine Grenze überschritten sieht, obwohl es „nicht vordergründig um mich“ geht, wie sie schon am Vortag betont hat: „Für die Zukunft muss etwas verändert werden, und zwar gravierend.“ Für ihre Verhältnisse hält Merkel fast eine Wutrede. Die Transatlantikpartnerschaft sei „keine Einbahnstraße“, schließlich würden auch „die Amerikaner Freunde brauchen auf der Welt“. Und die Beziehung, sagt Merkel, ohne ob ihrer Enttäuschung die Stimme zu heben, sei nun großen „Erschütterungen“ ausgesetzt. In einer Mischung aus Nüchternheit und Pathos setzt sie hinzu: Wer zusammen Soldaten nach Afghanistan schicke, „die manchmal auch in den gleichen Gefechten sterben“, und Werte teile, der wolle wissen, „dass man nicht Gegenstand von bestimmten Überwachungen ist wie andere, die nichts Gutes mit diesem Wertesystem im Sinn haben.“ Auf einer Stufe mit den Taliban also fühlt sich die Kanzlerin. Das schmerzt.

Was planen die Europäer konkret?

Im Nebenzimmer redet der Mann, mit dem sie die Reaktion der Europäer abgestimmt hat. Francois Hollande, der daheim in Frankreich eben lesen musste, dass 70,3 Millionen Telefonate abgehört wurden, ist so froh, dass es wieder ein gemeinsames deutsch-französische Anliegen gibt, dass er ständig die „gute Zusammenarbeit mit Frau Merkel“ betont. Gemeinsam hat man zu Beginn des Abendessens den Kollegen die Vorschläge unterbreitet.

Eine nach den ersten Enthüllungen des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowdon eingerichtete Arbeitsgruppe soll „reaktiviert“ werden, wie Hollande sagt. Den bisherigen Erkenntnisgewinn bezeichnet die EU-Kommission nämlich als „unzureichend“. Der französische Staatschef formuliert die Erwartungen klar: „Wir wollen von den Amerikanern das haben, was die Presse bereits hat.“ Bis Jahresende wollen Deutschland und Frankreich mit den USA Regeln der künftigen Geheimdienstarbeit festlegen. Die anderen EU-Staaten können sich dann den Abkommen anschließen. Es gehe um „minimale Umgangsformen“, sagt Luxemburgs Juncker. „Wenn wieder nichts passiert, treffen wir weitere Entscheidungen“, droht Hollande, „aber da sind wir noch nicht.“

Merkel etwa hat „Verständnis“ für die Forderung, das Swift-Abkommen über den Austausch von Kontodaten zur Terrorabwehr auszusetzen. Davon, die Freihandelsgespräche mit den USA auf Eis zu legen, hält sie dagegen nichts. „Wer rausgeht, muss auch wissen, wie er wieder reinkommt.“ Diese Bedenken sind teils dem Briten David Cameron geschuldet, dessen Geheimdienst GCHQ die europäischen Partner genauso bespitzelt. Ihm ist zu verdanken, dass die Wortwahl abgeschwächt und die umkämpfte EU-Datenschutzreform nicht beschleunigt, sondern auf Anfang 2015 vertagt wird. Ein glaubwürdiger Kampf für mehr Privatsphäre ist das nicht.

Welche Rolle spielt die US-Botschaft bei der Bespitzelung Merkels?

Der angebliche Lauschangriff gegen Merkel soll laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ möglicherweise von der amerikanischen Botschaft gesteuert worden sein. Dieser Verdacht ergebe sich aus Unterlagen des Ex-US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden. Dabei sollen sogenannte IMSI-Catcher eingesetzt worden sein. Mit den Geräten kann man Handys in einem gewissen Umkreis dazu verleiten, sich in manipulierte Funkzellen einzubuchen, über die dann Telefonate abgehört werden können. Die Botschaft liegt nur wenige hundert Meter von Bundestag und Kanzleramt entfernt. In einer einschlägigen Liste der National Security Agency (NSA) solle die Handynummer der deutschen Regierungschefin stehen. Bestätigen oder dementieren wollte den Bericht weder die US-Botschaft noch die Bundesregierung.

Sie wird immer nur dann aktiv, wenn es entsprechende Hinweise gibt. Das betonte am Freitag auch nochmal ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Davon aber hat es zuletzt reichlich gegeben – nicht erst seit Bekanntwerden des möglichen Lauschangriffs auf ein Handy der Kanzlerin. Angesiedelt ist die Spionageabwehr beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Und das BfV wurde zuletzt auch einmal wirklich sichtbar aktiv – mit Hilfe der Bundespolizei. Ende August überflog ein Hubschrauber das US-Generalkonsulat in Frankfurt am Main, weil dort eine Abhörstation der NSA vermutet wird. Mit Spezialkameras wurden Bilder gemacht. Welche Erkenntnisse daraus gewonnen wurden, ist unklar. Allgemein wurde die Tiefflug-Aktion eher als symbolisches Zeichen gedeutet an die Adresse der Amerikaner, sich nicht zu sicher zu sein. Ob der Verfassungsschutz auch jetzt über die US-Botschaft fliegen wird oder welche anderen Maßnahmen er ergreift, ist unklar.

Welche Rolle spielt das Thema in den Koalitionsverhandlungen?

Auf jeden Fall eine größere Rolle als sich das in den Sondierungsgesprächen abgezeichnet hat. Denn durch den mutmaßlichen Lauschangriff auf die Kanzlerin hat sich einiges verändert. Vor allem die Tonlagen. Während die einen, Union, deutlich schärfer geworden sind, mäßigen sich die anderen. SPD-Chef Sigmar Gabriel und vor allem Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann waren im Sommer so etwas wie die Chefankläger. Jetzt sind sie deutlich moderater. Im Zentrum der Kritik stand vor allem Kanzleramtschef Ronald Pofalla, dem die Opposition, allen voran die SPD mangelnden Aufklärungswillen und Verschleierung vorgeworfen hatte. Nun kritisieren sie ihn nur noch indirekt. Die Kanzlerin selbst stellt sich hinter Pofalla. „Daran gibt es keinen Zweifel“, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter.

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Dennoch könnte die Affäre für Pofalla, aber auch für Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nicht ganz ungefährlich sein. Pofalla will nun alle Aussagen der Amerikaner noch mal prüfen und Friedrich will eine Entschuldigung. Pofalla wird nachgesagt, dass er ohnehin nicht erneut Kanzleramtsminister werden möchte. Friedrich dagegen will Innenminister bleiben, hat aber mit Oppermann einen als Ko-Vorsitzenden an seiner Seite in der Arbeitsgruppe „Innen und Justiz“ der großkoalitionären Verhandlungsgruppe, dem selbst Ambitionen auf den Posten nachgesagt werden. Die CSU wird aber bei aller NSA-Affäre nicht ohne Weiteres auf das Amt verzichten, so dass Oppermann am Ende auch Justizminister werden könnte.

Auch inhaltlich führt die NSA-Debatte zu neuen Diskussionen. Hans-Peter Uhl (CSU) wird die innenpolitischen Verhandlungen mitführen und er glaubt, dass die NSA-Affäre die Koalitionsverhandlungen „nachhaltig beschäftigen“ werde. Er will sich dabei für weitreichendere Befugnisse des Bundesinnenministeriums einsetzen. „Es gilt unter anderem eine Frage zu beantworten: Wer ist für die Sicherheit der Kommunikationswege verantwortlich? Bisher ist für Sicherheit das Innenministerium und für die Kommunikationswege das Wirtschaftsministerium zuständig“, sagte Uhl dem Tagesspiegel. „Aber die NSA-Affäre zeigt einmal mehr, dass die Sicherheit der Kommunikationswege in eine Hand gehören und zwar in die des Bundesinnenministeriums.“

Müssen die Kabinettsmitglieder demnächst andere Handys nutzen?

Schon jetzt haben Regierungsmitglieder die Möglichkeit, abhörsichere Handys zu nutzen, nur macht das kaum jemand. Auch am Freitag betonten Sprecher der Ministerien, dass man abhörsichere Technik habe, aber auch, dass viele Minister ein zweites, reguläres Handy nutzen. Bisher war das Problem der abhörsicheren Geräte ein langsamer Verbindungsaufbau und oft auch eine zeitversetzte Kommunikation. Nun wird es neue Geräte geben. Samsung und Blackberry sind die Anbieter. Deren Technik soll laut dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie ausgereifter sein. Merkel selbst sprach am Freitag offenherzig über ihr Mobiltelefon. Sie besitze ein Handy, für dessen Gebühren voll die CDU aufkomme. „Für alle staatspolitisch relevanten Kommunikationen gibt es Festnetzleitungen, Kryptoleitungen und – wenn man nicht am Ort ist – auch Kryptohandys“, doziert sie. Und fügt hinzu, dass ihr CDU-Mobiltelefon wohl etwas „weniger Krypto“ sei. Ihr Kommunikationsverhalten will sie nicht verändert haben. Das sei nämlich sehr „konsistent“. Für die fragenden Gesichter übersetzt die Kanzlerin: „Jeder, der mit mir redet, hört im Grundsatz immer das Gleiche.“

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